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Ein Gamer brauchte neun Jahre, um eine geheimnisvolle Tür zu öffnen – und verschwand dann einfach

Jahrelang war die mysteriöse Tür so etwas wie der heilige Gral des Online-Rollenspiels 'Tibia'. Jetzt hat ein Spieler das nötige Level erreicht, ist durch die Tür gegangen und weiß damit, was sonst keiner weiß.

Im Massively-Multiplayer-Online-Spiel Tibia gibt es eine Tür, die eine simple Botschaft für die Spieler bereithält: "You see a gate of expertise for level 999. Only the worthy may pass." In anderen Worten: Nur die Zocker, die Level 999 erreicht haben (und damit würdig sind), dürfen durch diese Tür gehen. Jetzt hat ein Spieler namens Kharsek nun genau das geschafft. Es musste ganze neun Jahre lang Erfahrungspunkte sammeln, um Level 999 zu erreichen. Nachdem er jedoch durch die Tür gegangen war, hat man nichts mehr von Kharsek gehört—und damit auch nicht von dem, was hinter der Tür liegt.

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Alle Bilder: bereitgestellt von CipSoft

Besagte geheimnisvolle Tür gehört seit seiner Einführung im Jahr 2005 zu einer der am schwersten zu knackenden Herausforderungen von Tibia. Laut den Entwicklern befand sich hinter der Tür lange Zeit gar nichts. Sie war nur ein kleiner Spaß für die Community, ein witziges "Was wäre wenn?", das eigentlich niemand lösen sollte.

"Unser Ziel war es, die Spieler ein wenig auf den Arm zu nehmen, weil wir wirklich nicht davon ausgingen, dass irgendjemand dieses Level erreichen würde", meinte Martin Eglseder, der verantwortliche Tibia-Projektmanager.

Aber dann trat genau dieser Fall ein.

Das ist die Tür, die vielen Spielern seit gut einem Jahrzehnt Kopfzerbrechen bereitet

Tibia startete im Jahr 1997 und ist damit eines der ältesten MMOs überhaupt. Und auch fast 20 Jahre später gibt es immer noch viele aktive Spieler. Dabei ist Tibia nichts für schwache Nerven, sondern ein Hardcore-Online-Rollenspiel, das den Spielern absolut nichts schenkt. Wenn man nämlich stirbt, geht ein gewisser Teil der angesammelten Erfahrungspunkte flöten. Das kann bedeuten, dass ein tagelang erarbeiteter Fortschritt einfach so für die Katz war. Es ist jedoch genau dieser Nervenkitzel, der die Leute immer wieder zurückkommen lässt.

"Wegen der Kombination aus extrem frustrierenden Konsequenzen und der Hardcore-Leveling-Kurve macht das Spiel so viel Spaß", erklärte mir Mathias Bynens, der Schöpfer des Blogs TibiaMaps. "Wenn du ein höheres Level erreichst, hast du wirklich etwas geschafft. Und wenn du eine gefährliche Situation überstehst, dann fällt dir ein großer Stein vom Herzen."

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Anfangs war Tibia nur ein hobbymäßiges Projekt von vier deutschen Informatik-Studenten. Der unerwartete Erfolg brachte sie dann jedoch dazu, CipSoft zu gründen. Und obwohl das Spiel nun schon fast zwei Jahrzehnte alt ist, sind laut CipSoft immer noch gut 500.000 aktive Spieler aus 200 Ländern dabei.

"Dass Kharsek es bis Level 999 geschafft hat, ist beeindruckend. Dass er dafür weniger als neun Jahre gebraucht hat, ist schlicht und einfach unglaublich."

"Ein Spieler meinte mal, dass Tibia-Freundschaften ein Leben lang halten", sagte Eglseder. "Genau deswegen bleiben die Leute auch dabei oder kommen nach einer längeren Pause wieder zurück. Viele Spieler sind schon seit mehreren Jahren aktiv und das Spiel ist damit auch zu einem Teil ihres Lebens geworden. Sie sind richtige 'Tibianer'."

