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The Up Close and Personal Issue

Die Situationen – Eine Kurzgeschichte von Joyce Carol Oates

Eine Geschichte über Kätzchen, das Aufwachsen mit einem gewalttätigen Vater und Geschwisterliebe.

Fotos von Alana Celii

Aus der The Up Close and Personal Issue

I
KÄTZCHEN

Papa fuhr uns nach Hause. Wir drei im Rücksitz und Lula, die sein Liebling war, im Beifahrersitz.

Lula rief, Oh Papa!—Schau.

Am Straßenrand, im geknickten Gras, war etwas Kleines und Pelzig-Weißes. Es sah lebendig aus.

Oh Papa, bitte.

Papa lachte. Papa hielt das Auto an. Lula sprang aus dem Auto. Wir liefen mit ihr zurück und entdeckten im geknickten Gras drei kleine Kätzchen—weiß, mit schwarzen und rotbraunen Flecken.

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Wir hoben die Kätzchen auf! Sie waren so winzig, sie passten in unsere Hände und wogen nur vielleicht hundert Gramm! Sie maunzten, die Augen kaum geöffnet. Oh, oh!—So etwas Schönes hatten wir noch nie gesehen! Wir liefen zurück zum Auto, wo Papa wartete. Wir flehten Papa an, sie mitnehmen zu dürfen.

Erst sagte Papa nein. Papa sagte, die Kätzchen würden im Auto Dreck machen.

Lula sagte, Oh Papa, bitte. Wir versprachen, alles wegzumachen, falls die Kätzchen Dreck machten.

Also gab Papa nach. Papa hatte Lula am liebsten, aber wir waren trotzdem froh, Papas Kinder zu sein.

Im Rücksitz hatten wir zwei der kleinen Kätzchen. Vorne hielt Lula das weißeste Kätzchen.

Wir freuten uns so und waren so glücklich mit den Kätzchen! Lula sagte, sie würde das weißeste Kätzchen Schneeflocke nennen, und wir würden unsere kleinen Kätzchen Kürbiskopf und Rußpfote nennen, denn das weiße Fell von Kürbiskopf hatte orange Flecken und das weiße Fell von Rußpfote hatte schwarze Flecken.

Ein paar Minuten lang fuhr Papa und sagte nichts. Wir haben dafür die ganze Zeit geschwatzt! Wenn man genau hinhörte, konnte man auch winzige Maunzer hören.

Dann sagte Papa, Rieche ich da etwa Dreck?

Wir riefen, Nein, nein!

Ich glaube, doch.

Nein, Papa!

Dreimal Dreck. Ich rieche es doch.

Nein, Papa!

(Und so war es auch: Keines der Kätzchen hatte Dreck gemacht.)

Aber Papa hielt das Auto an. An der Brücke über den Fluss, wo es eine steile Rampe gibt, außerhalb unserer Stadt und etwa drei Kilometer von unserem Haus, parkte Papa das Auto und sagte zu Lula, Gib mir Schneeflocke, und Papa schaute streng zu uns in den Rückspiegel und sagte, Gebt mir Kürbiskopf, und gebt mir Rußpfote.

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Wir fingen an zu weinen. Lula weinte am lautesten. Doch Papa nahm ihr das kleine Kätzchen weg und griff mit rotem Gesicht und gerunzelter Stirn nach hinten, um uns Kürbiskopf und Rußpfote wegzunehmen, in Papas großer Hand. Die Kätzchen maunzten inzwischen schon laut und zitterten vor Angst.

Papa stieg aus dem Auto und lief mit großen Papaschritten die Rampe zur Brücke hoch und warf die Kätzchen über die Brüstung. Drei winzige Dinger, die zuerst vor dem nebligen Himmel aufstiegen, dann schnell fielen und verschwanden.

Als Papa zum Auto zurückkehrte, schrie Lula, Papa, warum?

Papa sagte, Weil ich Papa bin, der entscheidet, wie die Dinge enden.

