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Musik

Turntablerocker machen diesmal alles anders

Sie haben ihre Pinguinkostüme gegen Gogo-Girl-Uniformen getauscht und planen, den Sound der Clubwelt zu revolutionieren.

Eine Zeitreise ist laut Stephen Hawking praktisch unmöglich und wird auch nie möglich sein. Die Beweisführung ist einfach: Es ist noch niemand aus der Zukunft im Jetzt aufgetaucht. Merk dir das kurz.
Wir sind uns sicher, dass viele von euch die Turntablerocker bereits für tot hielten. Wir fanden heraus, dass dem nicht so ist. Im Gegenteil, sie leben, haben ihre Pinguinkostüme gegen Gogo-Girl-Uniformen getauscht und planen, den Sound der Clubwelt zu revolutionieren.
Und was nun diese Sache mit den Zeitreisen angeht: Wir trafen die beiden nach den diesjährigen Oscars und dass ihr darüber jetzt lesen könnt, ist doch immerhin ein kleiner Städtetrip. Zeittechnisch.

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VICE: Ich hab gehört, ich darf mit dir nicht über die Oscars reden.
Michi: Nein, bitte nicht. Ich will das heute Abend in der Zusammenfassung sehen. Der Smudo schafft das ja manchmal, wenn wir auf Tour sind—der ist so Formel1-Fan—, nach einem Rennen allen zu verbieten, darüber zu reden, damit er sich das vier Tage später noch anschauen kann.

Ok, dann was anderes. Hattet ihr jemals einen Gameboy?
Michi: Ja klar. Immer noch. Das heißt nur jetzt anders. Nintendo 3DS oder so.
Thomilla: Ich warte drauf, bis endlich so Nintendo Games aufs iPhone kommen. Super Mario hätte ich zum Beispiel gerne, aber das gibt's einfach nicht. Ich bin da Nostalgiker, was das angeht. Nach dem Gameboy hatte ich auch keinen anderen Gameplayer mehr.
Michi: Jetzt bin ich dein Gameboy.
Thomilla: Genau. Ich weiß nur immer noch nicht, welche Knöpfchen ich drücken muss.
Michi: Nach all den Jahren nicht.
Thomilla: Es bleibt spannend.
Michi: Ich war nie so der Zocker. Ich war schon immer zu ungeschickt dafür.
Thomilla: Nee, ungeduldig, glaub ich eher.

Reden wir über was Anderes. Ich habe „No Melody“ damals geliebt.
Michi: Da warst du doch noch gar nicht in der Schule.

Natürlich. Großartiges Video.
Michi: Jetzt haben wir wieder eins mit Tieren.

Wirklich? Habt ihr auch wieder Pinguinkostüme an?
Thomilla: Schlimmer noch.
Michi: Diesmal haben wir Gogo-Tänzerinnen-Kostüme an und ein Pandabär spielt mit.
Thomilla: Der Maulwurf ist zum Pandabär transformiert.
Michi: Oder herangewachsen. Innerhalb von zehn Jahren.

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Elf Jahre, glaub ich. Warum habt ihr so lange nichts rausgebracht?
Thomilla: Also kein Album.
Michi: Dazwischen haben wir ein paar Clubmaxis und Remixes gemacht, aber wir hatten, nachdem Four Music nicht mehr unser Label war, auch keinen anderen Vertrag unterschrieben, sondern wollten mal so ein bisschen frei daher produzieren und haben aber auch ansonsten für die Fantas einfach zusammen Tracks produziert und einfach schon die meiste Zeit zusammen im Studio gesessen und irgendwelche Sachen gebastelt, nur kein Album.
Thomilla: Wir haben es immer wieder mal probiert, muss man ehrlich sagen, aber das meiste ist immer gleich im Müll gelandet und irgendwann war dann die Motivation weg. Man hat so einen Anspruch, den man halten möchte, und wenn man dann so etwas hatte wie „No Melody“, probiert man manchmal mit dem falschen Ansatz. Man will so etwas nochmal machen, das geht dann aber nicht. Dann probiert man so etwas Ähnliches. Geht auch nicht. Dann willst du was ganz Neues machen oder was ganz Anderes und das funktioniert wieder nicht und dann sagt man auch irgendwann, ach komm, beschäftige ich mich erstmal mit was Anderem.

