Wir haben 'Curvy Supermodel' mit Curvy Supermodels geschaut

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Popkultur

Wir haben 'Curvy Supermodel' mit Curvy Supermodels geschaut

Und sie haben die Show zerlegt.

Wenn RTL II sich zum Heilsbringer für die Verunsicherten und Ungeliebten dieser Welt aufschwingt, wird der geübte Trash-Fernsehzuschauer hellhörig. "Neue Kurven braucht das Land", titelt der Sender und verspricht, mit Curvy Supermodel eine neue Castingshow, die auch Frauen gefällt, die laut dem Pressetext zur Sendung "durch das jahrzehntelange dominante Schönheitsideal mitunter verunsichert sind". Damit greift RTL II den Plus-Size-Trend auf, der die Modebranche in den letzten Jahren immer mehr verändert hat. Statt Größe 34 werben mittlerweile Models in Größe 44 für internationale Marken wie H&M oder Calvin Klein und mit Ashley Graham schaffte es 2016 zum ersten Mal ein kurviges Model auf den Titel der amerikanischen Sports Illustrated.

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Zum Fernsehabend haben wir uns Verstärkung geholt, und zwar in Form der Curvy Supermodels, die RTL II noch sucht. Caterina Pogorzelski und Asta Nowarra gehören zu den erfolgreichsten Plus-Size-Models und Bloggerinnen Deutschlands. Die beiden Berlinerinnen haben sich bereit erklärt, sich mit uns im Konferenzraum Curvy Supermodel anzuschauen. Mit ihnen wollen wir rausfinden, ob die Show wirklich auf den Alltag eines curvy Models vorbereitet und was die Plus-Size-Community von der Show hält.

Asta (links) und Caterina (rechts)

Asta und Caterina haben sich schon öfter auf Modenschauen oder Blogger-Events gesehen, treffen sich aber auf der VICE-Couch zum ersten Mal privat. "Dich haben sie auch angefragt, oder?", will Asta von Caterina wissen. Noch vor den offiziellen Castings, so berichtet Asta, hätten die Redakteure von RTL II viele Bloggerinnen aus der Plus-Size-Community kontaktiert und versucht, sie zu einer Teilnahme zu bewegen.

Asta schreibt auf ihrem Blog RolyPolyWarderobe seit zwei Jahren zu den Themen Mode und positives Körpergefühl. "Am Anfang waren das Bloggen und mein Instagram-Account ganz klar eine Selbsttherapie für mich", erzählt die 29-Jährige. "Mittlerweile möchte ich dazu beitragen, die Sehgewohnheiten der Menschen zu verändern." Um zu zeigen, dass auch Frauen jenseits von Größe 36 ihren Körper lieben können, postet Asta für ihre bald 11.000 Instagram-Follower auch mal Aktbilder von sich oder tanzt in Netzstrumpfhose und High Heels durch ein Musikvideo von TheBossHoss. Für RTL II wollte sie sich aber nicht "zum Hampel machen" und lehnte ab.

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Caterina modelt und moderiert nicht nur, sondern versorgt auch noch nebenbei ihre 16.000 Instagram-Follower mit Fotos von ihren Shootings. Auf ihrem Blog Megabambi erzählt die 34-Jährige von ihrem Alltag als Plus-Size-Model und zeigt, wie man aktuelle Trends mit Größe 46/48 trägt. Den Erfolg ihrer Blogs erklären sich die beiden damit, dass sie keine 17-jährigen Mädchen auf Selbstfindung sind, sondern erwachsene Frauen mit viel Selbstbewusstsein. "Wenn wir in der Show mitgemacht hätten, wäre das wahrscheinlich auch ziemlich langweilig geworden", meint Asta. "Wir hätten ja keine Probleme damit gehabt, zu unseren Körpern zu stehen und in Bademode oder Ähnlichem zu modeln."

Die Kandidatinnen in der Sendung packen jedoch recht schnell die Selbstzweifel. Wie schon in der ersten Folge der Staffel erklären die Teilnehmerinnen fleißig, wie unglücklich sie mit ihren fülligen Figuren sind. "Wenn sie unzufrieden mit ihren Körpern sind, warum wollen sie dann Model werden? Die haben sie nur gecastet, damit sie die Geschichte vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan erzählen können", ärgert sich Asta.

Auch Caterina findet die Darstellung übertrieben: "Es gibt so viele Frauen, die ihre kurvigen Körper wirklich lieben und feiern, statt total von Selbstzweifeln zerfressen zu sein wie einige Mädchen in der Show. Die Frage nach dem mangelnden Selbstvertrauen wird in der Sendung viel zu oft thematisiert." Einige Kolleginnen von Asta und Caterina haben sich trotzdem entschieden, an der Show teilzunehmen. "Wahrscheinlich, weil sie gehofft hatten, dass es … anders wird", vermutet Asta. Anders als das, was gerade auf dem Bildschirm gezeigt wird.