II
WILDER KUSS

Heimlich, zu Fuß, machte er sich auf zum Festland. Er lebte auf einer Insel von vielleicht 20 Quadratkilometern, mit einer Stiefelform wie Italien. Zwischen der Insel und dem Festland gab es eine drei Kilometer lange Schwimmbrücke. Seine Eltern hatten ihm verboten, aufs Festland zu reisen, denn das Leben dort war "einfach und faul". Das Inselleben war bestimmt von Disziplin, Strenge, dem Willen Gottes. Seine Eltern hatten den Kontakt zu den Verwandten auf dem Festland abgebrochen, und diese bemitleideten die Insulaner wiederum als ungebildet, abergläubisch und arm.

Auf der Insel gab es Kolonien wilder Katzen, sehr inzüchtig und auch gefährlich, wenn man sie bedrängte, aber unbeschreiblich schön—eine der Kolonien bestand hauptsächlich aus feurig-orange getigerten Katzen mit sechs Zehen, eine andere war hauptsächlich nachtschwarz mit gelbbraunen Augen, eine andere war hauptsächlich langhaarig-weiß mit durchdringenden grünen Augen, und eine andere, die größte Kolonie, bestand hauptsächlich aus Schildpattkatzen mit komplexen steinfarbenen, silbernen und schwarzen Flecken und goldenen Augen—und sie schienen sich in der rauen, felsigen Gegend nahe der Schwimmbrücke wohlzufühlen. Es war den Inselkindern grundsätzlich verboten, sich den wilden Katzen zu nähern oder sie zu füttern; es war gefährlich, sie zu streicheln, und noch viel mehr, sie einzufangen und mit nach Hause zu nehmen. Selbst die kleinen Kätzchen waren dafür bekannt, dass sie wild kratzen und beißen konnten. Doch auf dem Weg zum Festland, als er sich der Schwimmbrücke näherte, konnte er nicht widerstehen und warf den Schildpattkatzen, die ihn mit etwas Abstand feindselig anfunkelten, einige Bissen von seinem Essen hin—Miez? Miez? Solch wunderschöne Wesen! Eines Tages war er frech und schaffte es, eine junge Schildpattkatze, die kaum mehr war als ein Kätzchen, mit hervorstehenden Rippen und aufgestellten, aufmerksamen Ohren, zu packen, und er hielt ihr zitterndes Leben in seinen Fingern wie sein eigenes Herz, das man ihm aus der Brust gezogen hatte—dann wand sich die Katze panisch, fauchte, kratze und versenkte ihre kleinen scharfen Zähne in das Fleisch seiner Daumenwurzel, und er ließ sie mit einem kleinen Verdammt! frei und wischte das Blut an seinem Hosenbein ab und setzte seine Reise über die Schwimmbrücke fort.

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Auf dem Festland sah er sie: ein Mädchen, vielleicht gleichaltrig oder etwas jünger, das mit anderen Kindern lief. Der Küstenwind war nebelverhangen, feuchtkalt und unerbittlich. Tropfen hatten sich auf seinen Wimpern gebildet wie Tränen. Ihr langes Haar peitschte im Wind. Ihr makelloses Gesicht war scheu von ihm abgewandt, oder auch neckisch. Er war wagemutig, dreist geworden; sein Erlebnis mit der Schildpattkatze hatte ihn nicht entmutigt, sondern schien ihn sogar bestärkt zu haben. Hier auf dem Festland war er ein Junge, der sich als Mann ausgab, denn hier fühlte er sich älter, selbstbewusster. Hier kannte auch niemand seinen Namen oder den Namen seiner Familie. Er ging mit dem Mädchen und trennte sie von den anderen Kindern. Er fragte nach ihrem Namen—Mariana. Er hielt ihre kleine Hand, die anfangs seiner widerstand, als er danach griff. Er küsste sie auf die Lippen, sachte, aber mit großer Erregung. Als sie sich nicht entzog, küsste er sie wieder, mit mehr Nachdruck. Sie drehte sich zur Seite, als ob sie vor ihm weglaufen wollte. Doch er umklammerte ihre Hand und ihren Arm; er hielt sie fest und küsste sie so fest, dass er den Druck ihrer Zähne an seinen eigenen spürte. Er bildete sich ein, sie würde ihn zurückküssen, doch mit weniger Nachdruck. Sie zog sich zurück. Sie schnappte seine Hand und biss ihn, lachend, an der Innenseite des Daumens, ins weiche Fleisch der Daumenwurzel. Erstaunt starrte er auf das schnell fließende Blut. Die Wunde war so klein, und doch—so viel Blut! Seine Hosenbeine waren befleckt. Seine Stiefel waren voller Spritzer. Er machte einen Rückzug, und das Mädchen rannte, um die anderen Kinder einzuholen—bald sah er, wie sie alle zusammen den weiten, unebenen Strand voll angewehtem Schutt entlang rannten, ihr Gelächter schrill und höhnisch, und nicht eines von ihnen sah sich nach ihm um.

