Ich habe als Vegetarierin mit Blut gekocht und werde es wieder tun
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Essen

Ich habe als Vegetarierin mit Blut gekocht und werde es wieder tun

Bei jedem geschlachteten Rind fallen bis zu 4,5 Liter Blut an, die oft nur in Tierfutter enden.

Mit neun Jahren entschied ich mich, das Poulet auf dem Teller stehen zu lassen und boykottierte von da an jedes fleisch- oder fischhaltige Gericht meiner Mutter. Ich hatte mir damals das Motto "Tiere sind meine Freunde, meine Freunde esse ich nicht" gross auf die Fahne geschrieben. Mit den Jahren und zunehmender Reife haben sich die Argumente gegen den Fleischkonsum gehäuft, sodass ich nun über 15 Jahre lang hauptsächlich vegetarisch und teilweise vegan gelebt habe. Doch ein kurzes Telefongespräch mit der Slow-Food-Gastronomin Laura Schälchli brachte meine standhafte Grundlage zum bröckeln.

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"Ich verstehe nicht, wie jemand überzeugter Veganer sein kann, aber Schoggi-Bananen isst! Jedes Kind weiss doch, welchen unmenschlichen Umständen die Bauern auf Bananen- und Kakaoplantagen ausgesetzt sind", sagte Laura. Ich hatte soeben eine Banane verdrückt und bekam ein schlechtes Gewissen, denn Laura hatte doch Recht. Trotz den Bemühungen im Fairtrade-Handel, hat sich nämlich die Situation für die Bauern auf Bananen- und Kakao-Plantagen nicht wesentlich verbessert. Die Nachfrage nach der gelben Frucht und der bitteren Bohne wächst. Wie die NZZ schreibt, wurden 2012 allein in der Schweiz 79 Millionen Kilogramm Cavendish-Bananen importiert. Und gerade weil die Banane so beliebt ist, unterbieten sich Supermärkte wie Coop und Migros mit Billigangeboten. So gesehen ist ab und zu mal etwas Schweizer Bio-Fleisch zu essen nachhaltiger, als die unzähligen Bananen und Schokoladentafen, die ich während den 15 Jahren als überzeugte Vegetarierin und Teilzeit-Veganerin in mich gestopft habe.

Nach Lauras Ansicht sollte der Fleischkonsument darauf achten, dass das ganze Tier verwertet wird—dazu gehört auch sein Blut. In der Schweiz und Europa haben Blutgerichte eigentlich eine lange Tradition, die aber in Vergessenheit geraten ist. Unter dem Namen "Sobre Mesa" leitet Laura Kurse, die dieses Wissen wieder unter die Konsumenten bringen soll. Und vielleicht ist es für mich als sture Vegetarierin an der Zeit, mein Essverhalten zu überdenken. Ich verabrede mich deshalb zum Kochen mit Blut bei Laura zu Hause in Wiedikon.

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In Zürich hat man die Möglichkeit, Fleisch aus nächster Umgebung zu kaufen. Lauras Lieblingsbauernhof ist jener mit dem Namen "Zur Chalte Hose" auf dem Küsnachter Berg, wo Weideschlachtungen durchgeführt werden. Von dort holt sie für unsere Koch-Session frisches Blut, das noch wenige Stunden zuvor durch die Gefässe eines glücklichen, nichts ahnenden, zweijährigen Rindes floss. Im Sommer 2015 setzten Claudia und Nils Müller, die Betreiber des Bauernhofs, selbst zum Betäubungsschuss an—und tun das heute noch. Seit Mai 2016 sind sie schweizweit die ersten Landwirte mit einer gesetzlichen Bewilligung für diese Art der Tötung. Bei der Weideschlachtung befindet sich das Tier in vertrauter Umgebung, wenn der Schuss fällt. Das erspart ihm den Stress, dem es bei einer herkömmlichen Schlachtung ausgesetzt wäre. Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten und das Forschungsinstitut für biologischen Landbau unterstützen diese Methode zur Fleischgewinnung bereits.

Laura ist überzeugt, dass sich das sorgenfreie Leben des Rindes auch im Geschmack des Bluts positiv niederschlägt. Sie öffnet eine Flasche und kostet von der roten Flüssigkeit, die eher nach Randensaft aussieht. Im nächsten Augenblick finde ich mich ebenfalls mit einem Teelöffel Blut in der Hand wieder und stecke ihn mir ohne zu zögern in den Mund. Erst jetzt stösst akuter Ekel in mir auf und ich besinne mich, dass das eben kein Randensaft, sondern ein Milchglas voll Blut ist. Und dann ist es noch fremdes Blut und nicht mein eigenes, das ich ja als bekennende Reisserin von Fingernagelhäutchen schon Tausend mal abgeschleckt habe. Fremdes Blut, oder vielleicht ist es einfach Rindsblut per se, schmeckt für mich ganz anders; nämlich nach nichts.

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Ein weiterer Vorteil des Blutessens ist, dass es für weniger Foodwaste sorgt. Laura erzählt mir, dass man bei einer Schlachtung von einem Schwein 2.5 und einem Rind 4.5 Liter Blut gewinnt. Dieses würde oft in Tiernahrungsmittel und Medikamente fliessen, obwohl Blut vielseitig in der Küche einsetzbar wäre.

