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The Hot Box Issue

Musik ist ja Haram!

Der Grazer Rapper Yasser hat neue Tracks. Und das eine oder andere aufzuklären.

Fotos von J.J. Kucek

Yasser Gowayed ist Rapper, Label-Betreiber und Sohn eines bekannten Arztes und Leiters der Islamischen Glaubensgemeinschaft Steiermark und Kärnten. Er hat ägyptische Wurzeln, ist aber seit seinem siebenten Lebensjahr in Österreich. Im Übrigen darf er stolz von sich behaupten, in einer parlamentarischen Anfrage von Dr. Susanne Winter (FPÖ) vorzukommen. In dieser Anfrage vom 25.01.2013 geht es um einen ungenehmigten Videodreh im Park, bei dem Jugendliche mit Migrationshintergrund fahnenschwenkend herumstanden, während Yasser und Kollege Ozman ihr Ding machen. Der Track, der da verfilmt wurde, heißt „An alle Brüder” und propagiert mit einiger Wucht die Einheit der ganzen (islamischen) Welt gegen Israel und die „scheiß Amerikaner”. Frau Dr. Winters treuherzige Besorgnis über „radikalen Islamismus” würde angesichts dieses Videos zur Abwechlung glaubwürdig erscheinen—wenn sie nicht ihre Anfrage mit einem Satz beendet hätte, der gerade ihr schlecht ansteht. „Am antisemitischen und islamistischen Weltbild seines Sohnes scheint sich der Präsident des Islamischen Zentrums Graz wenig zu stören”, schreibt sie da. Doch wer im Glashaus sitzt, soll besser nicht mit Ahnenforschungsbüchern werfen. Ihr eigener Sohn nämlich, der damalige RFJ-Obmann, forderte vor einigen Jahren sinngemäß, man solle den Muslimen Schafe zum Ficken in den Stadtpark stellen, damit sie sich nicht an den heimischen Mädchen vergreifen. Als der junge Mann deswegen sogar verurteilt wurde, hielt sich Winters Entrüstung in Grenzen. Wir fassen zusammen: Yasser spielt in der Erzählung der FPÖ die Rolle eines Bösewichts. Normalerweise wäre der Fall damit klar. Wen Susanne Winter angsteinflößend genug findet, um nach der Polizei zu schreien, der kann kein ganz schlechter Mensch sein. Bloß diesmal ist es nicht so einfach.

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Die Videos von Yasser und Ozman, die auf Youtube zu finden sind, erwecken den Anschein, dass die Jungs sich wirklich Mühe gegeben haben, alle mittelständisch-abendländischen Ängste vor jungen, männlichen Migranten zu bedienen: Sie haben eine aggressive Gangsterattitüde. Es kommt so rüber, als würden sie die Überlegenheit des Islam vertreten. In Texten und Videos kommen Rotlicht, Drogen, Waffen, fette Autos und „Palästinasolidarität” vor—sogar die Trainingsanzughosen-und-Unterleiberl-Kombi sitzt! Ist das Feindbild der FPÖ am Ende Wirklichkeit geworden? Ist Strache ein verkannter Prophet? Muss ich nach Hause gehen und meine laschen linken Ansichten überdenken? Ein erster Augenschein im Netz verrät, dass es ab Anfang 2013 verdächtig still geworden ist um Baltagi Records und das Duo Yasser und Ozman. Einzig auf Facebook ist Yasser ziemlich aktiv, aber da geht es mehr um die politische Lage in Ägypten als um Musik. Die Jungs in einem der Heime für minderjährige Asylwerber in der Bahnhofsgegend erzählen mir, dass jeder von ihnen zumindest schon von Yasser und Ozman gehört hat. Mancher kann bei den Tracks mitrappen—auf Deutsch. Reife Leistung für Burschen, die erst vor wenigen Monaten aus Afghanistan entkommen sind und gerade beginnen, Deutsch zu lernen. Ein paar zusätzliche Schläge auf die Buschtrommel der Provinzhauptstadt Graz, in der eh ein jeder einen jeden kennt, verraten mir Folgendes: Yasser arbeitet gerade an Solotracks. Er habe außerdem wieder mal Probleme mit der Justiz. Und bezüglich „An alle Brüder” würde er sowieso gern das eine oder andere klarstellen.

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Der Track, der dazu führte, dass Yasser im Mittelpunkt einer parlamentarischen Anfrage von Dr. Susanne Winter zum Thema „radikaler Islamismus” stand.

VICE: Es war lange still um Yasser und Ozman. Berufliche Differenzen mit Ozman?
Yasser Gowayed: Mit Ozman ist alles o.k. Wir machen inzwischen halt ein paar eigene Sachen. Er ist Dopestyle und ich bin Baltagi, aber das ist egal. Freunde sind Freunde. Also: Es gibt keine Differenzen. Und für mich ist das kein Beruf. Meine Emotionen und Gedanken in Texten zu verarbeiten hat ja nicht so schlecht angeschlagen am Anfang. Am meisten Aufsehen gab es für den Track „An alle Brüder“.

