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Unsere Generation ist nicht faul. Leider.

Wir lehnen Leistung und Karriere ab, aber arbeiten trotzdem wie Psychos. Und Alkohol hilft uns sogar noch dabei.
Titelbild von Eva Rinaldi

Ich kenne den Menschen meines Alters wie er sein sollte. Er trägt einen Rosschwanz, lacht viel und springt vom Lachen oft in ein irres Kichern. Er nimmt das Leben easy, spielt gerne Fussball, erzählt Anekdoten von Verrückten, die in seine Wohnung eindringen und im ersten freien Bett, das sie finden, übernachten (nicht ohne, dass sie vorher die Küchenwände mit Avocado-Fleisch tapezieren). Der Idealmensch siegt auf dem Retro-Pinnball-Kasten in seinem Estrich jedes Mal … Uuund: Er studiert. Allerdings ohne übermässigen Stress. Früher hat er auch gekifft, da habe ich geglaubt, dass er wegen der Droge so ausgeglichen ist. Aber nein, als er vor etwa einem Jahr mit dem Kiffen aufgehört hat, hat sich seine Persönlichkeit nicht verändert.

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Es gibt solche Menschen. Sie sind rar. Und noch rarer sind Menschen, die mit einem solchen Leben auch noch glücklich sind. Die meisten von uns arbeiten sich kaputt und suchen sich einen Ausgleich dazu.

Vatermord

Einer der Gründe, weshalb wir das tun, sind unsere Eltern. Mein Vater hat mir mal einen Kompressor in seiner Firma gezeigt. Er meinte: „So viel wie dieser Kompressor kostest du mich jedes Jahr." Der Kompressor war nicht beeindruckend gross, aber trotzdem ist mir die Aussage geblieben. Unsere Eltern haben etwas erreicht—oder auch nicht—jedenfalls verhalten wir uns dazu. Und sich dazu verhalten heisst in den meisten Fällen, die Eltern beeindrucken zu wollen.

Da aber die meisten nicht in die Fusstapfen ihrer Eltern treten—ich werde in meinem Leben wohl nie einen Kompressor auch nur leasen—sondern etwas ganz anderes machen, gibt es dafür auch keine Massstäbe. Und keine Grenzen gegen oben. Auch weil wir unsere Eltern eigentlich gar nicht mehr ernst nehmen und zu wenig sehen, um mit ihnen mehr zu teilen als solche Sentenzen. Viele von uns können mit ihnen kein Gespräch mehr führen, also, sie können mit ihnen sprechen, aber das läuft gemeinhin so platt oberflächlich ab wie Gespräche ablaufen müssen, die mit dem Satz „Und hast du grade viel zu tun?" beginnen. Also können wir sie nur übertrumpfen und das auch nur in einem Schattenkampf gegen uns selbst, denn wir können uns ja nicht mit Menschen messen, die für ihre Arbeit ein Heer aus Luftkompressoren brauchen.

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Foto: Alex Bellink | Flickr | CC BY 2.0

Obwohl wir eigentlich wissen, dass Mami und Papi in die bequemste Generation aller Zeiten geboren worden sind: Unsere Eltern sind Babyboomer. Sie hatten den Föifer und s Weggli. Sie durften „18 Semester Backgammon studieren"—wie Rainald Grebe singt—und fanden trotzdem einen Job. Ich hab sechs Semester studiert, aber trotzdem habe ich in allen Semesterferien die Fragen gehört, wie lange das jetzt noch dauern soll—und vor allem, wie teuer das werde.

Wie uns Alkohol fleissiger macht

Es kann auch sein, dass es du gut hast mit deinen Eltern und jeden Sonntag zum Familienessen gehst. Aber selbst wenn du Sonntagabend brav zu Tisch sitzt, bist du noch immer 6.5 Tage pro Woche auf dich allein gestellt (ausser du hast das Glück/Peck, dass dir fixe Werte vom Elternhaus oder einer Pop-Kirche eingeimpft wurden). Zu diesen 6.5 Tagen gehören Donnerstagnacht, Freitagnacht, Samstagnacht. Natürlich gibt es die Spezies fleissiger Menschen, die all diese Nächte mit Arbeit füllen oder früh ins Bett gehen. Es gibt aber auch ganz viele Menschen, die diese Nächte mit einer individuellen Mischung aus Alkohol, Tabak und Cannabis füllen. Und ich behaupte, diese Menschen sind die krudesten Leistungsträger.