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Von plötzlicher Angst erfüllt, die Brücke könnte davongeschwommen sein, kehrte er zur Schwimmbrücke zurück. Doch da war sie noch, im Küstenwind schaukelnd, und sie sah kleiner und verwitterter aus. Es war Spätherbst. Er konnte sich nicht erinnern, in welcher Jahreszeit er aufgebrochen war—war es Sommer gewesen? Frühling? Die See hob sich in wütend schäumenden Wellen. Die Insel war hinter einem Nebelschleier fast unsichtbar. In den Wellen sah er die Gesichter der älteren Insulaner, seiner Leute. Graubärtige Männer, stirnrunzelnde Frauen. Bei seiner Rückkehr über die schaukelnde Schwimmbrücke geriet er außer Atem. An Land schenkte er der Kolonie von Schildpattkatzen keine Beachtung, die höhnisch miauend und mit listigen Katzengesichtern zwischen den Felsen auf ihn zu warten schien. Die Wunde an seiner Daumenwurzel tat weh; er schämte sich für seine Verletzung, die sichtbaren Spuren kleiner scharfer Zähne in seinem Fleisch. Innerhalb weniger Tage wurde die Wunde blau und violett, und mit einem Messer, das noch von der Flamme glühte, öffnete er die Wunde wieder, um das heiße Blut erneut fließen zu lassen.

Er wickelte seine Daumenwurzel in eine Bandage. Er erklärte, er habe sich achtlos an einem rostigen Nagel oder Haken verletzt. Er kehrte in sein Leben zurück, das bald über ihn schwappte wie Wellen, die den Strand emporsteigen und zwischen die Felsen fließen. Eines Tages würde er die Bandage abnehmen und die kleine gezahnte Narbe in seinem Fleisch sehen, fast vollständig verheilt. Heimlich, von Gefühlen überkommen, würde er die Narbe küssen, doch nach einer Weile würde er vergessen, warum.

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III
HOFFNUNG

Papa fuhr uns nach Hause. Nur zwei von uns im Rücksitz, und Esther, die Papas Liebling war, im Beifahrersitz.

Esther rief, Oh Papa!—pass auf!

Ein dunkel-pelziges Wesen überquerte mit schnellen, kleinen Schritten die Straße vor Papas Auto. Vielleicht war es eine große Katze, oder ein junger Fuchs. Papa drosselte keinen Augenblick lang seine Geschwindigkeit—er bewegte nicht das Lenkrad und bremste nicht, um das Wesen nicht zu erfassen, doch er schien auch nicht aufs Gaspedal zu treten, um es absichtlich zu überfahren.

Der rechte Vorderreifen traf es mit einem dumpfen Schlag. Es gab einen spitzen kleinen Schrei, dann Stille. Oh Papa, bitte. Bitte halt an. Esthers Stimme war dünn und klagend, und obwohl diese Stimme zum Flehen bestimmt war, war es auch eine Stimme ohne Hoffnung. Papa lachte. Papa hielt das Auto nicht an. Wir hinten knieten uns auf den Sitz, um durch das Rückfenster zu sehen—und im geknickten Gras am Straßenrand wand sich das pelzige Wesen unter quälenden Schmerzen.

Papa—halt an! Papa, bitte halt an, das Tier ist verletzt.

