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Zwar hat Germany's Next Topmodel das Böse nicht erfunden, die Sendung ist aber trotzdem mehr als ein bloßes Symptom dessen, was in unserer Gesellschaft falsch läuft. 2014 haben sich 1,8 Millionen Menschen der „werberelevanten Zielgruppe" zwischen 14 und 49 Jahren Germany's Next Topmodel angesehen. Das ist immer noch eine bedenklich hohe Zahl—auch, wenn es die niedrigste der 9 Staffeln umfassenden Geschichte ist. Mit so einer Reichweite kommt eben auch Verantwortung. Und GNTM bildet eben nicht einfach nur ab, was passiert—es bestimmt mit seiner Inszenierung auch, wie wir die Dinge sehen (vor allem in Bezug auf die Modelwelt, aber auch darüber hinaus). Gerade deshalb ist es für mich wirklich schockierend, dass eine so übergriffige Szene nicht mal mehr wahrgenommen wird, weil wir an solche Bilder anscheinend einfach gewöhnt sind.Das Problem wird noch deutlicher, wenn wir uns fragen, warum die Szene nicht rausgeschnitten wurde. Ich glaube nicht mal, dass man damit ein Statement setzen oder „erfrischende Direktheit" zeigen wollte. Ich habe einen noch traurigeren Verdacht: Es ist gar nicht aufgefallen. Niemandem. Denn Sexismus im Alltag ist eine Normalität und Anzüglichkeiten am Set, am Arbeitsplatz, sind für die Models offenbar keine Ausnahme. Auch die ZuschauerInnen haben nichts gesehen. Das sollte ein Alarmsignal sein. Der Paragraph 218 und der Aufruhr um ihn sind also doch essentiell—damit wir endlich hinschauen.Bleibt noch eine letzte Frage. Wie sollen wir jetzt mit der Sendung umgehen, jetzt wo wir uns dem Finale nähern? Die Antwort ist nicht einfach. Eigentlich sollten wir meiner Meinung nach natürlich aufhören, dieses idiotische Format zu schauen. Das Problem ist nur, dass dann noch weniger Leute auf solche Szenen aufmerksam machen würden—man kann das Feld also nicht einfach den unkritischen Fans überlassen. Und wenn wir uns ehrlich sind, funktioniert die Sendung als Guilty Pleasure einfach viel zu gut—sie entbindet einen davon, sich ständig clever fühlen und intellektuell profilieren zu müssen und lässt einen einfach nur den Bullshit dieser fiktiven Modelwelt genießen (und sich gleichzeitig darüber aufregen).Aber selbst, wenn wir GNTM aus Hassliebe nicht abschütteln können, sollten wir es nicht gut oder geil finden. Wenn wir schon nichts an unserer Schwäche ändern können, sollten wir zumindest auf unsere Haltung achten. Wir sollten die Sendung so behandeln, wie wir auch eine unangenehme Sucht behandeln würden: Ja, sie ist da, ja, sie ist schwierig wegzubekommen, aber solange wir sie nicht loswerden, sollten wir sie zumindest als Mahnung begreifen. Wir sollten sie nicht feiern. Wir sollten aufmerksam sein, uns schämen, uns radikalisieren. Wir sollten lästern, auf sie hinweisen, Leute warnen. Wir sollten uns aufregen—über Heidi, über Wolfgang, über uns selbst.GNTM bildet eben nicht einfach nur ab, was passiert—es bestimmt mit seiner Inszenierung, wie wir die Dinge sehen. Das bedeutet auch Verantwortung.