Ist dir klar, dass du da genau das Klischee bedienst, vor dem die rechten Politiker warnen? Muslime, die sich zusammentun und „die Amerikaner ficken“, was auch immer das heißt?
Wie Du schon sagtest: die rechten Politiker. Deren Einstellung ist ja bekannt, auch wenn sie es nicht zugeben. Es wurde auch gesagt, ich hetze gegen Österreicher und Christen. Im Video war neben den anderen auch die österreichische Flagge zu sehen—aus Respekt, und eigentlich, damit man mir genau diesen Vorwurf, der dann von rechts kam, eben nicht machen kann. Aber wenn man etwas Falsches finden will, findet man es.

Wurdest du also absichtlich falsch verstanden?
Ich habe vielleicht einiges zu hart ausgedrückt, aber man hat mir ja auch absichtlich einige Sachen im Mund umgedreht. Am Anfang des Liedes habe ich auch klar gesagt, dass es „gegen die geht, die gegen uns sind“. Damit ist gemeint: die, die in Länder einmarschieren und sie zerstört zurücklassen, Kinder ohne Väter, ohne Mütter … Ich habe ja nichts gegen die Amerikaner als Volk, ich mag deren Filme—was ich nicht akzeptiere, ist deren Politik. Und was Israel angeht: Tipp in Google „Massaker von Israel“ ein und du bekommst eine Liste von lauter Massakern. Wie viele Kinder, wie viele Frauen … Aber wenn Israel aufhören würde, jeden Angriff zurückzuschlagen, würde es Israel morgen nicht mehr geben. So denke ich nicht. Es gibt in Gaza nur ein paar Idioten, die bessere Feuerwerksraketen rüberfeuern. An einem Streit sind immer zwei schuld, das stimmt. Aber auch auf den Vorschlag von 1967 hin, dass alle arabischen Staaten Israel als halb jüdischen, halb islamischen Staat anerkennen sollen, hat Israel nicht mit dem Siedlungsbau aufgehört. Die haben nie ehrlich auf Friedensangebote reagiert.

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In dem Track kommt auch die Textzeile „Ich werde Staatsfeind“ vor. Was soll das heißen?
Im Rap spricht man nun mal hart. Ich kann nicht „Staatsfeind“ werden. Das ist nur Wut, die man rauslässt. Und das wird dann falsch verstanden. Eine Zeitung hat geschrieben, dass wir diesem Toulouse-Mörder zugejubelt hätten. Das ist ein Blödsinn. Wie kann man einem Menschen zujubeln, der drei Kinder umbringt, egal, ob die jüdisch, christlich, islamisch oder irgendwas sind? Wenn ein Moslem etwas Schlechtes macht, heißt es immer „Islamisten“. Wieso sagt man nicht einfach, „dieser Junge ist krank“? Man schiebt das immer auf die Religion. Dabei gibt es im Islam keinen „heiligen Krieg“. Nichts ist heilig außer Gott.

Neben „An alle Brüder“ gibt es auch Tracks wie „Cash“, in dem ihr rappt, während daneben die Mädels mit dem Popo wackeln.
Bei dem Dreh in dieser Bar war ich nicht dabei. Wie das zusammenpasst, fragen mich auch viele Moslems, und ich habe bereits ein paar Mal gesagt: „An alle Brüder“ ist nicht islamisch. Es gibt keinen islamischen Hip Hop. Im Islam ist Musik allgemein ja haram. Wenn ich ein Lied über den Islam machen will, dann mach ich eines über die schönen Seiten des Islams und nicht über „Ficken wir die Amerikaner“.

Weswegen wird gegen dich ermittelt?
Man ermittelt wegen Verherrlichung von Terrorismus, Aufforderung zu terroristischen Straftaten und Verherrlichung des nationalsozialistischen Genozids.

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Also Wiederbetätigung. Weißt du, wie das zustande gekommen ist?
Ja. Ein paar Idioten haben auf Facebook Kommentare gepostet. Ich habe ein Video geteilt, in dem israelische Soldaten muslimische Frauen ins Gesicht boxen. Mich hat das Video sehr provoziert, und ich habe so etwas dazugeschrieben wie „feige Hurensöhne“ oder „feige Schweine“—über die Soldaten. Später hab ich dann gesehen, dass auf der Seite „SOS Österreich“ stand: „Gowayed verherrlicht den Toulouse-Mörder“. Die haben dort die Kommentare von meiner Facebook-Seite kopiert, in denen eben irgendjemand etwas Entsprechendes geschrieben hat. Warum aber gegen mich ermittelt wird, weiß ich nicht—ich teile diese Ansichten ja nicht.

Du hast sowohl die ägyptische als auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Gibt es angesichts der politischen Umwälzungen Streit unter den Austroägyptern?
Es ist jetzt das erste Mal, dass ich drei Jahre lang nicht in Ägypten war. Meine Cousins sind unten, ich habe immer Kontakt. Als ich unten lebte, habe ich auch einige der Probleme miterlebt. Als es um die Karikaturen des Propheten ging und wir deshalb vor die dänische Botschaft gezogen sind, war ich dabei. Es sind immer Kleinigkeiten: Man provoziert uns, und dann sind wir die Bösen.