Doch unsere Stimmen waren dünn und klagend und ohne Hoffnung, und Papa schenkte uns wenig Beachtung und fuhr stattdessen weiter und summte ein Lied, und im Beifahrersitz weinte Esther auf ihre sanfte, hilflose Art, und im Rücksitz waren wir ganz still.

Einer von uns flüsterte zum anderen, Das war eine Mieze!

Der andere flüsterte, Das war ein Fuchs!

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An der Brücke über den Fluss, wo es eine steile Rampe gibt, hielt Papa das Auto an. Papa runzelte die Stirn und war gereizt, und Papa sagte zu Esther, Steig' aus dem Auto. Und Papa drehte sich mit einem Grunzen zu uns im Rücksitz, und Papas Augen funkelten vor Wut, als er uns befahl auszusteigen.

Wir hatten große Angst. Doch auf dem Rücksitz von Papas Auto konnten wir uns nicht verstecken.

Draußen zitterte Esther. Ein kalter Wind wehte vom nebelverhüllten Fluss herauf. Wir stellten uns nah an Esther, als Papa auf uns zukam.

In Papas Gesicht standen Bedauern und Reue geschrieben. Doch es war Reue für etwas, das noch nicht passiert war, das unvermeidbar war. Papa schlug Esther ruhig mit der Faust in den Rücken, sodass sie zu Boden ging wie eine Erschossene, so atemlos, dass sie erst weder schreien noch weinen, sondern nur zitternd am Boden liegen konnte. Wir wollten weglaufen, doch wir trauten uns nicht, denn Papas lange Beine würden uns einholen, das wussten wir.

Papa schlug uns, einen nach dem anderen. Einen auf den Rücken wie schon Esther, und den anderen mit einem achtlosen, flüchtigen Schlag an die Seite des Schädels, als ob in diesem Fall (meinem Fall) das Kind ein hoffnungsloser Fall und Disziplin schon längst vergebens sei. Oh, oh, oh!—wir hatten gelernt, die Schreie zu unterdrücken.

Mit langen Papaschritten kehrte Papa zum Auto zurück, um eine Zigarette zu rauchen. Das war schon einmal passiert, aber nicht genau so, und wenn eine Sache auf eine Art geschieht, die an eine frühere erinnert, dann verstört es einen mehr, als wenn sie noch nie geschehen wäre, auf welche Art auch immer. Wir lagen auf dem klumpigen Boden im geknickten und vertrockneten Gras und schluchzten und versuchten, wieder zu Atem zu kommen. Esther, die Älteste, erholte sich als Erstes, kroch zu Kevin und mir und half uns auf unseren wackeligen Zahnstocherbeinen zum Stehen zu kommen. Wir waren benommen vor Schmerzen und auch von dem widerlichen Gefühl, das man bekommt, wenn etwas anders kommt, als man dachte, doch während es passiert, erinnert man sich, dass man es doch schon einmal erlebt hat, und diese Tatsache gibt einem die Gewissheit, dass alles sich genau so wiederholen wird, wie eine Reihe Türschlösser, die eine Reihe Türen aufschließt.

Im Auto saß Papa und rauchte. Die Fahrertür war nur angelehnt, doch das Auto füllte sich trotzdem mit blauem Rauch wie Nebel. Zwischen Esther und Papa gab es eine Situation, die es nur zwischen Esther und Papa gab, wie es sie einst nur zwischen Lula und Papa gegeben hatte: Wenn Esther Papa enttäuscht hatte und dafür bestraft worden war, dass sie Papa enttäuscht hatte, dann durfte Esther, und sollte sie vielleicht sogar, sich zu dieser Strafe äußern, so lange sie Papa nicht infrage stellte oder ihn noch mehr enttäuschte. Eine deutliche, einfache Frage von Esther an Papa schien, zu unserer Überraschung, oft erwünscht.

Esthers Stimme stockte, als sie sagte, Oh Papa, warum?

Papa sagte, Weil ich Papa bin, dessen Kinder niemals die Hoffnung aufgeben dürfen.

© Ontario Review, Inc., 2016