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Der Po-Grapscher bei ,GNTM' geht jedem am Arsch vorbei

Wolfgang Joop hat letzten Donnerstag Model Lisa begraptscht—und es gab keinen Aufschrei und keine Empörung. Unsere Autorin hat die Szene aber ziemlich wütend gemacht.

Foto: Hot Gossip Italia | flickr | cc by 2.0

Die Klapse sind weder zu übersehen noch zu überhören. Wolfgang Joop begraptscht Lisa, das junge Model in der Pelzjacke, am imitierten Red Carpet, auf dem Lisa, Darya, Jüli und Ajsa gerade Joops Kreationen vor der zweiköpfigen Jury präsentieren. Wer das am besten schafft, darf den Modeschöpfer zu einer exklusiven Party begleiten. Am Ende wird Lisa ausgewählt. Ihr Frischfleisch hat der Prüfung des wackeren 70-Jährigen standgehalten. Die jungen Frauen lächeln über die Belästigung hinweg. Ko-Juror Thomas Hayo tut, als würde er nichts von alldem bemerken.

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Mich hat diese kleine Szene so aufgeregt, dass ich mir die Szene der letzten Vor-Final-Folge von Germany's Next Topmodel online ein zweites Mal angesehen habe. Vielleicht in der Hoffnung, doch irgendwas falsch verstanden oder nicht richtig gesehen zu haben. Aber der Vorfall war auch in der Wiederholung noch da.

Ich googlete und fand keinen einzigen #aufschrei, nicht mal eine kleine Erwähnung. Dabei ist die Folge schon mehrere Tage alt. Alle müssen es gesehen haben, aber es regt niemanden auf. Das ist vor allem deshalb sonderbar und grotesk, weil Germany's Next Topmodel sowieso unter Generalverdacht steht und die Pograpsch-Debatte in den letzten Monaten die Medienlandschaft dominiert hat. Andererseits ist das vielleicht auch der Grund, warum niemand solche „Kleinigkeiten" bemerkt (oder bemerken will): Es gäbe einfach zu viel, worüber man sich aufregen könnte, und in diesem Meer gehen Einzelfälle eben schneller unter.

Screenshot via ProSieben.at

Hand aufs Herz: Mich persönlich haben diese Schlachtfelder bis jetzt nicht gerade in Kampflaune versetzt. Die Diskussion um den Belästigungs-Paragraphen fand ich zu lächerlich, um sie ernst zu nehmen. Ein juristischer Diskurs, der à la Trackshittaz mit dem Vokabular aus „Woki mit deim Popo" geführt wird, kann mich nicht wütend machen. Da schlägt einfach mein hämischer infantiler Humor durch. Ähnlich bei Germany's next Topmodel. Die permanente Kritik daran hat zwar kurzfristig mein ziemlich verschlafenes moralisches Gewissen geweckt, aber gleich danach hat sich ziemlich rasch mein faules Ego durchgesetzt. Die allabendliche Berieselung ist einfach viel zu angenehm und entspricht schließlich „eh nicht meiner politischen Haltung". Soweit kommt es noch, „dass man auch im Fernsehen politisch korrekt sein muss".

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Die Screenshots haben mich unsanft auf den Boden der handfesten Tatsachen zurückgeholt und ziemlich wütend gemacht. Es kann ungut werden, dass wir Geschehnisse auf der Ebene einer schlecht gedrehten Realityshow nicht genauso kritisch betrachten wie etwa wissenschaftliche Aussagen. De facto haben sie nämlich einen entscheidenden Einfluss auf unsere Sichtweise.

Werfen wir noch mal einen Blick auf die Sequenz in der aktuellen Folge. Ausgerechnet der liebenswerte Sympathieträger Wolfgang Joop bringt mich regelmäßig zum Speiben. Gerade er ist es, der immer wieder die unmöglichsten Kommentare schiebt. Ja, Wolfgang Joop ist authentisch und menschlich OK—er verhilft zumindest einigen Kandidatinnen auf die großen Laufstege. Aber er ist auch beängstigend und bestätigt immer wieder, was an dieser Industrie so abstoßend ist: Nicht, dass man Sport treiben und wenig essen soll—jedem Job seine Anforderungen—und auch nicht die vielen Klischees, die man gegenüber Models hat und die GNTM manchmal viel zu bereitwillig bestätigt. Sondern dass man sich auch 2015 noch behandeln lassen muss wie eine Sexpuppe, um so einen seriösen, harten Job machen zu können.

