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Warum großbusige Dummchen, die nicht kochen können, NICHT feministisch sind

Der Bestell-Service Netkellner wirbt seit einiger Zeit mit einem etwas fragwürdigen Sujet im Netz. Wir haben uns mit dem Unternehmen über Sexismus, Stewardessen-Charme und Rind mit Senfsoße unterhalten.

Foto via Buzzfeed

Diejenigen unter euch, die bei Sonntag nicht an den Tag des Herren denken, an dem man sich um 10:30 Uhr frischgeduscht in sein schönstes Kirchen-Outfit wirft, um im Anschluss an die Kommunion mit ein paar anderen Wahnsinnigen gesegnete Suppe zu löffeln (oder was auch immer echte Christen so tun), sondern die mit Sonntag eher die verzweifelte Suche nach Liebe, Alka Selzer, einem Fernsehsender zum Dahindämmern und einer brauchbaren Essens-Bestellseite verbinden, kennen Netkellner natürlich längst als Anlaufstelle.

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Und weil das praktisch auf alle zutrifft, die je unsere Website besucht haben, muss ich Netkellner hier wohl genau so wenig erklären wie das Internet selbst. Genau wie beim Internet allgemein soll das aber auch für Netkellner keinesfalls bedeuten, dass es deshalb nicht trotzdem Erklärungsbedarf zu einzelnen obskuren Aspekten seines Daseins gibt.

Denn seit einiger Zeit fällt mir Netkellner auch abseits meiner sonntäglichen Sammler-Streifzüge durch das Essensnetz verstärkt auf—und zwar immer mit demselben signalwirksamen Werbesujet in herausragender Busenoptik, auf praktisch allen Drittseiten und Mini-Blogs (den Wiener-Neustadts und St. Pöltens des Internets), mit ziemlich genau so viel Sexismus, wie auf einem 305 × 253 großen Banner Platz haben.

Screenshot VICE Media

Weil ich, wie die meisten anderen auch, aber als erstes immer mein ausgelagertes Gewissen in Form meines sozialmedialen Umfelds konsultiere, bevor ich mir eine Meinung bilde, und in keinem Kanal auch nur irgendeine Form von Hashtag-Aufschrei las, rutschten die lasziv zur Schau gestellten Bestellargumente schnell wieder tarnkappenartig unter meine Wahrnehmungsschwelle.

Auch meine Anfrage beim Werberat ergab, dass dort keine einzige Beschwerde wegen der Netkellner-Kampagne vorlag. Wenn es sonst niemand schlimm findet, ist es wahrscheinlich einfach nicht so schlimm, dachte ich mir. Aber irgendetwas daran störte mich weiterhin und es dauerte noch mal eine ganze Denkrunde länger, bis ich den Finger darauf legen konnte.

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Mein größtes Problem mit der Werbung—abgesehen davon, dass es irgendwie sonst niemanden zu stören schien—, ist nämlich, dass man hier etwas grunsätzlich Sexistisches so verkauft, dass man es mit etwas weniger Denkaufwand fast schon als feministisch missverstehen könnte (und im Zweifelsfall deshalb keinen großen Protest startet).

„Genau“, hörte ich ein paar Oberflächenfeministen sagen, „warum sollte sie als Frau eigentlich kochen können müssen?“ Aber wer so argumentiert, hat sich beim Denken auf halbem Weg in den Kaninchenbau verzogen.

Es gibt nämlich auch andere Wege, Frauen nicht als brave Küchensklaven zu zeigen, als einfach ein machistisches Rollenbild („Frau kocht, passt schon“) durch ein anderes auszutauschen („Frau zu dumm zum Kochen, macht nix“).

Deshalb habe ich mich mit Frau Mag. Zita Uzsoki, Marketing Managerin bei Netkellner.at, über die aktuelle Online-Werbung ihres Unternehmens unterhalten—nur, um nach unserem Interview noch ein bisschen verwirrter zurückzubleiben, weil mir auch nach drei Mal Nachdenken nicht in den Kopf gehen will, warum Netkellner das „Ansparen von Freizeit“ mit der mangelnden Fähigkeit zu kochen gleichsetzt (und was Jamie Oliver und Stewardessen mit all dem zu tun haben).