Foto von Evan Ruetsch

Ob Ritalin oder ein Feierabendbier: Beides nimmt dir das Bewusstsein dafür, dass du arbeitest. Beides pusht deine Leistung. Hast du schon mal einen verkaterten (oder sogar noch besoffenen) Tag durchgearbeitet? Wenn ja, kennst du den Stolz darüber, dass du die Biochemie deines Körpers überwunden hast. Dein Hirn sagt: Schlafen! Dein Hirn sagt: Keine Leistung! Du bringst Leistung und hast am Abend einen chemisch induzierten Ausgleich. Ich kenne Journalisten und andere ach so junge, ach so ambitionierte Menschen, die 100h-Horror-Arbeitswochen nur durchhalten, weil sie jeden Abend um 00:30 Uhr an einem Joint nuckeln können. Wir suchen uns nicht mehr Relax-Beschäftigungen, die uns glücklich machen, sondern Substanzen. Das ist bequemer. Und damit sind wir gleich verloren wie die jungen Japaner, die Porno echtem Sex vorziehen, da sie sich so besser auf ihre Karriere konzentrieren können.

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Immerhin gehen wir nicht nach Ibiza.

Ironie: Sogar für aufwendigere Drogen fehlt uns die Zeit. Ich möchte eigentlich seit vier Monaten einen schönen Samstag auf MDMA verbringen und komm einfach nicht dazu.

Die Arbeit neben der Arbeit

Aber natürlich funktionieren wir auch nicht so, dass wir uns zwölf Stunden in einem Büro im Legebatterien-Stil abrackern. Oder dass wir unsere Seminararbeiten in 5 x 48-Stunden Spurts runterrattern. Nein. Wir haben alle eine Beschäftigung, die uns Geld einbringt. Die kann erfüllend sein. Wenn sie das nicht ist, studieren wir zusätzlich ein Fach, das den Anspruch hat, erfüllend zu sein. Aber das ist nur das Basic-Set. Die Booster-Packs sind die Hobbys, die eben doch etwas mehr sind als Hobbys. Weil: Wer will schon einfach einen freien Tag auf einem Mäiensäss verbringen, wenn er eine Hochgebirgsklettertour machen kann, die ihm die Endorphinschübe gibt, nach denen er in der Alltagstätigkeit giert? Weil: Wer will schon einfach etwas Gitarre spielen? Wir müssen mindestens so Gitarre spielen können, dass wir in der Teil-Szene einer Teil-Alternativszene unserer Stadt akzeptiert werden.

Und wenn wir arbeiten, ergeben sich zig Nebenprojekte aus unserer Arbeit. Und wenn wir studieren, lernen wir ganz viele tolle Leute kennen, die das oder das machen oder irgendwas anbieten. Fuck—wieso können wir nicht einfach mal ein Wochenende lang Jenga spielen?

Die beschissene Leichtigkeit des Seins

Es ist nicht die „Leichtigkeit des Scheins", sondern wirklich die „Leichtigkeit des Seins". Denn unser Sein ist ach so leicht. Das Sein bringt abgesehen von zwei, drei Kindheitstraumata keine Verpflichtungen oder Probleme mit sich. Wir können weitgehend erfinden, was wir wie wo wann sind. Der Knackpunkt ist: Wir haben nur das. Wir haben nur uns. Wir sind doofe Ich-Ags. Wir sind die dumme, tanzende Masse um 6:00 Uhr in der Früh im übelsten Electroclub, wo jeder wirklich nur noch für sich tanzt und auch die Libido komplett weggedrogt ist.

Utopie Rheinufer; Foto von Diana Pfammatter

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Die grosse Lüge, die das ermöglicht: Wir glauben, dass wir feiern, tanzen und leben. Wir machen den Hedonismus zu unserem Leitprinzip—nennen ihn je nach Niveau YOLO, Generation Rettich oder „Zeitsouveränität". Wir lehnen Leistung ab, um dann fünf Stunden in der Dämmerung (Morgen oder Abend egal) zu schlafen und erbringen dann wieder Leistung. All die Nachhaltig/Vegan/Faul-leben-Initiativen—vom Antikarriere-Magazin transform bis zum bedingungslosen Grundeinkommen—sind der grösste Beweis dafür, denn wenn wir einfach faul sein möchten, müssten wir dafür keine Medien, Supermärkte oder Gemeinschaftsgärten gründen. Wir wären dann einfach faul.

In einer idealen Welt sässen wir am Rheinufer.

Benj auf Twitter: @biofrontsau

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelbild: Eva Rinaldi | Flickr | CC BY-SA 2.0