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,Wien verschenkt‘ ist der schönste Ort auf Facebook

Fast 80.000 Mitglieder zählt die Wiener Plattform auf Facebook, auf der NutzerInnen um Altpapier streiten oder Waschmaschinen herschenken.

Screenshot via Facebook

Es gibt ja Leute, die behaupten, sie wären lieber Schenker als Beschenkte. Die lügen. Jemandem eine Freude zu machen ist ein wunderbares Gefühl, und natürlich klingt es ehrenwert, das Wohl anderer über das eigene zu stellen, aber jeder liebt nun mal Geschenke. Und wer von uns zögert auch nur eine Millisekunde, wenn es irgendwo was umsonst gibt? Ich weiß jedenfalls, dass ich mich wie ein unterzuckerter Geier auf gratis Cola-Dosen vorm Museumsquartier stürze.

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Auf Englisch sagt man „one man's trash is another man's treasure" und während das erst mal klingt wie ein boshafter Nachruf auf verflossene Liebschaften, ist es gleichzeitig auch so was wie das Mantra der Facebook-Gruppe „Wien verschenkt", die mittlerweile fast 80.000 Mitglieder zählt. Als eine Art Abgabestelle für Entbehrliches ist die Plattform der wohl schönste und gleichzeitig skurrilste Ort auf Facebook: Dein Glumpert ist mein Glück—vor allem zum Frühjahrsputz staut sich dort wieder so einiges.

Das Prinzip ist schnell erklärt. Mitglieder können Fotos von nicht mehr benötigtem Ramsch mit zugehörigen Infos wie Zustand oder Ort, an dem das Geschenk abgeholt werden kann, in die Gruppe posten—bevor diese Postings für alle sichtbar werden, müssen sie von einem der Admins freigeschaltet werden. Auf diese Weise werden Regelverstöße wie Werbung, Pornografie, Partnerschaftsanfragen und Gesuche jeglicher Art vermieden. Das Filtern der Beiträge war nicht immer die Norm, ist aber mittlerweile notwendig geworden.

Interessierte können besagte Postings anschließend kommentieren. In der Regel geschieht das in Form von „Ich bitte", wahlweise auch „Pn", „Ich nehme alles" oder „Stelle mich an". Es bleibt einem selbst überlassen, welcher Bitte man nachkommen beziehungsweise welchem interessierten Mitglied man letztendlich eine Freude machen möchte—und wer keinen Wettbewerb à la „Der Freundlichste gewinnt" veranstalten will, setzt ganz einfach auf First-come, first-served und kommentiert ein elegantes „Ist reserviert!". Da muss man als InteressentIn eben schnell sein.

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Innerhalb der Gruppe wird um respektvollen Umgang miteinander und Verlässlichkeit gebeten—oft werden Übergaben nicht erfüllt oder sinnlose Streitereien angezettelt, was in Anbetracht der hohen Mitgliederanzahl wenig verwunderlich erscheint. Da werden seitens der Admins auch schon mal Verwarnungen ausgeteilt. Vor allem das erwähnte „Ich bitte" wird zunehmend von NutzerInnen verwendet, die allem Anschein nach blindlings jeden einzelnen Beitrag kommentieren, einfach nur, um gratis Zeug zu ergattern. Und dabei scheint es vollkommen egal, was es letztendlich ist—Hauptsache gratis. Dass viele InteressentInnen erst zu spät merken, wofür sie sich überhaupt angestellt haben, resultiert daher häufig in nicht eingehaltenen Abhol-Terminen.

Während die Community für viele NutzerInnen oft sicherlich einen wahren Segen darstellt, ist es als stiller Beobachter stellenweise schon etwas befremdlich, dabei zuzusehen, wie sich eine Gruppe Fremder virtuell um einen Stoß alter Wohn-Zeitschriften aus dem Jahre Schnee reißt. Was zur Hölle wollen diese Menschen mit einem riesengroßen Stapel Altpapier? Und woher kommt diese leidenschaftliche Verzweiflung, mit der sie darum buhlen? Und überhaupt, warum? Passt man nicht auf, wird aus der virtuellen Müllkippe schnell ein perverser Scroll-Sumpf, aus dem man so schnell nicht mehr rauskommt.

Wenn man wie Gruppenmitglied Lukas eine ganze Hausräumung vor sich hat, bei der zahlreiche Einrichtungsgegenstände wie Betten, Regale, Tische und Stühle für gewöhnlich auf dem Sperrmüll landen würden, kann die Community auch eine entlastende Wirkung haben, indem sie einem die ganze Hütte leer räumt—man umgeht die Mühen einer Entsorgung und hilft gleichzeitig jenen, die sich neue Möbel womöglich nicht leisten können. Zwei Fliegen, eine Gruppe. „Die haben alles mitgenommen", so der User. „Auch einen Haufen zerbrochener Fliesen, fein säuberlich."

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Ungefähr dort liegt auch der Ursprung der Gruppe: In einer Ausmistaktion. Vor etwa drei Jahren suchten zwei der heutigen Admins nach einer Möglichkeit, nicht mehr gebrauchte Güter aus der Kategorie „Zu schade, um es wegzuwerfen" weiterzureichen—„Wien verschenkt" wurde gegründet. Innerhalb kürzester Zeit fand die Gruppe großen Anklang, mit der Mitgliederanzahl wuchs auch die Zahl der Admins. Heute schupfen sie die Gruppe zu sechst.

In Wahrheit ist „Wien verschenkt" letztendlich ebenso hilfreich wie unterhaltend. „Es sind eher die Texte zu den Dingen, die sie schlussendlich so witzig machen", so Anna, eine der Admins der Gruppe gegenüber VICE. So werden manche Interessierte bei der Nutzung von Synonymen besonders kreativ („Ich bitte die Heizungswasserkrug" [sic] für einen Wasserkocher), andere wiederum packt die Nächstenliebe dermaßen überschwemmungsartig, dass sie in all ihrer Samariter-haftigkeit einfach nur eine Kiste voller kleiner Styroporkügelchen herschenken möchten. Aber es ist ja der Gedanke, der zählt.

Mittlerweile überlege man sich unter den Admins sogar, eigene „Wien verschenkt"-Goodies herzustellen—der Gedanke an einen „Ich bitte"-Jutebeutel ist jedenfalls kein allzu schlechter. Bis dahin bleibt Dankbarkeit der beste Profit: „Wir freuen uns immer, wenn wir sehen, dass etwas erfolgreich verschenkt wurde und im Anschluss ein ,Danke ich liebe meinen neuen Sessel'-Post auf unserer Seite steht."

Die unendlichen Weiten des Geschenke-Sortiments beinhalten (neben verdächtig vielen Sofas) so ziemlich alles, was sich der menschliche Verstand auch nur irgendwie vorstellen kann. Von Streusplitt über Bikinis bis hin zu Massagen und Geschirrspülern ist alles, wirklich alles dabei. Teils scheint das Angebot ähnlich absurd und willkürlich zusammengesetzt wie jenes der willhaben-Müllhalde, aber man weiß ja nie, für wen es vielleicht noch von Nutzen sein könnte. Und ja, manchmal, wenn der Geschenke-Gott gnädig ist, werden tatsächlich auch Umzugskartons verschenkt. (Ich bitte.)

Franz, tadelloser Zustand, nur einmal getragen (versprochen), abzuholen auf Twitter: @FranzLicht