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Heulsuse der Woche: Dresdner Pegida-Anhänger vs. Netto

Besorgte Bürger bepöbeln Schulkinder, weil die nicht arbeiten gehen, und der Lebensmitteldiscounter entlässt eine schwerbehinderte Mitarbeiterin wegen Bonbons.

Und wieder ist es an der Zeit, sich über ein paar Menschen zu wundern, die mit der Welt nicht fertigwerden.

Heulsuse #1: Dresdner Pegida-Anhänger

Foto: imago/Max Stein

Der Vorfall: Besorgte Patrioten ziehen durch die Dresdner Innenstadt und stoßen dabei auf eine Gruppe Schulkinder.

Die angemessene Reaktion: Weiterziehen. Aus Rücksicht auf die Kinder vielleicht ein bisschen weniger herumkrakehlen.

Die tatsächliche Reaktion: Die Kinder angreifen, weil man sie für Gegendemonstranten hält.

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Selbst für eingefleischte Nationalisten dürfte es mittlerweile schwer geworden sein, die Neue Rechte zu verstehen. Im einen Moment nehmen Ausländer Arbeitsplätze weg, im nächsten sind sie verachtenswerte Sozialschmarotzer. Einmal wird „das Wohl unserer Kinder" als Argument für eklatante Fremdenfeindlichkeit herangezogen, dann ist der teutonische Nachwuchs plötzlich auch nichts anderes als „faules Pack". Ja, ihr habt richtig gelesen. So geschehen zu Beginn der Woche in Dresden.

Dort erstarkt aktuell nämlich gerade wieder die Pegida-Bewegung und schaffte es, nach zuletzt stark rückläufigen Teilnehmerzahlen, sage und schreibe 7.500 Leute zusammenzutrommeln. Die Demonstration walzte mit den üblichen Flaggen und Plakaten also aufmerksamkeitsheischend durch die Dresdner Innenstadt—als sie plötzlich auf eine Gruppe von rund 100 Schülern stieß, die im Rahmen des „Schultheater der Länder" gerade eine Vorstellung des Schauspielhauses besucht hatten.

Rechte setzen sich jetzt endlich selbst außer Gefecht.

Laut der Sächsischen Zeitung sollen die Pegidisten die Kindergruppe für Teilnehmer einer Gegendemonstration gehalten und ihnen „Euch kriegen wir auch noch!" entgegengebrüllt haben. Außerdem seien die Schüler geschubst, mit brennenden Zigaretten bedroht und eindringlich dazu aufgefordert worden, „erstmal arbeiten" zu gehen. Ein interessanter Vorschlag, dürfte der Schülergruppe doch in ebenjenem Moment klargeworden sein, wie wichtig es ist, solange wie möglich die Schule zu besuchen und die eigene Bildung nicht zu kurz kommen zu lassen.

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Lutz Bachmann, ehemaliger Pegida-Posterboy und Hobby-Hitler (alles nur aus Spaß, natürlich), dementierte laut der SZ den Vorfall und bedachte die Augenzeugenberichte mit einem wenig überraschenden „Das ist mir scheißegal."

Das sächsische Kulturministerium schämt sich derweil für seine Einwohner in Grund und Boden und äußerte in einem offenen Brief an die Schüler: „Unsere Gastfreundschaft wurde von Pegida-Demonstranten mit Füßen getreten. Wir sind entsetzt und betroffen, dass Ihr am gestrigen Montagabend vor dem Schauspielhaus Dresden von Pegida-Demonstranten angegriffen, beleidigt und bedroht worden seid. Wir verurteilen die Angriffe auf Euch zu tiefst." Zu Recht, Sachsen. Zu Recht.

Heulsuse #2: Der Lebensmitteldiscounter Netto

Foto: imago/Ralph Peters

Der Vorfall: Eine schwerbehinderte Kassiererin wehrt sich gegen ihren Arbeitgeber, weil der ihr angebliche Fehlstunden anrechnet.

Die angemessene Reaktion: Mit der Frau klären, ob ein Versehen vorliegt. Sich friedlich auf eine Lösung einigen.

Die tatsächliche Reaktion: Ihr Fehlverhalten bei der Arbeit vorwerfen und sie entlassen.

Angela Webster arbeitete bereits sechs Jahre bei der Paderborner Filiale des Netto Marken-Discount, als sie Ende Juli fristlos gekündigt wurde. Die Begründung ihres Arbeitgebers: Sie habe an der Kasse Bonbons gelutscht, die ihr beinahe aus dem Mund gefallen seien. Außerdem soll sie sich dabei negativ über ihren Arbeitgeber geäußert haben. Die Beschwerde ging angeblich von einem Kunden ein, laut der Beschuldigten hat diese Aktion allerdings nie stattgefunden. Viel mehr soll es sich dabei um einen weiteren Versuch der Firma handeln, sie als Angestellte loszuwerden. Seit einem Arbeitsunfall in der Filiale ist Webster schwerbehindert und kann somit nicht so einfach entlassen werden.

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Wenn du behindert bist, schuldet Schäuble dir einen Porsche.

Wie die Welt mit Berufung auf die Neue Westfälische berichtet, habe die geschasste Mitarbeiterin seit ihrem Unfall mehrere Abmahnungen erhalten. Vor allem wegen angeblicher Minusstunden, die Webster und ihre Kollegen unbezahlt nacharbeiten sollten. Diesbezüglich standen beide Parteien bereits vor Gericht. Wie die Frau uns gegenüber erklärte, sei ihr dabei Recht gegeben worden. Seit April soll sich Netto allerdings davor drücken, seine Unterlagen offenzulegen. Die Beschuldigte geht davon aus, dass die Kundenbeschwerde fingiert ist. Der Firma sei es einfach zu heiß geworden, sie weiter zu beschäftigen.

Vor Gericht sagte die Frau aus, einfach nur ihren alten Job zurückhaben zu wollen. Schließlich habe sie „nichts Unrechtes getan, und vertraue auf [ihr] Recht". Bisher konnte allerdings keine Einigung zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund (der die Interessen der Arbeitnehmerin vertritt) und Netto erreicht werden. Der nächste Gerichtstermin ist für den 18. November angesetzt.

(Anm. d. Redaktion: In der ersten Version des Artikels war, in Berufung auf Welt Online, davon die Rede, dass der Angestellten vorgeworfen wurde, die Bonbons geklaut zu haben. Frau Webster hat sich mittlerweile telefonisch bei uns gemeldet und den Tatbestand richtig gestellt. Wir haben den Text dementsprechend abgeändert.)

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