Auch schon in der letzten Folge schlachtete GNTM aus, dass Nathalie Volk ihren Lieblingsjuror wiederholt auf den Mund küsste. Aber das war wenigstens ihre aktive Entscheidung. Begrapschen ist hingegen kein Kavaliersdelikt, sondern ein sexueller Übergriff. Ich weiß, dass die Grenze manchmal nicht leicht zu ziehen ist. Aber in diesem Fall würde mir hoffentlich selbst Marcus Franz zustimmen. Ein alter Mann, der minderjährige Mädchen, die völlig von seinem Wohlwollen abhängig sind, reihenweise abklopft? Es sollte sich erübrigen, zu betonen, dass man den Mädchen in dieser Situation keine Mitschuld unterstellen kann.

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Mag sein, dass GNTM ganz gut auf den frauenfeindlichen Modelalltag vorbereitet. Aber hier wird dieser nicht differenziert beleuchtet, sondern als wünschenswerter „American (Model) Dream" präsentiert. Die Sendung zeigt nicht, was wir einmal unseren Töchtern mitgeben wollen. Unsere Kleinen werden nämlich aufstehen, zur Schule gehen, sie werden sich wie wir mit einem gefälschten Ausweis in den Club schmuggeln und nachher allein betrunken heimwärts torkeln. Sie werden miese Sommerjobs machen. Und dabei sind sie immer wieder mit Anmachen konfrontiert—von Lehrern, älteren Typen, Vorgesetzten, Verwandten von Freundinnen. Und sie sollen wissen, das man sich wehren darf, kann und soll. Kindern muss man vor allem eines beibringen: Nur weil etwas normal ist, ist es noch lange nicht OK.

GNTM bildet eben nicht einfach nur ab, was passiert—es bestimmt mit seiner Inszenierung, wie wir die Dinge sehen. Das bedeutet auch Verantwortung.

Zwar hat Germany's Next Topmodel das Böse nicht erfunden, die Sendung ist aber trotzdem mehr als ein bloßes Symptom dessen, was in unserer Gesellschaft falsch läuft. 2014 haben sich 1,8 Millionen Menschen der „werberelevanten Zielgruppe" zwischen 14 und 49 Jahren Germany's Next Topmodel angesehen. Das ist immer noch eine bedenklich hohe Zahl—auch, wenn es die niedrigste der 9 Staffeln umfassenden Geschichte ist. Mit so einer Reichweite kommt eben auch Verantwortung. Und GNTM bildet eben nicht einfach nur ab, was passiert—es bestimmt mit seiner Inszenierung auch, wie wir die Dinge sehen (vor allem in Bezug auf die Modelwelt, aber auch darüber hinaus). Gerade deshalb ist es für mich wirklich schockierend, dass eine so übergriffige Szene nicht mal mehr wahrgenommen wird, weil wir an solche Bilder anscheinend einfach gewöhnt sind.

Das Problem wird noch deutlicher, wenn wir uns fragen, warum die Szene nicht rausgeschnitten wurde. Ich glaube nicht mal, dass man damit ein Statement setzen oder „erfrischende Direktheit" zeigen wollte. Ich habe einen noch traurigeren Verdacht: Es ist gar nicht aufgefallen. Niemandem. Denn Sexismus im Alltag ist eine Normalität und Anzüglichkeiten am Set, am Arbeitsplatz, sind für die Models offenbar keine Ausnahme. Auch die ZuschauerInnen haben nichts gesehen. Das sollte ein Alarmsignal sein. Der Paragraph 218 und der Aufruhr um ihn sind also doch essentiell—damit wir endlich hinschauen.

Bleibt noch eine letzte Frage. Wie sollen wir jetzt mit der Sendung umgehen, jetzt wo wir uns dem Finale nähern? Die Antwort ist nicht einfach. Eigentlich sollten wir meiner Meinung nach natürlich aufhören, dieses idiotische Format zu schauen. Das Problem ist nur, dass dann noch weniger Leute auf solche Szenen aufmerksam machen würden—man kann das Feld also nicht einfach den unkritischen Fans überlassen. Und wenn wir uns ehrlich sind, funktioniert die Sendung als Guilty Pleasure einfach viel zu gut—sie entbindet einen davon, sich ständig clever fühlen und intellektuell profilieren zu müssen und lässt einen einfach nur den Bullshit dieser fiktiven Modelwelt genießen (und sich gleichzeitig darüber aufregen).

Aber selbst, wenn wir GNTM aus Hassliebe nicht abschütteln können, sollten wir es nicht gut oder geil finden. Wenn wir schon nichts an unserer Schwäche ändern können, sollten wir zumindest auf unsere Haltung achten. Wir sollten die Sendung so behandeln, wie wir auch eine unangenehme Sucht behandeln würden: Ja, sie ist da, ja, sie ist schwierig wegzubekommen, aber solange wir sie nicht loswerden, sollten wir sie zumindest als Mahnung begreifen. Wir sollten sie nicht feiern. Wir sollten aufmerksam sein, uns schämen, uns radikalisieren. Wir sollten lästern, auf sie hinweisen, Leute warnen. Wir sollten uns aufregen—über Heidi, über Wolfgang, über uns selbst.