Und im Endeffekt habt ihr jetzt was völlig Anderes gemacht?
Thomilla: Ja, jetzt hat's doch wieder geklappt. Braucht einfach manchmal ein bisschen.
Michi: Wir wollten zeitgemäß da anknüpfen, wo wir aufgehört haben, auch vielleicht weil der Sound jetzt wieder reif dafür ist. Wir wollten ein eigenes Künstleralbum von uns und mit uns machen. Natürlich auf Deutsch, einfach weil ich es auf Englisch nicht kann und auch seit zwanzig Jahren auf Deutsch schreibe. Dann musste man aber noch irgendwie einen Weg finden, dass es diese Clubaffinität und Kompatibilität entwickelt. Und das war schon schwierig, weil du einfach im Club anders auf deutsche Texte reagierst als eben auf englische, die irgendwie so als Instrument durchgehen.

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Also kam Michi mit den Texten an. Und der Rest?
Thomilla: Ich glaub, die Musik kam so ein bisschen als Erstes. Jeder Sänger oder Texter braucht ja etwas, um darauf schreiben zu können.
Michi: Meistens steckt in der musikalischen Idee schon eine Idee für den Text. Wenn das Arrangement etwas melancholischer ist, schreibst du darauf natürlich anders, als wenn es so eine Uptempo-Nummer ist. Es lief dann so, dass wir mit den Skizzen ins Studio gegangen sind und extrem viel Zeug aufgenommen haben. Von Querflöten über Saxophon, Gitarren, Keyboards, Percussion, alles. Dann hatten wir super viel Material, mit dem wir uns wieder zusammengesetzt haben und dann extrem aussieben mussten, bis zum Teil nur noch eine Bassline übrig war. Das Ganze dann elektronisch bearbeitet, verfeinert, dann darauf Texte und so ist es bausteinmäßig entstanden.

Als ich das Album zum ersten Mal hörte, dachte ich: „Im Ernst?“ Nach dem dritten, vierten Hören ging es dann.
Michi: Das dauert eine Weile, auf jeden Fall.
Thomilla: Da gibt's ganz viele, die erwarten natürlich „No Melody 2012“, aber wie soll das gehen? Der größte Fehler eines Musikers ist wahrscheinlich, einen früheren Hit zu wiederholen. Das geht einfach nicht. Zumindest nicht bei uns.
Michi: Davon abgesehen, war das damals auch mit den Vocalsamples noch viel einfacher. Da konnte man sich früher viel besser durchschummeln. Wenn du heute irgendwas benutzt, hat das jeder selbsternannte Internetdetektiv in ein paar Tagen aufgedeckt und du hast eine Urheberrechtsklage am Hals. Insofern war das fast schon zeitgemäß zu sagen, man lässt singen oder man singt selber. Man muss sich erstmal daran gewöhnen, dass es auf Deutsch ist. Man muss sich auch an den Sound und diese Discoreminiszenzen gewöhnen. Die Anleihen gehen ja von Italo Disco bis zu zeitgemäßer Elektronik. In unserem Umfeld ging es recht vielen Leuten so, dass sie beim ersten Hören irritiert waren.

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Ist es auch schon mal vorgekommen, dass du mit Texten ankamst und Thomilla überhaupt nicht damit einverstanden war?
Thomilla: Thematisch ja, aber von der Umsetzung dann eher nicht.
Michi: Es passiert umgekehrt auch, dass Milla Beats programmiert, wo ich sage, ja cool, aber die Hi-Hat, weiß ich nicht, vielleicht ein bisschen smoother.
Thomilla: Oder ganz oft sagt er, du hast da ein bisschen zu viel draufgepackt.
Michi: So wie ich mich einbringe, wenn er programmiert, bringt er sich auch ins Schreiben ein. Dann findet er die Perspektive komisch und meint, eine andere wäre besser.
Thomilla: Es kommt immer was, entweder textlich oder musikalisch und dann wird das so geändert, bis es beiden gefällt.
Michi: Dazu kommt, dass wir zum Glück keine Profimusiker sind. Zu viel Wissen kann auch hinderlich sein. Nimm mal die genialen Musiker, die das Album mit uns eingespielt haben. Wir können Basslines und Akkorde auf dem Keyboard einspielen, aber virtuos sind wir an keinem Instrument. Bei diesen Sessionmusikern ist uns aufgefallen, dass sie oft zu viel musikalisches Wissen haben, um Songs zu schreiben. Du wüsstest in der Theorie genau, wo dieser Akkord hinleiten kann, aber wenn du so etwas nicht weißt und nur mal mit deiner rudimentären Begabung versuchst, den nächsten Akkord zu finden, dann kommen die besten Melodien und Harmonieläufe dabei raus.