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"Wenn du schon dick sein musst, dann mach wenigstens was draus."

In ihrer Modelvilla müssen die Mädchen mit Jurorin Motsi Mabuse Sport treiben und die 17-Jährige Aurelie wird dabei gefilmt, wie sie von einer Pflaume abbeißt und angewidert sagt: "Das schmeckt wie Scheiße." Später gibt die Modelanwärterin zu Protokoll: "Ich esse alles, was ungesund ist." Caterina schüttelt den Kopf über die Dicken-Klischees, die hier ausgewalzt werden. "Niedriger Selbstwert, kein Interesse an Sport oder gesunder Ernährung und natürlich noch, dass sie von Partnern nicht genügend geliebt werden", zählt die 34-Jährige auf.

Der große Aufreger der ersten Folge war schließlich, dass Kandidatin Michi sich von ihrem Freund angeblich anhören musste, dass sie jetzt zu den "Schönsten der Nicht-Schönen" gehören würde. Das dicke Mädchen, das von seinem Freund nicht geliebt wird, weil sie zu dick ist. Kandidatin Michi wehrte sich anschließend auf Facebook, man habe sie und ihre Beziehung falsch dargestellt.

In der Sendung sind die Kandidatinnen mittlerweile dabei, sich für ein Fotoshooting Wörter auf den Körper zu pinseln, die sie in der Vergangenheit geprägt haben. "Nilpferd", "fetter Arsch" und "Schlampe" steht auf Hintern und Brüsten, aber auch "Selbstliebe" oder "Familie". Nur mit den Worten und Bikinis bekleidet sollen die Mädchen in einer Fußgängerzone fotografiert werden, um ihnen mehr Selbstvertrauen zu geben. Für einen Moment scheint es, als würde es RTL II gelingen.

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Fotografieren soll schließlich Silvana Denker, die jahrelang selbst erfolgreich als Plus-Size-Model gearbeitet hat. Als Fotografin wurde sie durch das Bodylove-Projekt bekannt, in welchem sie Frauen aller Körpertypen im Bikini in deutschen Innenstädten fotografiert, um sich für mehr Vielfalt einzusetzen. Endlich mal ein echtes Vorbild aus der Branche, von dem die Mädchen was lernen könnten, da sind sich Caterina und Asta einig. Aber RTL II lässt Silvana kaum zu Wort kommen. Auch Plus-Size-Model und Jurorin Angelina Kirsch hält sich beim Fotoshooting mit Tipps zurück. Ob die Kandidatinnen von einem klum-inspirierten "Jetzt schrei mal richtig" oder einem "Lächle, sei sexy!" wirklich etwas lernen können?

"Sexy" ist das Stichwort für Asta und Caterina, um von ihren Erfahrungen aus der Branche zu berichten. Als übergewichtige Frau, sagen die beiden, müsse man "wenigstens" sexy sein, um akzeptiert zu werden. Und zudem immer gut gestylt und geschminkt. "Frei nach: Wenn du schon dick sein musst, dann mach wenigstens was draus", erzählt Caterina. "Ich habe in dieser Hinsicht Glück, denn ich hab eine Sanduhr-Figur und für meine Konfektionsgröße eher schlanke Arme und Waden. Aber wäre ich der eher androgyne Typ, hätte ich nie eine Chance gehabt." In der normalen Modebranche seien androgyne Models aber sowohl gefragt als auch erfolgreich.

Auf dem Bildschirm versuchen einige Kandidatinnen derweil immer noch, ihre Komplexe zu überwinden. Juror Ted Linow, der die spätere Siegerin in seiner Modelagentur mal unter Vertrag nehmen soll, wirkt dabei nicht sonderlich hilfreich. Seine fachmännischen Ratschläge belaufen sich auf: "Ein curvy Model darf nicht so zugefuttert aussehen." Asta bricht in Gelächter aus: "Schade, so mag ich mich am liebsten."

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Die Sendung zieht und zieht und zieht sich. Ein Format, das einfach nicht dazu gemacht ist, dass man ihm die ganze Aufmerksamkeit schenkt. Würde man nicht im VICE-Konferenzraum sitzen, könnte man wahrscheinlich exzellent seinen gesamten Kleiderschrank dazu bügeln. Aber wer sich voll auf die Sendung konzentriert, wird aufgrund des mangelnden inhaltlichen Anspruchs schnell darauf aufmerksam, wie billig die Sendung produziert ist: miese Beleuchtung, verwackelte Bilder, Unbeteiligte, die durchs Bild schlurfen.

