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Stimmt es, dass Flüchtlinge Urlaub in ihren Herkunftsländern machen?

Eine Reise ins Herkunftsland ist für anerkannte Flüchtlinge rein rechtlich aus mehreren Gründen nicht möglich.

Spätestens seit einem Artikel der Welt vom 12. September gibt es in Deutschland und Österreich ein neues Reizthema in der Flüchtlingsdebatte: Anerkannte Flüchtlinge oder subsidiär Schutzberechtigte, die ausgerechnet in jene Länder reisen, aus denen sie vor Verfolgung und Krieg geflohen sind.

Während die Diskussion in Österreich und Deutschland relativ neu ist, spielt sie in der Schweiz schon seit Anfang des Sommers eine immer größer werdenden Rolle im politischen Tagesgeschehen. So forderte etwa die Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga Anfang Juni ein Verbot von Heimaturlaub für Geflüchtete, nachdem bekannt wurde, dass vor allem Eritreer immer wieder in ihr als "Nordkorea Afrikas" bekanntes Heimatland reisen würden—vor allem rund um den eritreischen Nationalfeiertag am 24. Mai.

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In Österreich wurde das Thema "Flüchtlinge und Urlaub" bis vor Kurzem hauptsächlich auf rechten Blogs und FPÖ-Kanälen als ein im Grunde ohnehin obligatorisches Oxymoron diskutiert, indem "Flüchtlinge" und "Urlaub" als widersprüchlich definiert wurden. Doch mit einem Bericht der Kronen Zeitung und der Oberösterreichischen Nachrichten, wurde das Thema auch von zwei großen Tageszeitungen aufgenommen. In beiden Berichten ging es um den angeblichen Drahtzieher eines afghanischen Drogenrings in Wels, der seine Mindestsicherung nicht in Oberösterreich, sondern aus Wien bezogen haben soll, weil dort mehr gezahlt wird und der mehrmals auf "Heimaturlaub" nach Kabul gereist sein soll.

Auch im Diskussionsforum des ORF ist der Heimaturlaub von Flüchtlingen Thema. Screenshot via ORF.at

Urlaub, das ist per Duden-Definition jene arbeitsfreie Zeit, die jemand zum "Zwecke der Erholung" erhält und setzt zumindest in Österreich ein Beschäftigungsverhältnis voraus. Denn anders als in Deutschland, wo einem Hartz-IV-Empfänger 21 Tage "Ortsabwesenheit" pro Jahr zugesprochen werden, haben Arbeitslosengeld- und Notstandshilfebezieher in Österreich keinen Anspruch auf Urlaub, wie Beate Sprenger, Pressesprecherin des AMS, gegenüber VICE erklärt. "Wenn beim AMS gemeldete Personen ins Ausland reisen, ist es nicht möglich, gleichzeitig eine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung zu beziehen", so Sprenger.

Im Klartext heißt das, dass etwa anerkannte Flüchtlinge, die Arbeitslosengeld, oder aber auch Mindestsicherung beziehen, ihre Existenzgrundlage verlieren könnten, wenn sie ins Ausland reisen, was zumindest theoretisch eine Einschränkung für Geflüchtete bedeutet, überhaupt eine Reise ins Ausland zu unternehmen. Dass aber auch beim AMS gemeldete Menschen Urlaub im Ausland machen, weiß vermutlich jeder, der entweder schon selbst die Dienste des AMS in Anspruch genommen hat, oder jemanden kennt, der schon einmal Arbeitslosengeld bezogen hat.

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Grundsätzlich ins Ausland zu fahren scheint für anerkannte Flüchtlinge also ebenso einfach wie für dich und mich. Dennoch gibt es für Geflüchtete mit Asylstatus zwei massive Hindernisse, tatsächlich auch ihr Herkunftsland zu besuchen: "Ein anerkannter Flüchtling hat, sofern keine Ausschlussgründe vorliegen, das Recht auf einen Konventionsreisepass", erklärt Karl-Heinz Grundböck, Pressesprecher des Innenministeriums, gegenüber VICE. Dieser sogenannte "Flüchtlingspass" ist für alle Staaten der Welt gültig—mit Ausnahme des Herkunftslands.