Tibianer sind oftmals richtig besessen davon, alle Ecken und Eigenschaften des Spiels zu kennen. Ein echtes Geheimnis findet man dort auch nicht so leicht. Und genau dieser Umstand macht die Tür ja so verlockend.

In Tibia gibt es keine Levelgrenze. Wenn man es darauf anlegen würde, könnte man also bis in alle Ewigkeiten spielen. Was das Erreichen von Level 999 jedoch so spektakulär macht, ist die Tatsache, dass es unglaublich viel Zeit und Energie kostet, sich in Tibia hochzuarbeiten—vor allem ab den dreistelligen Leveln. Davon ließ sich Kharsek jedoch nicht aufhalten. Er fing 2007 mit Tibia an und ist jetzt der erste Spieler, der Level 999 erreicht hat.

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"Dass Kharsek es bis Level 999 geschafft hat, ist beeindruckend", meinte Bynens. "Dass er dafür weniger als neun Jahre gebraucht hat, ist schlicht und einfach unglaublich."

Dem stimmen auch die Entwickler zu, denn viele Tibianer sehen neun Jahre als ziemlich schnell an.

Kharsek ist ein scheuer Spieler, der sich sogar noch weiter zurückgezogen hat, seit sein Erfolg so hohe Wellen schlägt. "Ich weiß nur, dass er aus Brasilien kommt und lieber alleine unterwegs ist", erzählte mir Bynens. "Und das verstehe ich auch. Schließlich schreiben ihm die Fans bestimmt unablässig In-Game-Nachrichten—vor allem jetzt bei dem ganzen Hype um seine Person." Ich selbst hatte auch kein Glück und konnte Kharsek nicht erreichen.

Aber was genau braucht es überhaupt, um Level 999 zu erreichen und die mysteriöse Tür zu öffnen? Dröseln wir das Ganze doch mal auf: Um von Level 19 auf Level 20 zu springen, benötigt man 15.400 Erfahrungspunkte und beim Kampf gegen einen einzigen Gegner erhält man maximal 35.000 dieser Erfahrungspunkte. Für den Sprung auf Level 50 braucht man dann schon 112.900 Erfahrungspunkte und hat damit insgesamt schon 1.847.300 Erfahrungspunkte gesammelt. Bei Level 100 stehen dann wahnsinnige 15.694.800 Erfahrungspunkte auf dem Konto.

Und der Sprung von Level 998 auf Level 999? Nun, dafür sind genauso viele Punkte vonnöten wie beim Fortschritt von Level 1 bis 145, nämlich ganze 49.650.700. Einer Tibia-Tracking-Website zufolge gibt es nur vier Spieler mit einem Level über 900. Zwischen Kharsek und dem zweitplatzierten Dev onica liegen dabei ganze 61 Level.

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Bynens schätzt, dass Kharsek mit einem Team von Spielern, die ihm beim Buffen, bei der Heilung und so weiter helfen, gut fünf Millionen Erfahrungspunkte pro Stunde sammeln könnte. Mit dieser Geschwindigkeit würde es gut neun Stunden an konstanter Zockerei brachen, um von Level 998 auf Level 999 zu springen.

Bynens ist jedoch nicht der einzige, der Kharseks Fortschritt genau verfolgt hat. Nein, auch andere Spieler fieberten beim Weg zum Meilenstein mit und luden dabei auch diverse Videos bei YouTube hoch.

Vor acht Monaten war Kharsek noch auf Level 930 und vor drei Monaten auf Level 968. Hier muss man aber immer im Hinterkopf behalten, dass er bei jedem Ableben wieder mehrere Level verlor und sein Ziel weiter weg rückte.

Zwar zieht die geheimnisvolle Tür die Tibia-Spieler schon seit Jahren in ihren Bann, aber als man auf Reddit darüber diskutierte, dass Kharsek dem Level 999 immer näher kam, erreichte das Interesse seinen Höhepunkt.

