Eine Typologie von Leuten, die in Zürich noch Porno-DVDs kaufen

FYI.

This story is over 5 years old.

Sex

Eine Typologie von Leuten, die in Zürich noch Porno-DVDs kaufen

Wer kauft heute noch Porno-DVDs und warum? Wir haben die Kunden eines Sex-Shops gefragt.

Aus finanziellen und geografischen Gründen (ich wohne gleich nebenan) fand ich mich diesen Sommer arbeitend hinter der Ladentheke einer der letzten bestehenden Videotheken der Stadt wieder. Hier muss ich erwähnen, dass der Verbleib dieser nostalgischen Einrichtung am ehesten den Sexkinokabinen und der Spezialisierung auf Pornos zu verdanken ist. Irgendwann kam ein weiteres Stockwerk mit Erwachsenenspielzeug hinzu, was den Laden vollends zu einem Sex-Shop umfunktionierte. Trotz des reichen Angebots an Joyballs, Dildos und Analplugs sind es die Porno-DVDs, die den Hauptumsatz machen.

Anzeige

Auf die Frage "Wer macht diesen Umsatz möglich?" folgte bei mir gleich die Frage "Warum tun sie das?", als mir Björn, der eigentlich anders heisst, stellvertretender Geschäftsführer des Ladens und der wohl motivierteste Mitarbeiter ist, den man sich wünschen kann, von den Umsätzen erzählte. Wie kommt es, dass tatsächlich noch Männer rumlaufen (ja, es sind ausschliesslich Männer), die einen realen Laden betreten, um sich mit Sexfilmchen einzudecken? Auf einem veralteten Medium wie der DVD? Ich nahm mir vor, ganz diskret einzelne Stammkunden zu befragen und habe bemerkt, dass sie sich in vier Gruppen unterteilen lassen.

Der Nostalgiker

"Ach, ich halte einfach gerne etwas in den Händen, wenn ich so einen Film schaue", antwortet einer auf meine Frage nach dem Warum. "Jeder hält während eines Pornos früher oder später etwas in den Händen", denke ich mir, als ich dem Kunden gerade Straight Outta Condoms in eine schwarze, lichtundurchlässige Tüte packe. "Wie meinst du das?", frage ich ihn. "Naja, ich bin doch ein paar Jahre älter als du, ich finde es schade, dass alles digitalisiert wird."

Der Nostalgiker ist mindestens Mitte 30, also alt genug, um noch zu wissen, was CDs sind. Er kennt sich mit der modernen Technologie aber bestens aus, hat eine Playlist auf Spotify und mindestens ein Social-Media-Profil.

Trotzdem schwelgt er gerne in Erinnerung an die gute alte Zeit (so anfangs 00er-Jahre ), als man noch bei LimeWire Lieder herunterlud und diese dann auf CDs brannte. Der Nostalgiker schmeisst manchmal einfach lieber einen physischen Tonträger (vorzugsweise eine Compact-Disc) in den eingesteckten Player und drückt dann auf Play, statt den Song wie jeder andere auf iTunes oder YouTube zu hören.

Anzeige

So ähnlich ist es um den Pornokonsum bestellt. Ich frage den Kunden weiter aus und entschuldige mich nebenbei schon mal, dass ich dermassen in seine Privatsphäre eindringe, ich sei aber neugierig. Es stellt sich heraus, dass er nicht besonders oft Pornos schaut. Aber wenn er das täte, dann fast schon ritualisiert:

"Die meisten, die Online-Pornos schauen, wollen sich einfach schnell einen runterholen. Also online gehen, einzelne Videos anklicken, diese dann vorspulen, abspritzen und dann den Verlauf löschen. Ich aber schaue Pornos, um abzuschalten—um zu geniessen. Dazu gehört auch der Teil, wo ich die DVD in den Player lege, mich ausziehe, ein kaltes Bier nehme und mich aufs Sofa lege. Meistens schaue ich den ganzen Film, ohne dabei völlig gestresst die geilste Szene zu suchen. Ich schaue ihn nicht ausschliesslich, um zu wichsen."

Der Neuverweigerer

Der Neuverweigerer findet einfach mal alles, was neu ist, scheisse. Gute 30 Jahre älter als der durchschnittliche Nostalgiker, mit fettigem Haar und klebrigen Händen verkörpert er, was man sich unter Sexkino-Kundschaft vorstellt. Er ist alt und müde. Zu müde, um sich mit neuer Technik auseinanderzusetzen, zu verstehen, was man mit dem Computer alles anstellen kann und dieses Internet will er schon mal gar nicht erst ausprobieren.

