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Warum das Nein zur Heiratsstrafe-Initiative eigentlich ein Wunder ist

Letztes Wochenende wurde das Heiratsverbot für homosexuelle Paare abgelehnt. Das ist nichts weniger als ein Wunder.
Foto: Waiting For The Word

Der letzte Abstimmungssonntag kam einem Volksfest gleich. Die Politik und die Schweizer Bevölkerung haben es geschafft, sich in genau dem Augenblick aufzuraffen, in dem es wirklich darauf ankam. Wir haben mit der Ablehnung der DSI verhindert, dass der Schweizer Rechtsstaat torpediert und eine Zweiklassengesellschaft installiert wurde. Aber nicht nur das, auch die Heiratsstrafe-Initiative wurde abgelehnt.

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Die CVP steht für bürgerlichen Mittelstand wie kaum eine andere Partei. Für gute, altmodische Hausmannspolitik, die ebenso unaufgeregt und traditionsbewusst daherkommt wie eine heisse Ovi am Ofenbänkchen. Daran ist erstmal nichts falsch. Immerhin teilen 11.6 Prozent der Schweizer Bevölkerung diese Weltsicht und verhelfen der CVP zum vierthöchsten Wähleranteil der Schweiz. Die Tatsache, dass sich die christliche Volkspartei bisher gegen sämtliche absurden SVP-Möchtegern-Patrioten-Initiativen wie die Minarett-, die Masseneinwanderungs- und gerade auch die Durchsetzungsinitiative positionierte, lässt sie nur noch sympathischer, noch heimeliger erscheinen.

Die CVP ist konservativ. Das bewies die Partei erneut mit ihrer Initiative gegen die Heiratsstrafe, bei der sie über ein Hintertürchen mit einem Nebensatz gleich auch die Ehe für Homosexuelle über die Verfassung ausschliessen wollte.

Dank dem heutigen politischen Diskurs assoziiert die linke Front den Begriff „konservativ" meist mit „böse", während die rechte Front nahezu alles daran setzt, dieses Adjektiv in einem Atemzug mit dem eigenen Namen zu hören. Doch was links wie rechts während dem Gutmenschen-Rundumschlag und dem Nazikeule-Schwingen gerne übersehen wird: Wir ticken alle gleich. Links, rechts, du, ich.

Denn sowohl die Gegnerschaft einer vermeintlichen Islamisierung des Abendlandes, als auch der „linke Dreck" tut sich oft schwer mit Veränderungen. Wieso das so ist, erkläre ich euch jetzt anhand der CVP-Familieninitiative, deren Ablehnung folglich einem Wunder gleichkommt.

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Wir haben es gerne bequem

Der Mensch ist bekanntlich ein Gewohnheitstier. Das macht es sehr schwer, ihn aus seiner Wohlfühl-Zone herauszulocken. Wieso sollten wir unsere Burger im Laden am anderen Ende der Stadt kaufen, wenn wir doch genau wissen, dass sie bei der Bude um die Ecke gut schmecken? Wir mögen das Vertraute und wir vertrauen der Routine. Vielleicht ist das auch der Grund, wieso nur knapp jeder zweite Schweizer überhaupt abstimmen geht.

Was sich bewährt hat, stellen wir nur ungern in Frage. Das gilt für Rechte genauso wie für Linke. Und so macht auch die angenommene Initiative gegen die Heiratsstrafe nichts anderes, als das, was bisher für die Heirat von Homosexuellen in der rechtlichen Praxis galt, in die Verfassung zu schreiben.

Foto: miguelphotobooth | Flickr | CC BY 2.0

Was sich bewährt hat, stellen wir nur ungern in Frage. Das gilt für Rechte genauso wie für Linke. Und so macht auch die angenommene Initiative gegen die Heiratsstrafe nichts anderes, als das, was bisher für die Heirat von Homosexuellen in der rechtlichen Praxis galt, in die Verfassung zu schreiben. Homosexuelle durften bisher nicht heiraten und daran wird sich auch mit der Initiative nichts ändern. Die CVP schreibt zusätzlich noch auf ihrer Homepage, dass das Volk für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare sowieso an die Urne müsste. Somit habe ihre Initiative überhaupt keinen Einfluss darauf, ob und wann und wie in Zukunft die Homo-Ehe eingeführt wird—fragt sich nur, wieso die CVP das Verbot der Homo-Ehe dann überhaupt in der Verfassung haben möchte.

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Wir lehnen grundsätzlich alles ab

Falls wir uns dann überwinden können, einmal aus dem Routine-Käfig auszubrechen, um endlich etwas zu verändern, bleibt da noch die Sache mit dem Sich-schlau-Machen. So wie wir in einer neuen Burger-Bude zuerst die Speisekarte studieren müssen, müssen wir uns auch bei Abstimmungen zuerst einmal gründlich informieren.