Und das ist noch nicht mal die absurdeste Aussage in diesem Gespräch. Aber vielleicht versteht ihr das Ganze ja besser. Ich such mir jetzt erst mal einen Kaninchenbau zum Reinkriechen.

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Screenshot von VICE Media

VICE: In den letzten Wochen sehe ich eure Online-Werbungen auf fast jeder Website—und ich glaube nicht, dass es nur an eurem Online-Targeting liegt. Warum auf einmal die starke Werbe-Präsenz?
Netkellner: Wir starten jedes Jahr mehrere Werbekampagnen. Die aktuelle Online-Kampagne haben wir so geplant, dass wir auf mehreren Seiten erscheinen und vor allem auch auf solchen, auf denen wir bisher noch nicht vertreten waren.

Was will Netkellner mit der aktuellen Online-Kampagne aussagen?
Freizeit ist heute immer mehr wert. Wir haben die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass man Freizeit „ansparen“ sollte, was nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer wichtig ist und sich deshalb auch auf sie bezieht. Netkellner ist ein Service, dessen Vorzüge mitunter sind, weder einkaufen noch abwaschen oder kochen zu müssen. Stattdessen sorgt Netkellner für Freizeit.

Was sagt ihr zu Menschen, die das Sujet sexistisch finden?
Was wir auf dem Plakat sehen, ist eine schöne und hübsche Frau.

Wer nutzt eigentlich Netkellner, wie sieht eure Zielgruppe aus?
Der typische Nutzer ist ein 29-jähriger Mann mit Universitätsabschluss.

Ist die Plattform in erster Linie ein Angebot für Leute, die nicht kochen können?
Die Menschen, die Netkellner nutzen, sind nicht nur hungrig, sondern haben auch wenig Freizeit: Studenten, Arbeitende, Mütter, die mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen möchten.

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Basiert die neue Kampagne auf einer demographischen Analyse oder einer Marktforschungsumfrage? Oder woher kommt die Idee dafür sonst?
Die Kampagne basiert weder auf den Ergebnissen einer demographischen Analyse noch auf solchen aus der Marktforschung. Unsere Idee war es, die Aufmerksamkeit darauf zu bringen, dass Freizeit etwas Wichtiges ist.

Welche Speisen dürfen auch gute Hausfrauen mal über Netkellner bestellen?
Je nach Wunsch: Pizza, Spaghetti, Hamburger, Sushi, Amerikanisch, Chinesisch, Indisch, Mexikanisch, Thailändisch, Türkisch, Griechisch usw.

Das Model eurer Kampagne hat große Brüste und kann nicht kochen. Gibt es da einen Zusammenhang?
Jamie Oliver hat auch keine großen Brüste und kann trotzdem kochen.

Okay … Wenn Netkellner eine Frau wäre, wie würde sie dann aussehen?
Sie wäre eine freundliche, stets lächelnde und hilfsbereite Kellnerin mit dem Charme einer Stewardess.

Was unterscheidet für euch sexistische von gender-gerechter Werbung?
Was uns wichtig ist, ist der Mensch: der hungrige Mensch.

Aha. Und wie sieht eurer Meinung nach sexistische Werbung aus?
Unserer Meinung nach würde sie—oder er—viel mehr von ihrem/seinem Körper zeigen oder sexuell eindeutige Handlungen präsentieren wie beispielsweise die vom Superbowl ausgeschlossene Werbung.

Eure Marketing-Abteilung sitzt ja in Ungarn. Wie sieht man bei euch das Werbesujet?
Der Service von Netkellner ist sowohl in Österreich als auch in Ungarn derselbe. Uns geht es wie gesagt um Freizeit—und das ist in beiden Ländern ein Thema.

Wer ist eigentlich das Model in der aktuellen Kampagne—und kann sie wirklich nicht kochen?
Sie ist die Mutter eines neunmonatigen Babys und kocht gern und gut. Ihre Spezialität ist Rind mit Senfsoße.

Folge Markus auf Twitter: @wurstzombie