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Was ich an der Basler Fasnacht liebe

Während die Mystik der eben verflogenen Nacht noch immer in der Luft hängt, warten wenige Meter weiter triste Gesichter auf das „Drämmli", das sie zur Arbeit karrt.
Foto von Dominique Ernst

Joël Gernet ist Vorträbler und Zeedel-Dichter der Fasnachtsclique onYva und MC bei Brandhärd und TripleNine. Wir haben schon seine Musik gehört als wir 12 waren und freuen uns dementsprechend, dass er für uns schreibt.

Montagmorgen irgendwann nach acht Uhr, Barfüsserplatz Basel. Mein Bier funkelt golden im Sonnenschein. Während die Cliquen-Freunde vor dem „Braunen Mutz" vom perfekten Morgestraich schwärmen, vom milden Wetter, den tausenden Schaulustigen und, vor allem, von den einsamen Umläufen durch die verlassenen Gassen der erwachenden Stadt. Während die Mystik der eben verflogenen Nacht noch immer in der Luft hängt, warten wenige Meter weiter triste Gesichter auf das „Drämmli", das sie zur Arbeit karrt. Kostüme und Heiterkeit gegen Krawatten und Hektik—was für ein Kontrast.

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Die armen ÖV-Nutzer kommen einem vor wie Aliens aus einer weit entfernten Galaxie. Tatsächlich aber sind natürlich die Fasnächtler von einem anderen Stern. Sie beleben ein surreales Universum mit eigenen Gesetzen und Geschichten. Es ist Ausnahmezustand, zumindest für drei Tage. Während der „drey scheenschte Dääg" fühle ich mich eins mit der Stadt, bin mit mir und der Welt im Reinen. Sogar mit all den Trotteln, denen man auch an der Fasnacht über den Weg läuft.

Alle Fotos von Dominique Ernst

Es ist ein spezieller Zustand, dessen Magie sich mir—zum Glück—noch immer nicht richtig erschlossen hat. Eine mysteriöse Mischung aus Schlafmangel, Gruppendynamik und einem gepflegten Rausch, der nie überhand nimmt, da man als Cliquenmitglied ja in regelmässigen Abständen durch die Stadt marschiert und die Pausen in der Regel zu kurz sind, um sich ins Nirvana zu ballern. Ein Mix aus Melancholie und Glückseligkeit.

Ich rede hier nicht vom Cortège, den Nachmittags-Umzügen, die man bequem vom Sofa aus im Staatsfernsehen verfolgen kann und die für viele Tambouren und Pfyfferinnen eher ein notwendiges Übel darstellen. Immerhin haben die Passanten Freude. Und vom Comité, eine Art Fasnachts-FIFA, gibts einen Batzen in die Cliquenkasse—sofern man brav dem Routenplan entlangzottelt und ein originelles Sujet präsentiert. Nein, der Cortège ist das Schaulaufen der Wagen und Guggenmusiken. Ich aber denke bei der Fasnacht an die magischen Stunden zwischen Dämmerung und Morgengrauen. Stunden, in denen man mit der Clique einsame Runden durch die Altstadtgassen zieht. Vom Rümelinsplatz über die Schnabelgasse hoch zu Spalen-, Heu- und Gemsberg. Hin und zurück. Immer wieder. Vorne die Vorträbler, hinten der Tambourmajor und das Spiel.

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Durch die Gucklöcher der Larve sieht man die Häuser der Stadt plötzlich mit ganz anderen Augen. Balken und Giebel, Figuren und Wandmalereien, Fensterläden und Türklinken—Spuren der Stadt, die einem sonst nie auffallen. Während unter der Larve der biergeschwängerte Atem kondensiert und sich die Füsse ihren Weg über das Kopfsteinpflaster bahnen, mutierten die engen Gassen zum Klangkörper: Einzigartig, diese virtuose Wucht, erzeugt von Dutzenden Trommeln und Piccolos, die im Gleichschritt ihren Marsch an die Altstadt-Fassaden schmettern. Hühnerhaut und Freudentränen—in diesen Momenten der Poesie keine Seltenheit. Meine Liebste wird das nie verstehen. Vielleicht ist sie eifersüchtig, dass mein Herz drei Tage lang einzig und allein Frau Fasnacht gehört.

Nicht immer war meine Fasnacht so harmonisch. Es gab eine Zeit, in der ich jedes getrunkene Bier mit einem wackligen Strichli in der Larve rapportiert habe. Ich war ein tumber Teenager, der die ungeschriebenen Fasnachtsgesetze reihenweise bricht. Nichtsahnend. Jedem hübschen Myggeli am Strassenrand wurde mit Inbrunst gewunken—trotz (oder gerade wegen) Larve und erhaben marschierender Formation. Leere Flaschen waren Wurfgeschosse, mit denen man Laternen löschen konnte. Kein Wunder, durften wir jungen Wilden abends bei der Stammclique nur hinterher trotten. Vorne die Stars mit ihren Trommeln und Piccolos, hinten die Aussätzigen.

Dass „Fasnachts-Faschos" gar nicht amüsiert waren über meine Kapriolen, konnte ich damals nicht verstehen. Die Stadt war doch im Ausnahmezustand! Heute bin ich selber so eine Spassbremse. Zumindest solange die Clique marschiert. Ist ja schliesslich nur einmal im Jahr Fasnacht, da will man sich die „drey scheenschte Dääg" nicht von halbstarken Trunkenbolden vermiesen lassen. Vor allem nicht die subtilen, leisen Augenblicke voller Poesie und Magie, in denen die Fasnacht zelebriert wird und man mit der Stadt verschmilzt. Vom Morgen- bis zum Ändstraich.

Wenn meine Cliquen-Freunde am kommenden Montagmorgen auf dem Barfi den Fasnachstauftakt begiessen, werde ich mich wehmütig zum Bahnhof kämpfen. Ich bin jetzt eines dieser armen Arbeitstiere, unterwegs zur Arbeit nach … Ach, lassen wir das. Aber sobald mich der Züri-Zug am Montagabend wieder ausspuckt am Rheinknie, geht es unverzüglich auf die Gasse. Magische Momente, die dann ganz besonders genossen werden.

Joël auf Twitter: @FetchOnFire

Die Fotoausstellung «fasNACHT» von Dominique Ernst wird noch bis am 7. März in der Galerie Rosshof an der Rosshofgasse 5 in Basel gezeigt (Mo.-Fr. 14h-18h, Sa. 11h-18h).