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Darf der Erste Weltkrieg eigentlich Spaß machen?

Valiant Hearts ist ein süßes Kriegsspiel, sehr integer und Twitter hat es schon vor 100 Jahren gegeben.

Ich habe vor kurzem ein Buch mit dem Titel Die Welt in 100 Jahren gelesen. Das ist ein Sammelband vom Anfang des 20. Jahrhunderts, bestehend aus vorausblickenden, kulturgeschichtlichen Schriften von Soziologen bis Schauspielern.

Bis auf Utopien wie die Etablierung des perfekten Sozialstaats im 21. Jahrhundert und dass dieser dann von bärtigen Frauen regiert werde, oder Voraussagen, dass heute in jeder fünften Person Alkoholismus und krimineller Wahnsinn ausgeprägt sein müssten, haben es diese literarischen und wissenschaftlichen Visionäre eigentlich ziemlich genau getroffen. Mit Handys, EU, Flugverkehr, Fernsehen und dem Internet, in seinen Grundzügen als drahtlose Informationsvernetzung, hatten die damals schon alle gerechnet.

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Aber auch diese weitsichtigen Autoren von vor 100 Jahren konnten nicht wissen, dass ein Jahrhundert später sich eine Band nach dem in Serbien erschossenen Erzherzog benennen würde oder dass der Erste Weltkrieg nun zum zweiten Mal tobt—und zwar auf Twitter. Auf dem Account 100 Years Ago Today wird auf den Tag genau mit einem 100-jährigen Delay Weltgeschichte durchberichtet als würde sie heute passieren. Letztes Wochenende fiel der Startschuss zum Ersten Weltkrieg. Ein witziges und zeitgeschichtlich hochinteressantes Projekt.

Auch dass Deutschland in einem friedlichen Weltmeisterschaftsspiel auf Frankreich trifft, hätten sich die 1914er Kollegen nicht erträumen lassen. Genau am selben Tag, an dem die Deutschen Frankreich rausschießen, gewinnt ein Deutscher vor 100 Jahren den Grand Prix in Lyon. Passend zu dem „History repeats itself"-Gedanken.

Apropos passend. Ich bin ja gerade mitten in ein Videospiel vertieft, das sich Valiant Hearts: The Great War nennt und im Großen und Ganzen richtig toll geworden ist. Man spielt einen massiven Franzosen mit seinem helfenden Hund, die sich gegenseitig aus deutscher Gefangenschaft befreien und Schauplätze des Ersten Weltkriegs nach dem deutschen Verlobten der Tochter durchsuchen.

Ein schwarzer, amerikanischer Soldat auf Rachefeldzug wird zum besten Freund und eine proaktive Sanitäterin sucht ihren entführten Papa. Das klingt jetzt vielleicht verzwackt, aber ist ein höchst liebenswerter Plot, der den militärisch katastrophalsten Krieg der Weltgeschichte als Hintergrund hat. Der Soundtrack ist auch sauschön und begleitet einen perfekt durch diese Welt.

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Das Spiel ist von Ubisoft und rechtzeitig vor dem 100sten Geburtstag des Ersten Weltkriegausbruchs am 28. Juni rausgekommen. Die Entwickler haben Geschichten und Mementi—wie echte Hundemarken—aus ihren eigenen Familienhistorien eingearbeitet sowie Briefe von der Front, auf die sie bei den Vorbereitungen gestoßen sind. Es sind nicht allzu schwere Rätsel in einer simpel gehaltenen und optisch ansprechenden Level-Mechanik.

Valiant Hearts sieht aus wie ein europäisches Comic, mit starker Asterix-Ästhetik, nur dass die Augen aller Figuren ständig verdeckt sind—bis auf die des Hundes. Ob das einfach als kreatives Stilmittel oder Sinnbild für die „blinde Gewalt des Krieges" zu deuten ist, muss eigentlich nicht ausdiskutiert werden.

Aber dass die Deutschen, Franzosen, Engländer und restlichen Europäer alle gleich designt sind, mit den gleichen Bärten und Staturen—bis auf die Uniformen klarerweise—bringt schon einen Verweis auf menschliche Gleichstellung ins Spiel, ohne Seiten zu beziehen. Die französische Sani-Frau hilft auch preußischen Verwundeten und vertritt so die einfache Message: Letztlich sind alle Opfer in einem Krieg.

Ein einziger Kritikpunkt—sollte man ein kleinlicher Werteverfechter oder ein 120 Jahre alter Kriegsveteran sein—besteht bei Valiant Hearts vielleicht, da diese Comic-Optik etwas verharmlosend gegenüber dem Ersten Weltkrieg und dessen unvorstellbarem menschlichen Verschleiß wirken könnte.

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Kurz frage ich mich schon, ob es pietätlos ist, mich zu ärgern, weil ich bei der einen Stelle mit dem enormen Chlorgasfeld schon fünfmal gestorben bin. Der Hoffnungslosigkeit und Frustration des großen Zermürbungskriegs kommt das ja nicht wirklich gleich. Oder ist das eingebaute Minigame vertretbar, bei dem man mit einer Guitar Hero Steuerung einem Verwundeten den Arm absägt?

Aber ich denke nicht, dass Valiant Hearts die Ernsthaftigkeit der historischen Geschehnisse irgendeinem kindischen Scherz unterordnet und das Andenken an die damaligen Opfer beschmutzt. Im Gegenteil, die massigen Informationseinträge plus Originalbilder zu den verschiedenen Schlachten, zu Inventargegenständen und Kriegsregionen verleihen dem Spiel einen ganz speziellen Wert und zollen durch detaillierte Recherche kulturhistorischen Respekt. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass mit Urin getränkte Stofffetzen als improvisierte Gasmasken verwendet wurden.

Man sieht französische Tauben kleine Stahlhelme tragen. Im nächsten Moment schlagen Gasraketen ein und man erfährt ausführlich über die Rolle der Pariser Taxis in der Stadtverteidgung. Dieser teils verspielte und gleichzeitig auf historischen Fakten basierende Zugang ist mutig und hat wahrscheinlich ein „Pädagogisch Wertvoll"-Schleifchen verdient. Aber das würde einem Videospiel wahrscheinlich eher schaden. Elitäre Intellektuelle haben jedenfalls eine gute Ausrede es zu spielen und die dümmsten Straßen-Kids genauso, weil es einfach spielerisch Spaß macht, verdammt, und besser kann ein Fazit eigentlich nicht aussehen.

Bin schon gespannt welcher Krieg als nächstes als Comic-Videospiel rauskommt. Bis in hundert Jahren dann.

Josef auf Twitter: @theZeffo