Foto: Giorgio Montersino | Flickr | CC BY-SA 2.0

Manche fragen einfach ihre Freunde nach ihrer Meinung und stimmen dann das Gleiche wie sie. Andere bedienen sich anderer Heuristiken und stimmen vorurteilsvoll wild darauf los. Doch egal, wie wir uns informieren: Wir lehnen Neuerungen grundsätzlich eher ab—bisher ging es uns ja auch mit dem Altbewährten ganz gut.

Darum überrascht es auch nicht, dass in der Schweiz, gerade einmal 22 von allen 203 lancierten Initiativen angenommen wurden. Knappe 90 Prozent wurden also abgelehnt. Aber wieso ist das so? Haben wir vielleicht einfach Angst davor, Dinge mit unserer Unwissenheit zu verändern oder im schlimmsten Fall sogar zu verschlechtern?

Ich habe diese Fragen Dr. des. Fabian Gander vom psychologischen Institut der Universität Zürich gestellt, der sich mit Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik beschäftigt. „Während einige Menschen sehr offen gegenüber neuen Ideen sind, sind andere diesen gegenüber sehr skeptisch eingestellt", erklärt sich der Psychologe dieses ablehnende Verhalten und ergänzt, dass der grösste Teil der Bevölkerung sich aber in der Mitte dieses Spektrums befinde. „Die Ablehnung lässt sich auf grundlegende Persönlickeitsmerkmale zurückführen, wie beispielsweise die ‚Offenheit für neue Erfahrungen', welche in einigen Persönlichkeitstheorien eine der fünf grundlegenden Persönlichkeitsdimensionen darstellt."

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Dabei spielen laut Dr. des. Gander Gewissenhaftigkeit, emotionale Instabilität und Verträglichkeit ebenfalls eine entscheidende Rolle. „Demnach dürften wenig offene, gewissenhafte und neurotizistische Personen dazu neigen, das Gewohnte, Bekannte dem Neuen, Ungewissen zu bevorzugen." Was uns zum zweiten Punkt bringt:

Wenn wir eine Initiative annehmen, dann aus Eigennutz

Es braucht also viel, um die Schweizer Bevölkerung zu einer Veränderung zu bewegen. Das bedeutet, wenn wir schon bereit sind, die Grenzen unserer Comfort-Zone um auch nur einen Zentimeter zu bewegen, muss es sich für uns auch wirklich lohnen. Das war so, als wir uns an der Urne dafür entschieden haben, am 1. August lieber Raketen in den Himmel zu jagen statt zu arbeiten oder auch, als wir uns für die Verhinderung missbräuchlicher Preise entschieden haben.

Das weiss auch die CVP und setzt auf etwas, das vielen heiratswilligen Schweizerinnen und Schweizern schon länger ein Dorn im Auge ist: die Heiratsstrafe. Diese nutzte sie, um die Menschen mit einem finanziellen Vorteil zu locken, der gross genug ist, dass die Mehrheit der Wähler an der Urne über die Festlegung der Ehe als eine Verbindung zwischen Mann und Frau hinwegsehen kann.

Und deswegen haben wir die CVP-Initiative abgelehnt

Es wird dich wahrscheinlich erstaunen, aber tatsächlich existiert bis heute in der Schweiz kein Gesetz, das die gleichgeschlechtliche Ehe explizit verbietet. In unserer Bundesverfassung steht lediglich: „Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet". Auch im Zivilgesetzbuch findest du keine Präzisierung, die die Ehe ausdrücklich als eine Verbindung zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts festhält.

Trotzdem wurde in der Schweiz noch nie ein gleichgeschlechtliches Paar auf einem Standesamt getraut. Das liegt laut der SP vor allem an der historischen und religiösen Interpretation der Ehe—und die ist nunmal mindestens so christlich wie die CVP.

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Foto: Franz Johann Morgenbesser | Flickr | CC BY SA-2.0

Für die Hetero-Mehrheit hat es bislang mit dieser Interpretation gut geklappt (sehen wir einmal von Kleinigkeiten wie der Scheidungsrate von 40 Prozent ab). Aber da wir über die Durchsetzungsinitiative diskutierten, fand auch die Diskussion der Heiratsstrafe-Initiative in einem Klima statt, in welchem sich die Schweizer Gesellschaft fragte: Wollen wir neu eine Zweiklassengesellschaft haben? Anders als das die CVP geplant hatte, ging es nicht mehr darum, den Status quo zu erhalten.

Bislang haben wir das getan, indem wir passiv dabei zugeschaut haben, wie die abstimmende Hälfte der Schweizer Bevölkerung ihre Stimmzettel ausfüllt. Letzten Sonntag mussten wir plötzlich etwas tun, um unsere (eigentlich konservative) Gleichheit vor dem Gesetz zu erhalten. Und da haben sich die grundsätzlich konservativen Mehrheiten aufgerafft und das getan, was nötig war.

Sascha ist stolz auf die Schweiz: @saschulius

VICE Schweiz ebenfalls: @ViceSwitzerland


Titelbild: Waiting For The Word | Flickr | CC BY 2.0