Für das gemeinsame Abendessen haben wir uns auf Blutravioli mit Vin Cuit geeinigt. Das Rezept ist Lauras eigene Interpretation vom Gericht Blut mit langer Schweizer Tradition: Vin Cuit und Zwiebeln. Bevor wir uns an die Arbeit machen, fragt mich Laura, ob ich den Teig machen möchte. Ich liebe es zu kneten und verarbeite Minuten später bereits Mehl, Eigelb, Öl und Blut zu einem Teig. Der Teig nimmt ein leuchtendes Magenta an, als ich das Blut in ihn einarbeite. Während des Knetens vergesse ich, dass ich gerade die Körperflüssigkeit zwischen meinen Fingern habe, die noch vor kurzem ein Wesen am Leben erhielt. Mit Laura philosophiere ich darüber, warum man heutzutage das Blut nicht mehr für Gerichte verwendet. Liegt es an der Symbolkraft als Saft des Lebens? Oder der Lebensmittelindustrie, die zu verschleiern versucht, woher tierische Produkte wirklich kommen?

Während ihres Design-Management-Studiums in New York hat Laura nebenbei als Kellnerin gearbeitet. Schon damals hatte sie sich für die Zubereitung der Gerichte interessiert, sodass sie bald ein Praktikum in der Küche absolvierte. Ihre neu entdeckte Leidenschaft brachte sie schliesslich nach Bra in Italien, wo noch ein Studium der Gastronomischen Wissenschaften hinzukam. Die experimentierfreudige, italienische Küche motiviert Laura, an alte Traditionen anzuknüpfen und gutes, gesundes Essen kochen zu wollen.

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In Kursen gibt sie dieses Wissen weiter, das in Vergessenheit zu geraten schein: "Mich schockiert, dass die Kinder sich nicht trauen, Essen anzufassen", erzählt sie von einem Kurs, den sie regelmässig mit Kindern macht. "Sie nehmen lieber einen Schaber, um die zerkleinerten Fruchtschnitte vom Schneidebrett in die Schale zu schieben." Dieses Beispiel zeigt, wie distanziert wir mittlerweile mit Nahrungsmitteln umgehen, besonders wenn man bedenkt, dass Kinder generell immer gerne alles anfassen.

Weil Blut einen tiefen Siedepunkt hat, muss man es bei geringer Temperatur vorsichtig erwärmen. Dabei verändert sich das flüssige Blutgemisch aufgrund seiner erhöhten Viskosität zu einer zähen Flüssigkeit. Ich denke während dem Rühren wieder mal an das Rind, das für die rote Masse im Topf sein Leben hergeben musste. In der Zeit hat Laura bereits den gekühlten Teig durch die Nudelmaschine gezogen, um endlich die Ravioli zu füllen. Sie hat noch extra eine zweite Art Füllung gemacht, für die sie Ricotta der Blutmasse unterzieht. Der Ricotta hemme den Blutgeschmack etwas, sagt sie, was es für mich vielleicht einfacher machen würde, die Ravioli zu essen. Zum Schluss gibt sie sie in ein Salzbad und vermischt sie in der Bratpfanne mit Salbeibutter.

Hungrig setzen wir uns zusammen mit dem Fotografen Raphael Erhart zu Tisch. Ich bin gespannt, ob mir die Ravioli schmecken und wie mein Magen auf diese neuartigen Proteine reagieren wird. Laura schaut mich neugierig an, während ich in zum ersten Mal in Blutravioli beisse. Ich merke aber überhaupt nichts Ungewöhnliches am Geschmack, den Laura vorab als metallisch aufgrund des hohen Eisengehalts beschrieb. Die ganze Zeit geistert ein Bild von einem Rind mit liebenswerten Augen in meinem Kopf, das jenes auf dem Teller sein könnte. Raphael hat deutlich mehr Mühe mit dem Gedanken, Blut zu essen. Wahrscheinlich weil er nur durch den Sucher seiner Kamera mit der roten Körperflüssigkeit in Kontakt kam.

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Mit der Zunge kontrolliere ich immer wieder, ob nicht etwas Blut an meinen Zähnen klebt, bis mir einfällt, dass das bloss ein Effekt aus Dracula-Filmen ist. Ich schöpfe mir gleich noch eine zweite Portion, wobei mir die Ravioli ohne Ricotta besser schmecken. Das Rind in meinem Kopf schaut mich immer noch an.

Den nächsten Tag überlebe ich ganz ohne Beschwerden. Meine Verdauung hat das ungewohnte Mahl vom Vorabend anscheinend akzeptiert. Insofern ist es für mich wohl Zeit für ein öffentliches Outing: Nach 15 Jahren bin ich ab jetzt keine Vegetarierin mehr. Zumindest nicht, wenn es Blut, Fleisch oder Innereien von einem Tier vom Hof zur Chalte Hose gibt. Stattdessen möchte ich in Zukunft lieber ganz auf Bananen verzichten und generell den Konsum von Schokolade, Avocado, Quinoa und sonstigen Produkten, die massenweise von Übersee hierher verschifft werden, stark eingrenzen.

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