Wenn ihr euch aussuchen könntet, den Soundtrack zu einem Film zu machen, was würdet ihr wählen?
Thomilla: Ich kann's dir andersrum sagen. Es sollte ein Film zu dem Album gemacht werden. Das fände ich geil. Eigentlich ist es ja fast wie ein Soundtrack. Wir wollten eigentlich für jeden Track ein eigenes Video haben, aber das kann man einfach nicht bezahlen, dann haben wir es runtergeschraubt auf einen Kurzfilm, der nur noch Schnipsel der Songs hat, aber das war auch zu teuer und nicht realisierbar, dann wollten wir sechs Videos. Das ging auch nicht.
Michi: Jetzt haben wir doch noch ein geiles Video hinbekommen. Ein Film zu Platte wäre aber ganz schön.

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Wer wären die beiden Hauptdarsteller?
Michi: Nicht wir. Es gibt ja einen Hauptdarsteller, der, wie ich finde, der Beste ist und da werden mir hoffentlich jede Menge Mädchen zustimmen. Echt der beste männliche Schauspieler ist leider Leonardo DiCaprio.
Thomilla: Von den Jungen, ja. Von den richtig Alten liebe ich natürlich Robert DeNiro.
Michi: Der könnte die Rolle jetzt wohl nicht mehr spielen.
Thomilla: Aber eine andere Rolle.
Michi: Leonardo ist nicht mehr so ganz jung und würde auch reinpassen.
Thomilla: Du kannst doch einen Schauspieler erst besetzen, wenn du das Drehbuch hast und das ist ja auch noch nicht da.

Ihr habt ja das Album und somit die Idee eines Drehbuches. Den armen Jungen, der seine Beziehung beendet …
Thomilla: Kann aber auch eine Frau sein.
Michi: Das wäre dann natürlich Kate Winslet.
Thomilla: Also das Buch zum Lesen ist geschrieben. Das ist dann die Platte, aber das Drehbuch müsste man noch mal ein bisschen ausfeilen.
Michi: Wir würden uns da jemanden wie dich holen, jemanden der mehr Ahnung von Filmen hat als wir.

Gibt’s das? Wird man mit so einem Job reich?
Michi: Vielleicht, wenn du gut bist. Man kann mit allem reich werden, wenn man wirklich außergewöhnlich gut in etwas ist oder wenn man viel Glück hat.

Hattet ihr Glück?
Michi: Ja, gut sind wir nicht.

Wie seid ihr euch eigentlich über den Weg gelaufen?
Michi: Im Plattenladen. Klingt fast schon wie so eine Klischee-DJ-Geschichte, ist aber tatsächlich auch so passiert. Milla war Geschäftsführer im Import Plattenladen in Stuttgart damals und ich bin da immer zum Plattenkaufen hin und alles, was er mir an Platten rausgefischt hat, habe ich auch gekauft, weil es gut war. Und dann haben wir angefangen, zusammen zu produzieren. Dann hat Milla 1997 mein Soloalbum produziert.
Thomilla: Da gab es dann den Track „Turntablerockers“ schon auf dem Album. Das ist eigentlich die Entstehungsgeschichte.

Welche Platten hast du Michi so rausgesucht?
Thomilla: Ich würde mal sagen, so die Kracher der Mittneunziger. Von Nas bis Mary J. Blige war alles dabei.
Michi: Genau. Milla hat mich ziemlich auf Neunziger-R'n'B gebracht.
Thomilla: Was gab's denn da sonst noch? Yvette Michele.
Michi: Ja, davor war ich da gar nicht so drin. Mitte der Neunziger war HipHop schon sehr jungslastig, wenn es ans Ausgehen ging. Wir haben dann so einen Mix aus Eastcoast HipHop und smootherem R'n'B reingebracht und damit das Ganze so irgendwie entjungst.

Turntablerockers einszwei erscheint bei Universal.

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