Chinas ‚Krebsstädte‘—Fotos einer bedrückenden Szenerie

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Chinas ‚Krebsstädte‘—Fotos einer bedrückenden Szenerie

In einigen chinesischen Städten ist die Umweltverschmutzung inzwischen so schlimm, dass dort in jedem zweiten Haushalt jemand an Krebs oder an einer Atemwegserkrankung stirbt. Der Fotograf Souvid Datta hat das Elend dokumentiert.

Souvid Datta, ein Fotojournalist aus dem Vereinigten Königreich, kam schon in jungen Jahren mit dem Thema „Chinesische Luftverschmutzung" in Berührung. Während seiner Internatszeit starb der jüngere Bruder eines guten Freundes mit 16 Jahren an Lungenkrebs. Die Familie kam aus China und ihr Arzt vermutete, dass Feinstaub mit der Bezeichnung PM2,5 (das bedeutet, dass er maximal 2,5 Mikrometer groß ist) für seinen Tod mitverantwortlich war. Wenn man diese winzigen und oftmals giftigen Partikel einatmet, dann durchdringen sie die Lungenmembran und gelangen so in den Blutkreislauf. Sie verursachen zwar nichts zwangsläufig Krebs, fallen aber überall dort an, wo Kohle verbrannt wird. Das bedeutet, dass PM2,5 in China inzwischen einfach dazugehört.

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Souvid behielt seine Lektion im Fach Umweltverschmutzungs-Terminologie immer im Hinterkopf und Jahre später sprang ihm beim Dokumentieren des Problems ein weiterer ungewöhnlicher Ausdruck ins Auge, der so leider nur in China existiert: Krebsstädte. Daraufhin reiste Souvid monatelang durch diese bedrückenden Gegenden und kam mit einer Menge Fotos wieder nach Hause. Wir haben uns zusammengesetzt und über Themen wie Umweltverschmutzung, Krebs und Hoffnung geredet.

Ein am Stadtrand von Peking gelegenes Stahlwerk der Shuogang-Gruppe pumpt Abwasser in einen ausgetrockneten See.

VICE: Kannst du uns erklären, was genau eine „Krebsstadt" ist?
Souvid Datta: Krebsstädte sind Orte, die aufgrund der Tatsache, dass sie von Chemie-Fabriken oder Kohlekraftwerken umgeben sind, mit verseuchter Erde und einer verschmutzten Wasserversorgung zu kämpfen haben. Die meisten Probleme verursachen dabei die Schwermetalle. In ganzen Städten stirbt in jedem zweiten Haushalt ein Mensch an Krebs oder an irgendeiner Atemwegserkrankung.

Wie bist du auf diese Orte gestoßen?
Ich habe mit der Hilfe von NGOs viel recherchiert und auch durch örtliche Reportagen, die sozialen Medien und Google Maps einiges gefunden. Als ich dann jedoch dort ankam, musste ich meine Pläne wieder über den Haufen werfen. Viele Helfer und NGOs sprangen plötzlich ab und mir wurde klar, was alles dazugehört, dort den Mund aufzumachen.

Ein Mann trauert am Stadtrand von Xingtai um seinen verstorbenen Bruder.

Wie bist du dann vorgegangen?
Xingtai im Nordosten Chinas wurde 2013 zur Stadt mit den größten Umweltverschmutzung erklärt, deshalb bin ich dort zuerst hin. Ich war ohne Organisator oder Dolmetscher unterwegs. In meinem Hotel gab es nur eine Frau, die etwas Englisch sprach, und sie willigte zum Glück ein, mir die Gegend zu zeigen. Am Stadtrand stießen wir dann auf einen Mann namens Zhang Wei, der vor dem Grab seines Bruders kniete. Die Todesursachen waren Lungenkrebs und eine Chromvergiftung. Als ich mich mit diesem Mann unterhielt und von seiner Geschichte hörte, fügte sich alles zusammen. Meine Beweggründe für die Reise wurden dadurch nur nochmals bestärkt. Ich hatte das Gefühl, da auf etwas Großes gestoßen zu sein, das ich mit der Welt teilen musste.

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Bist du durch die Verschmutzung selbst krank geworden?
Im Sommer leide ich manchmal an Heuschnupfen. In Xingtai habe ich schon nach ein paar Tagen echt komischen Schleim abgehustet und meine Spucke war von braunen Feststoffen durchzogen. Ich will mir kaum vorstellen, wie es ist, dort zu leben.

Was hatten die Bewohner zu dem ganzen Thema zu sagen? Wollten sie überhaupt darüber reden?
Ja, dort sind viele Leute richtig wütend und wollen, dass man ihre Geschichte in die Welt trägt. Das überraschte mich total, denn vor meiner Reise wurde mir immer gesagt, dass man dort über so etwas nicht reden würde. Es war jedoch überhaupt kein Problem, in den ländlichen Gegenden—wo die Umweltprobleme am größten sind—verärgerte Menschen zu finden. Jeder kennt irgendjemanden, der von dem Ganzen betroffen ist.

Vor zwei Jahren ist Guan-yins Ehemann an Magenkrebs gestorben. Seitdem setzt sie sich für Veränderungen ein. Sie sagt, dass sie ständig von den Behörden schikaniert wird.

Welche Konsequenzen hat man zu fürchten, wenn man seine Stimme erhebt?
Nun ja, dann wird man entweder eingeschüchtert oder einfach abgeschirmt. Das ist ganz typisch dafür, wie die chinesische Regierung in den vergangenen 15 Jahren mit diesem Thema umgegangen ist.

Ein Angestellter und ein maßstabsgetreuer Nachbau des riesigen Geschäftsviertels von Peking

Wie waren die Reaktionen auf die Fotos?
Die Hauptreaktion war wohl Wut, was ich sehr gut finde. Genau diese Reaktion will ich damit nämlich provozieren. Wenn man sieht, wie diese Menschen gegen total abstrakte und mächtige Unternehmensriesen kämpfen, die sie ihres Grundrechts auf sauberes Trinkwasser berauben, dann sollte man auch wütend werden.

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Ein Mann blickt in Richtung des Geschäftsviertels von Shanghai.

Jaw-long spielt mit seinen kleineren Freunden. Die Fotos im Hintergrund zeigen seinen Vater und seinen Onkel, die beide an Atemwegserkrankungen gestorben sind.

Die Sonne geht über einer Textilfabrik in Ningbo auf.

Kinder aus Xingtai

Dieses Bild zeigt Jamyang, die nach dem Tod ihres Sohnes und ihres Ehemanns in einen Pekinger Slum gezogen ist.

Das Abwasser von Textilfabriken ist oftmals blau oder lila.

Ein Mann durchsucht in Tianjin eine Müllhalde nach Metallschrott.

Ein Wintermorgen in Peking

Zwischen drei und fünf Uhr nachts werden in Yinzhou die Abwässer der Fabriken in einen See gepumpt.

Kinder in Ost-Peking

In Ningbo verwenden die am Fenghua-Fluss wohnenden Menschen das verschmutzte Wasser zum Wäschewaschen.

Pendler auf ihrem Weg von Xingtai nach Peking

Pekings zweitgrößte illegale Müllhalde

Chinas Überbevölkerung spielt bei der Umweltverschmutzung eine große Rolle.

Auf diesem Bild ist ein zugefrorener künstlicher See in Xingtai zu sehen. Unter dem Eis kann man den Müll erkennen.