"Mir reicht es schon, dass ich vor ein paar Jahren lernen musste, mit dem DVD-Player zu hantieren. VHS ist das einzig Wahre!", sagt mir einer dieser Sorte. Dabei findet er es aber schon ganz gut, dass man bei der DVD von Szene zu Szene skippen kann: "Das ist schon praktisch."

Anzeige

Während der Stammkunde über das Heute motzt, hole ich die Filme, die er ausleihen möchte, aus dem Gestell, wünsche ihm noch einen schönen und sonnigen Tag und warte auf ein "früher war das Wetter viel schöner" oder ein "an allem sind die Ausländer schuld", doch er verschwindet wortlos.

Der Paranoide

Während die Pornos über meine Ladentheke flitzen und ihren Besitzer wechseln, frage ich immer, ob der Kunde den Film mit oder ohne Hülle möchte. Meistens antwortet er mit "ohne". Ich packe die DVD also in eine Cellophan-Folie und gebe sie dem Kunden mit. So auch bei diesem Kundentypus. Denn der Paranoide möchte keine Spuren hinterlassen—nirgends. Weder für seine Frau, die wie ein Profi-Stalker Verläufe kontrolliert und Passwörter knackt. Noch bei seinem pubertierenden Teenie-Sohn, der zwar einen eigenen Computer zum Schlawinern hat, jedoch Papas leistungstärkeres Notebook bevorzugt. Und erst recht nicht für die NSA, die natürlich seinen Laptop trackt und weiss, dass er sich gerade Japanese Fur Burgers 3 reingezogen hat.

Der Paranoide wirkt gänzlich beängstigt. Wenn die diskrete Hintertür schwer ins Schloss fällt, ist er der Erste, der zusammenzuckt. Nur selten gibt er ein "Hallo" von sich, noch seltener sucht er Augenkontakt. Bisher hatte ich nur einen Kunden dieser Gattung, der sich umgeben von den Wänden des Sex-Shops seines Vertrauens auch wirklich wohl genug fühlte, um mit mir zu plaudern: "Ich habe so einen Portable DVD-Player fürs Büro." Das sei unglaublich praktisch für ihn, da er DVDs und Player in einem Schliessfach verstauen könne.

Anzeige

Nüchtern betrachtet ist die Angst beim einen oder anderen begründet: Oft sind es Anzugsträger in hohen Positionen. Da reicht nicht nur ein lupenreiner Lebenslauf, sondern auch der Verlauf im Webbrowser muss sauber sein. Andere sind einfache Verschwörungstheoretiker mit Aluhüten und faulen Zähnen. Sie wollen auf jeden Fall verhindern, dass ihre wildesten Fantasien irgendwelchen Geheimdiensten in die Hände gespielt werden und gehen mit den DVDs auf Nummer sicher.


Leute, die gerade Sex hatten:


Der Sammler

Wenn es dann doch "Bitte mit Hülle" heisst, handelt es sich in der Regel um einen Sammler. Darsteller, Produktionsfirma und Regisseur sind dem Sammler sehr wichtig. Wie wurde geschnitten? Wie wurde die Beleuchtung umgesetzt? Das sind Fragen, denen sich der Sammler analytisch widmet, um beim nächsten Bier mit den Freunden fachsimpeln zu können. Dieser Pornokonsument lebt aus verschiedenen Gründen (wieder) alleine und ist schon lange in der zweiten Hälfte seines Lebens angekommen. Dies ermöglicht ihm, seiner Sammlung einen Ehrenplatz in seiner Bleibe zu geben.

Dem Sammler ist die eigene Kollektion heilig. Fast schon zwangsneurotisch sind die Filme bei ihm zu Hause nach Kategorien sortiert. Ähnlich wie bei xtube.com und Co. darf keine Kategorie fehlen: Amateur, Anal, Asian, Bareback, Ebony, Mature und viele andere reiht er in Regalen nebeneinander und staubt sie von Zeit zu Zeit ab, wie man es mit Sammlerstücken halt macht. Ob er vor hat, die Pornos mal zu vererben, wie es auch mit Briefmarkensammlungen oder alten Teeservices gemacht wird, frage ich einen redegeselligen Kunden. "Ja, vielleicht hätten meine Enkel Freude!", antwortet dieser. Vermutlich hat er sogar recht. Oder auch nicht. "Opas Pornosammlung" hört sich auf jeden Fall irgendwie falsch an.

VICE Schweiz auf Facebook und Twitter.


Titelfoto von К.Артём.1 | Wikimedia | CC BY-SA 4.0