Selbst der eigentliche Garant für Trash-TV-Höhepunkte, das Umstyling der Kandidatinnen, ruft nur den Wunsch nach einem großen Korb Bügelwäsche hervor. Aber immerhin bleibt Zeit, herauszufinden, warum man das Gefühl hat, die ganze Sendung schonmal gesehen zu haben: Tresor TV, die zuständige Produktionsfirma für Curvy Supermodel, gibt in ihrem Portfolio auch die Produktion der Germany's Next Topmodel-Staffeln 1-7 an.

"Nur, weil es jetzt auch dicke Models gibt, heißt es nicht, dass jeder, der dick ist, auch Model werden kann."

Caterina wartet immer noch darauf, dass die Kandidatinnen sich, wie im Pressetext versprochen, "in realen Castingssituationen" beweisen müssen. In Minute 34 fiel zumindest ein Mal das Wort "Kunde". Aber statt für einen zu modeln, führen die Kandidatinnen ihren Freunden und ihrer Familie Brautkleider vor. Caterina seufzt: "Familie und Emotionen zu filmen, ist ja auch viel wichtiger als ein Kunde." Motsi Mabuse erklärt mit ernstem Blick: "Das Laufen muss sie aber noch lernen." "Dann bring es ihr doch bei", sagt Caterina zunehmend genervt Richtung Moderatorin. "Im Ernst, erst suchen sie sich Kandidatinnen, die keine Modelerfahrung haben, dann bringen sie ihnen nichts bei und kritisieren sie schließlich, weil sie nichts können? Das ist doch ein bloßes Vorführen."

Die Spannungskurve fällt ins Bodenlose, aber auf Ted Linow ist und bleibt Verlass. Eine Kandidatin, die im bodenlangen Brautkleid eher schlecht als recht vorankommt, bezeichnet er, ohne mit der Wimper zu zucken, seinen Kollegen gegenüber als "Schlachtschiff". Finde den Fehler: Wenige Minuten zuvor sollten die Kandidatinnen sich verletzende Bezeichnungen wie "Nilpferd" auf ihren Körper schreiben, um ihr Selbstbewusstsein zu stärken und sich von diesen Zuschreibungen zu lösen. "Dieser Mann will angeblich das erste Plus-Size-Model für seine Agentur finden", sagt Asta, "aber er hat null Respekt vor Plus-Size-Models. Er ist einfach nur hinterfotzig."

Am Ende ist es Zeit für Kandidatin Julia, die Koffer zu packen, und für Caterina und Asta für ein Fazit. Für Caterina ist die Sache klar: "Plus-Size ist ein Trend und da ist RTL II mit aufgesprungen. Aber die Mädels werden nicht wirklich auf die Arbeit als Plus-Size-Model vorbereitet. Es wirkt eher wie eine Coaching-Show für Mädels mit tendenziell niedrigem Selbstwertgefühl." Beide sehen es kritisch, dass die Plus-Size-Branche als etwas dargestellt wird, in dem jeder Laie sein Glück versuchen kann.

Asta fasst es so zusammen: "Nur, weil es jetzt auch dicke Models gibt, heißt es nicht, dass jeder, der dick ist, auch Model werden kann. Es ist hart, sich mit einem fülligeren Körper der Öffentlichkeit auszusetzen." Für die Bikini-Fotos auf ihrem Instagram-Account hagelt es regelmäßig Hasskommentare. Auch Caterina warnt davor, die Plus-Size-Branche zu verklären: "Es ist wirklich niedlich, dass die Leute denken, in der Plus-Size-Branche wären alle total tolerant und bodypositive. Viele Menschen glauben wirklich, dass bei Plus-Size-Fotos nicht retuschiert wird. Ich habe mich selber immer so lange nur retuschiert auf Fotos gesehen, dass es ein riesiger Schritt für mich war, dieses Jahr damit anzufangen, unretuschierte Fotos auf meinem Instagram-Account zu veröffentlichen."

Gab es an der Sendung irgendwas, das euch gefallen hat? Stille im Raum. Dann meint Asta zögerlich: "Die Outfits von der Motsi Mabuse fand ich ganz süß." Wieder Stille. Caterina versucht es nochmal: "Viele Frauen, auch in der Plus-Size-Community haben gehofft, dass die Show wirklich etwas für ein positiveres Körperbild tut. Aber jetzt ist die Meinung eher: Tja, hätte klappen können." Dann ist wieder Stille im Raum. Auf RTL II versuchen anschließend die Teenie-Mütter, ihr Leben in den Griff zu bekommen.