"Ich habe noch nie von diesem Spiel gehört", schrieb ein User, "aber jetzt dreht sich bei mir alles nur noch darum, ob dieser Idiot diese dumme Tür aufbekommt."

Die Entwickler haben sich allerdings schon lange vor Kharseks Erfolgen auf genau diesen Moment vorbereitet.

"Ein Geheimnis, das schon so lange besteht und die Spieler auf Trab hält, kann man nicht lüften, ohne dabei irgendjemanden zu enttäuschen", sagte Eglseder. "Es ist einfach nicht möglich, die ganzen verschiedenen Hoffnungen und Erwartungen zu erfüllen. Irgendjemand ist immer unzufrieden."

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In Bezug auf die Entscheidung, was man nun wirklich hinter die Tür packen würde, wählten die Entwickler einen Ansatz, der ihrer Meinung nach für das Spiel als Ganzes langfristig gesehen am besten ist.

"Ich habe noch nie von diesem Spiel gehört, aber jetzt dreht sich bei mir alles nur noch darum, ob dieser Idiot diese dumme Tür aufbekommt."

Im Zuge der heutigen Streaming-Kultur wäre es kaum überraschend gewesen, wenn sich Kharsek dazu entschieden hätte, ein großes Trara um seinen Weg durch die Tür zu machen. Er hätte seinen Ruhm voll auskosten können, aber er entschied sich dagegen. Nein, stattdessen tat Kharsek Anfang der Woche einfach das, was vor ihm noch kein anderer Tibia-Spieler geschafft hatte: Er lief still und leise durch die Tür, die man nur mit Level 999 öffnen kann.

Und das war's. Seitdem hat man nichts mehr von Kharsek gehört.

"Vielleicht befindet sich dahinter eine Truhe mit Belohnungen", heißt es in einem Foreneintrag eines Spielers, der dabei zusah, wie Kharsek durch die Tür ging. "Vielleicht aber auch Nicht-Spieler-Charaktere oder irgendwelches verstecktes Zeug. Wir wissen es nicht. Kharsek kam wieder raus und loggte sich aus."

Bis heute weiß niemand, was sich hinter der Tür befindet. Und auch die Entwickler wollen nichts verraten.

"Nein, wir werden nicht preisgeben, was sich hinter der Tür befindet", meinte Eglseder. "Natürlich könnten wir uns zu diversen Vermutungen äußern, aber wir überlassen es dem Spieler, wie und was er den anderen über die Tür und das dahinter liegende Geheimnis erzählen will."

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Eine Sache hat Eglseder dann aber doch durchblicken lassen—vielleicht, um die Spieler zu beruhigen, die Angst haben, etwas Spektakuläres zu verpassen: "Hinter der Tür befindet sich kein ganzes Feature-Set oder ein Paket voller 'End Game'-Inhalten."

Oder etwa doch?

Es kann gut sein, dass Kharsek wütend darüber ist, wie ihn andere Tibia-Spieler behandelt haben. Auf seinem Weg zu Level 999 haben ihn verschiedene Zocker nämlich immer wieder verfolgt, um seinen Fortschritt zu sabotieren.

"Eine Gruppe an Spielern hat ständig die Spawn-Gegenden heimgesucht, in denen Kharsek unterwegs war, und dort alle Kreaturen getötet, um ihm Erfahrungspunkte wegzunehmen", erklärte mir Bynens. "Außerdem lockten sie immer mehrere starke Monster in die Richtung von Kharseks Heilern, die dann natürlich wegrannten oder umkamen. So stand Kharsek ohne Heiler da, was selbst bei seinem Level sehr gefährlich ist. Im Grunde ist das richtige Schikane. Ich weiß nicht, warum sie Kharsek das angetan haben. Vielleicht waren sie einfach nur neidisch auf sein hohes Level?"

Jetzt gibt es für die anderen Spieler aber noch einen weiteren Grund, um neidisch zu sein. Kharsek ist nämlich der einzige Tibianer, der weiß, was sich hinter der geheimnisvollen Tür befindet.