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Ein alter japanischer Arzt, der Hiroshima überlebt hat

Ein 91-jähriger Arzt, ein hibakusha [die japanische Bezeichnung für „Atombombenüberleben-der“], erinnert den Rest der Welt seither unermüdlich an die Gefahren und die Bruta-lität von Atombomben.

Japan ist immer noch (zumindest war es das, als diese Ausgabe in Druck ging) das einzige Land auf dieser Welt, das einem Atomschlag zum Opfer gefallen ist. Seitdem die zwei Teufelsdinger vor 63 Jahren auf die Städte Hiroshima und Nagasaki niedergingen, leidet das Land still unter den Folgen. Ein 91-jähriger Arzt, ein hibakusha [die japanische Bezeichnung für „Atombombenüberleben-der“], erinnert den Rest der Welt seither unermüdlich an die Gefahren und die Bruta-lität von Atombomben. Sein Name ist Shuntaro Hida. Am 1. August 1944, also genau ein Jahr vor dem Abwurf der Bombe auf Hiroshima, wurde Dr. Hida als Militärarzt in das Armeekrankenhaus von Hiroshima entsandt. Er erlebte den Einschlag der Bombe nur fünfeinhalb Kilometer von ihrem Epizentrum entfernt und hat seitdem als Experte für die Behandlung von Atom-bombenopfern so ziemlich alles gesehen, was es auf diesem Gebiet zu sehen gibt. Dr. Hida kennt die Folgen der Bombe also nicht nur aus der Position von jemandem, der bei ihrer Detonation in nächster Nähe gewesen ist, sondern auch aus der fachlich qualifizierten Position eine Militärarztes. Es ist also nicht verwunderlich, dass bis zum heutigen Tag rund 6.000 Strahlungsopfer aus Japan und der ganzen Welt seinen Rat gesucht haben. Also, was genau ist an jenem schicksalhaften Tag in Hiroshima passiert? Vice sprach mit Dr. Hida, der sich noch an jedes kleine Detail dieses schrecklichen Tages erinnern kann. Vice: Wie ist es Ihnen gelungen, nicht direkt von der Bombe getroffen zu werden, obwohl Sie zum gleichen Moment in Hiro-shima waren?
Dr. Hida: In der Nacht des 6. August, der Nacht vor dem Bombenabwurf, lag ich auf meinem Futon und wollte gerade ein wenig schlafen, als mich plötzlich jemand wachrüttelte. Es war ein alter Mann, der aus dem Dorf Hesaka gekommen war, das ein paar Meilen von Hiroshima entfernt liegt. Seine Enkelin hatte einen Herzklappenfehler und litt häufig unter krampfartigen Anfällen. In dieser Nacht hatte sie einen neuen Anfall erlitten, also ließ ich mich von dem alten Mann auf dem Gepäckträger seines Fahrrads zu ihr bringen. Auf diese Weise habe ich also Hiroshima gerade noch rechtzeitig verlassen, um nicht direkt von der Bombe getroffen zu werden. Ich war der Strahlung ausgesetzt, aber nur aus fünf Kilometern Entfernung zum Epizentrum. Haben Sie den Moment, in dem die Bombe abgeworfen wurde, miterlebt?
Ja. Ich glaube, ich bin der einzige Mensch, der es mit seinen eigenen Augen gesehen hat und später über das Erlebte berichten konnte, da die meisten Menschen in Hiroshima starben, als sie den grellen Lichtblitz sahen. Lassen Sie mich erzählen, wie ich den Abwurf der Bombe sah. Ich hatte die Nacht im Haus des alten Mannes verbracht und mich um das Kind gekümmert. Am nächsten Morgen entschied ich mich dafür, ihr ein Beruhigungsmittel zu geben, bevor ich wieder ins Krankenhaus fuhr, denn wenn sie beim Aufwachen angefangen hätte zu schreien, hätte es sein können, dass sie gleich wieder einen Anfall erleidet. Ich nahm eine kleine Spritze aus meiner Tasche, hielt sie nach oben und presste etwas Flüssigkeit heraus, um die Luft rauszulassen. Plötzlich sah ich vor mir ein Flugzeug über Hiroshima fliegen. Das muss die „Enola Gay“ gewesen sein. Er-zählen Sie uns, was Sie sahen, als die Bombe auf Hiroshima fiel.
Das Erste, was ich sah, war das Licht. Es war so hell, dass ich für einen Moment völlig geblendet war. Gleichzeitig wurde ich von einer extremen Hitzewelle fast erschlagen. Die Bombe hatte bei ihrem Aufprall sofort eine Glutwelle von 2.000 Grad Celsius freigesetzt. Ich geriet in Panik, bedeckte meine Augen und warf mich auf den Boden. Ich konnte keine Explosion hören und auch die Blätter an den Bäumen hingen ganz still. Ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, also schaute ich vorsichtig aus dem Fenster in die Richtung, aus der ich den Lichtblitz gesehen hatte. Der Himmel war wolkenlos, aber weit oben über der Stadt stand dieser grelle Feuerring am Himmel. In der Mitte des Rings war ein weißer Ball, der wie eine Gewitterwolke immer größer wurde—er war ganz und gar rund. Er schwoll weiter an, bis er den äußeren Feuerring erreichte und dann explodierte das Ganze in einem riesigen Feuerball. Es war, als wäre ich Zeuge der Geburt einer neuen Sonne geworden. Es war so unglaublich perfekt rund! Als Kind war ich einmal in der Nähe, als der Asama-Vulkan ausbrach, aber das hier war viel extremer. Die Wolken waren weiß, erstrahlten aber in allen Farben des Regenbogens, als sie aufstiegen. Es war wunderschön. Die Leute nennen es „Atompilz“, aber es war in Wirklichkeit eher eine Säule aus Feuer: Der untere Teil ist eine Säule aus Flammen, und der obere Teil ist ein Feuerball, der sich beim Aufsteigen in Wolken verwandelt. Unterhalb der Feuersäule begannen sich pechschwarze Wolken horizontal über die Berge rund um Hiroshima zu schieben. Sie bestanden aus Sand und Staub, die vom Druck der Explosion in die Luft geschleudert worden waren. Sie kamen wie eine Flutwelle auf uns zu. Wir befanden uns auf einem Hügel und neben uns war eine Schlucht, aber wenige Augenblicke später war die Staubwolke schon bis zu uns aufgestiegen. Bevor ich wusste, wie mir geschah, schluckte die Welle das Haus des alten Mannes und drückte es nieder. Glücklicherweise bildete das strohbedeckte Dach einen Puffer, so dass das Kind und ich überlebten. In diesem Moment realisierte ich, dass etwas Schreckliches passiert sein musste und raste mit dem Fahrrad des alten Mannes zum Krankenhaus nach Hiroshima zurück.