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Popkultur

Angela Merkel ist die „Person des Jahres“ – aber was heißt das eigentlich?

Die Kanzlerin ließ damit den IS-Chef und Donald Trump hinter sich und wird in Internetkommentaren als „Landesverräterin" diffamiert.
Foto: imago | Sven Simon

Angela Merkel. Nicht nur die mächtigste Frau der Welt, sondern nun auch „Person des Jahres". Wie jedes Jahr erstellt das Time-Magazin eine Rangliste der Menschen, die das Weltgeschehen besonders beeinflusst haben. Mit unserer Kanzlerin geht dieser Titel nun zum vierten Mal an eine Frau—was Merkels Ausnahmestellung auf dem internationalen Politparkett zusätzlich unterstreichen dürfte. Allerdings: Die 1927 erstmalig durchgeführte Wahl schließt erst seit 1999 auch Frauen mit ein, zuvor wurden von dem US-Magazin lediglich die „Männer des Jahres" benannt.

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Als „Kanzlerin der freien Welt", die sich „der Tyrannei entgegenstellt", wird Merkel im Time-Artikel bejubelt—kein Wunder also, dass die Nachricht hierzulande stellenweise so aufgenommen wird, als hätte sie einen internationalen Beliebtheitswettbewerb gewonnen. Dabei geht es bei dieser „Ehrung" gar nicht darum, jemanden auszuzeichnen, der sich in irgendeinem humanitären oder wirtschaftlichen Feld auf positive Art und Weise besonders verdient gemacht hat. Es werden lediglich die Personen aufgelistet, die einen besonderen Einfluss auf das Weltgeschehen hatten—auch im negativen Sinne. Das beweist schon ein kurzer Blick auf die weiteren Medaillenränge. Platz Zwei ging nämlich an IS-Oberhaupt Abu Bakr al-Baghdadi, dessen Terrorregime aktuell die Welt in Atem hält, während sich Präsidentschaftskandidat Donald „mit mir werden die USA zu einem rassistischeren Ort" Trump den dritten Rang sicherte.

Kleine Geschichtsstunde: In der Vergangenheit durften sich bereits Adolf Hitler (1938) und Josef Stalin als „Time Person des Jahres" bezeichnen—Letzterer sogar zweimal (1939 und 1942).

Angela Merkel is TIME's 2015 Person of the Year — TIME.com (@TIME)9. Dezember 2015

Das kann man nun für berechtigt halten oder nicht, richtiggehend abstrus ist allerdings, wie heftig sich in den Kommentarspalten deutscher Medien zur Wahl geäußert wird. „In Deutschland wird sie zur Unperson des Jahres gekührt [sic!] und zwar von ihrem Volk" heißt es beispielsweise unter einem Facebook-Post von Focus Online. Andere bezeichnen sie als „werteloses Stück Mensch" und „Landesverräterin", die „unser Land kaputt macht", oder sehen die Meldung als Beweis dafür, dass „alle Medien" uns „nur verarschen und manipulieren". Unter der Meldung auf Spiegel Online werden dann die ganz großen Vorwurfsgeschütze aufgefahren. Merkel sei die „Terroristin Nr. 1", sie und der IS-Kopf „zwei berechnende Amokläufer". „Ich küre sie zum Unmensch des Jahres für ihre zahlreichen Verbrechen gegen die Menschen und die Demokratie", schreibt der SpOn-User DocMoriarty und befindet sich mit dieser Forderung in bester Gesellschaft.

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Beeindruckend ist dabei nicht nur die Wortgewalt der Aburteilung Merkels, sondern auch, dass keiner der Dutzenden Kommentatoren, die mit sehr vielen Satzzeichen nach den „Kriterien" dieser Rangliste fragen, auf die Idee kommt, „Time Person of the Year" in die Suchmaschine ihrer Wahl einzutippen. Da steht es dann nämlich noch mal Schwarz auf Weiß: „Die Person des Jahres […] ist eine jährliche Ausgabe des US-Nachrichtenmagazins Time, das sich mit einer Person, Gruppe, Anschauung oder Thema beschäftigt, das das Weltgeschehen des Jahres am meisten beeinflusst hat—ob zum Positiven oder Negativen."

Liest man sich die negativen Kommentare des empörten „Volkes" durch, scheint es in diesem Jahr tatsächlich niemanden gegeben zu haben, der das Weltbild der besorgten Bürger mehr erschüttert hat. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch, Angie.

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Titelfoto: imago | Sven Simon