Auf Nachfrage bestätigt Grundböck, dass damit für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte eine Reise in ihre ehemalige Heimat nur mit gefälschten Papieren oder einem illegalen Grenzübertritt aus einem Nachbarland möglich ist. Eine nicht ungefährliche Angelegenheit, wenn man sich zum Beispiel die Situation an der türkisch-syrischen Grenze genauer ansieht.

Das zweite Hindernis findet sich in der Genfer Flüchtlingskonvention selbst. Dort heißt es in Artikel 1, Abschnitt C, Punkt 4, dass eine Person dann nicht mehr als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu behandeln ist, "wenn sie freiwillig in das Land, das sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder außerhalb dessen sie sich befindet, zurückgekehrt ist und sich dort niedergelassen hat".

Der Zusatz der Niederlassung wird dabei nicht näher ausgeführt, was das Innenministerium laut Karl-Heinz Grundböck im Ernstfall dazu veranlasst, eine Einzelfallprüfung durchzuführen. Bei einer Reise in das Herkunftsland ohne ersichtlichen Grund wäre jedenfalls davon auszugehen, dass für die betreffende Person keine Gefahr der Verfolgung mehr bestünde.

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Trotz der fatalen Sicherheitslage hat das syrische Ministerium für Tourismus erst Ende August einen Imagefilm für die Küstenstadt Tartus, einer der wenigen vom Krieg verschonten Städte, veröffentlicht. Ob deshalb tatsächlich Menschen dorthin auf Urlaub fahren werden, ist fraglich.

Dass zum Beispiel die Reise eines syrischen Flüchtlings—der aus Angst vor Verfolgung durch die Terrormiliz IS nach Österreich geflohen ist—in sein Heimatland für Kontroversen sorgt, ist verständlich. Schließlich gewährt man ihm in Österreich Schutz—im Glauben, sein Leben sei in Syrien bedroht.

Genauso viel Verständnis könnte man aber auch dafür aufbringen, dass besagter Flüchtling trotz dem großen Sicherheitsrisiko für einige Tage zum Beispiel in die von der IS-Miliz befreit Stadt Manbidsch reist, um seine todkranke Mutter zu besuchen und danach wieder nach Österreich zurückkehrt, weil es aufgrund des Bürgerkriegs für ihn dort eben trotzdem kein sicheres Überleben gibt.

Jährlich sprechen wir als Gesellschaft tausenden Österreicherinnen und Österreichern die Freiheit und Fähigkeit zu, Gefahren subjektiv richtig einzuschätzen, weshalb es eben nicht verboten ist, im Urlaub gefährliche Destinationen anzusteuern. Warum also sprechen wir dieses Recht Flüchtlingen ab, wenn es um Gefahrengebiete geht, die eben auch ihre Herkunftsländer sind?

Es geht dabei offensichtlich weniger darum, ihnen die Entscheidungsfreiheit über die Wahl der Reisedestination abzusprechen (sofern man ihnen überhaupt das Recht auf Urlaub zuspricht), als vielmehr die Schutzbedürftigkeit eines Menschen anzuzweifeln, der sich freiwillig jener Situation aussetzt, vor der er geflohen ist. Dieser Gedanke beruht auf der Prämisse, dass ein Mensch der einen Tag im Jahr in solch einer Situation (über-)leben kann, das auch die restlichen 364 Tage könne. Dabei wird allerdings vergessen, dass es einen signifikanten Unterschied ausmacht, ob man sich zwei Wochen bewusst einer Gefahr aussetzt, auf die man sich vorbereiten kann, oder ob man mehrere Jahre in einem Kriegsgebiet leben muss, in dem eine humanitäre Katastrophe der nächsten folgt.

Offizielle Statistiken dazu, wie oft Geflüchtete überhaupt in ihr Herkunftsland reisen—und damit auch wie relevant die Diskussion über das Thema an sich ist—gibt es weder vom AMS, noch vom Innenministerium. Eine Möglichkeit, den theoretischen Missbrauch von subsidiären Schutz und Schutz durch die Genfer Flüchtlingskonvention vorzubeugen, wäre zum Beispiel ein Modell, bei dem Menschen mit Konventionsreisepässen um Genehmigungen für Reisen in ihre Herkunftsländer ansuchen könnten. "Ein solches Modell ist im aktuellen rechtlichen Rahmen nicht vorstellbar", heißt es dazu allerdings aus dem Innenministerium.

Paul auf Twitter: @gewitterland