In der westlichen Kultur müssen die Religionen mit Kritik und Spott eben umgehen. Meinungsfreiheit ist wichtiger.
Wenn man die Religion beschimpft, läuft das unter Meinungsfreiheit? Warum kann es mir dann passieren, dass ich ein bis zehn Jahre wegen Verhetzung sitzen muss— weil ich ein Lied über Menschen gemacht habe, die in meinen Augen Mörder sind?

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Wie stehst nun du selbst zu den aktuellen Politikern in Ägypten?
Ich finde Politiker nie o.k. So einer wie Nelson Mandela ist selten. In Ägypten bekämpfen sich die Parteien und töten einander, hier in Österreich streiten die Leute zum Glück nur. Es gibt hier einfach zu viele Möchtegerns. Die sagen so Dinge wie: „Ja, die Muslimbrüder sind auf dem richtigen Weg, alle anderen sind Ungläubige!“ Aber selber siehst du sie in der Disko mit Frauen saufen und rauchen—die sollten am besten gar nicht über so etwas reden. Ich bin auf gar keiner Seite im jetzigen Ägypten. Ich finde es schade, dass sich Menschen gegenseitig umbringen, vor allem Landsleute. Weißt du, ich bin nicht dort. Wenn ich dort wäre, könnte ich mir eine Meinung bilden. Aber so … Ich habe immer gedacht, gerade Ägypten ist zu intelligent, als dass es so weit kommen könnte.

Ich hab den neuen Sechzehner-Track auf Youtube gesehen, und ich bin nicht recht schlau daraus geworden.
Diesen Sechzehner hab ich gemacht, weil es Probleme in Graz gibt. Mir wär’s lieber, wenn es jedem gut ginge und die Leute nicht auf der Straße stehen würden. Aber es gab viele Messerstechereien in den letzten Monaten. Drei Freunde von mir waren in so was verwickelt. Und ich mache einfach Tracks, bis die Politik aufwacht. Man sagt immer: „Ihr bekommt Sozialgeld, ihr bekommt die Arbeitslose.“ Aber es ist nicht so einfach. Es gibt viele gute Sachen in Österreich. Jeder kann froh sein, hier zu sein. Aber es gibt auch die andere Seite. Man kann in Österreich einfach nicht so viel erreichen, nicht einmal mit Musik. Hier wird nicht viel gefördert.

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Welche Probleme sind das genau?
Ein Beispiel: Mein Freund ist gerade aus dem Gefängnis rausgekommen. Er hat mit Drogen zu tun gehabt und will sein Leben komplett ändern, hat ein Kind und eine Frau. Er will arbeiten gehen, findet eine Arbeit, aber nach einer Stunde schicken sie ihn nach Hause. Er darf mit seinem Asylausweis nicht arbeiten. Was soll er machen? Mit 150 Euro kann er seine Familie nicht ernähren. Da sagt er sich natürlich, ich muss wieder das Gleiche machen wie vorher. Ich verstehe Gesetze nicht, die dir verbieten zu arbeiten, weil du Asylwerber bist oder weil du nicht „fortgeschritten integriert“ bist.

Bist du also viel sozialer, als du offiziell wahrgenommen wirst?
Ich bin jedenfalls nicht so, wie die Staatsanwälte mich darstellen. Die mögen mich nicht. Vielleicht haben manche Angst, dass die Wahrheit rauskommt. Dass die Polizei den Park betritt und einem kleinen Sechzehnjährigen aus Somalia seine Semmel aus der Hand schlägt und ihn zu Boden ringt, weil er sagt, „ich esse“, als sie fragen, was er da tut. Solche Sachen.

Was sagst du, wenn man dir vorwirft, mit militanten Islamisten zu sympathisieren?
Das Töten ist im Koran etwas, das dich in die Hölle bringt und nicht ins Paradies. Ich diskutiere oft mit besonders radikalen Leuten und sage ihnen, dass unsere Religion ganz anders ist, als sie sie präsentieren.

Und wo kommen diese Radikalen her?
Diese Menschen sind leicht zu manipulieren, weil sie kein Basiswissen haben. Weißt du, mein Vater hat mir vieles erklärt, und vielleicht auch verhindert, dass ich so radikal werde, wie manche mich darstellen wollen. Er ist ja jahrelang Leiter der Islamischen Glaubensgemeinschaft gewesen. Er hat in Kirchen und Synagogen Vorträge gehalten und mit vielen Leuten diskutiert. Der Prophet hat gesagt: „Nach mir wird eine Gruppe kommen, sie rezitieren den Koran, aber sie verstehen den Sinn nicht und verbreiten Hass unter den Menschen. Sie sind die schlechtesten unter Euch.“ Wer weiß, wer das heute ist?

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