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Der nasenlose Oberst John Bogdan

Shaker Aamer wurde bereits 2007 von der Bush-Regierung und später auch von der Obama-Regierung zum freien Mann erklärt. Trotzdem wird er noch in Guantanamo Bay gefangen gehalten. Von dort aus hat er uns ein Märchen geschrieben.

Shaker Aamerist ein Häftling von Guantanamo Bay. Das hier ist die von ihm geschriebene Kurzgeschichte über Oberst John Bogdan—von Juni 2012 bis Juni 2014 Leiter des Gefangenenlagers. Während seiner Amtszeit war Bogdan bei den Häftlingen sehr unbeliebt. Der Hungerstreik, der Anfang 2013 stattfand, wurde laut Berichten durch eine überharte, vom ehemaligen Befehlshaber angeordnete Durchsuchung ausgelöst. Dabei machte man auch nicht vor erniedrigenden Untersuchungen der Geschlechtsteile und dem Einsatz von Gummigeschossen zur Unterdrückung von Aufständen Halt.Dieses Märchen handelt von Oberst Bogdan, dem Mann ohne Nase.

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Es war einmal ein weit entferntes, wunderschönes Königreich. Dort herrschte ein gütiger König über sein friedliches Volk und alle waren glücklich und zufrieden. Dem König lagen seine Untertanen sehr am Herzen und er kümmerte sich gut um sie.

Eines Tages geschah jedoch etwas Schlimmes: Der König wurde von einer Wespe in die Nase gestochen. Die Nase entzündete sich so sehr, dass die Ärzte sie abschneiden mussten. Sie wollten nicht, dass sich die Entzündung weiter auf das Gesicht und dann auf den Körper ausbreitet. Der König sollte nicht an einem Wespenstich sterben.

Der König war wegen seiner fehlenden Nase sehr aufgebracht und wollte nicht mehr gesehen werden. Deshalb hörte er damit auf, sich in der Öffentlichkeit blicken zu lassen. Den Ministern gefiel es gar nicht, ihren geliebten König so aufgebracht zu sehen, und sie hielten deswegen eine Versammlung ohne ihn ab. Sie entschieden sich dazu, ihre Nasen ebenfalls abzuschneiden, um wie ihr König auszusehen. Der war davon sehr überrascht und fragte, was passiert sei. Sie erzählten ihm die Wahrheit und der König freute sich sehr. Dank seiner treu ergebenen Minister besserte sich seine Stimmung wieder.

Aber hier ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Als die Menschen sahen, dass der König wieder glücklich war, und den Grund dafür erfuhren, entschieden sie sich dazu, ihre Nasen ebenfalls abzuschneiden. Das ganze Königreich tat es für den König. Auch allen Kindern schnitt man die Nasen ab, damit niemand mehr eine hatte und alle gleich waren. Von diesem Zeitpunkt an wurde jedem Neugeborenen ebenfalls die Nase abgeschnitten.

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Die Jahre zogen ins Land, der König starb schließlich und es folgten neue Generationen mit neuen Königen. Das Abschneiden der Nasen wurde jedoch immer weiter fortgesetzt. Alles war gut und niemand hatte eine Nase. Man erinnert sich gar nicht mehr daran, wie es war, eine Nase zu besitzen.

Eines Tages kam eine Reihe von Händlern aus einem fernen Land, um Geschäfte zu machen. Ihnen war zu Ohren gekommen, dass in diesem Königreich gute Menschen leben. Sie waren jedoch sehr überrascht davon, dass so viele Einwohner keine Nase hatten. Als sie durch die Stadt fuhren, zeigten sie sich regelrecht schockiert—niemand hatte eine Nase!

Gleichzeitig waren aber auch die Bewohner des Königreichs geschockt und überrascht von dem Ding im Gesicht der Händler. Sie wussten nicht, wie man es nennt. Sie hatten sogar vergessen, was das überhaupt war. Die Händler fragten sich beim Betrachten der Leute, warum sie keine Nase hatten, denn das war nicht normal. Die Bewohner des Königreichs fragten sich beim Betrachten der Händler, warum sie eine Nase hatten, denn das war nicht normal. Wer war hier jetzt normal und wer unnormal?

Egal wie angestrengt die Händler es auch versuchten, die Menschen ließen sich nicht davon überzeugen, dass eine Nase etwas Normales und das Abschneiden der Nasen ihrer Kinder etwas Barbarisches sei. Die Einwohner hatten einfach eine andere Sichtweise. Also ließen die Händler sie in Ruhe und versuchten nicht weiter, ihre Überzeugungen zu verändern.

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Das Ganze ist vergleichbar mit Oberst Bogdan, dem Admiral, der Verwaltung von Guantanamo Bay und selbst der Regierung der USA. Sie glauben, dass ihre Vorgehensweise im Namen des „Kriegs gegen den Terror" normal ist und dass sich jeder genau gleich verhalten sollte.

Die Zeit ist jedoch gekommen, den Bewohnern des Landes ohne Nasen zu sagen, dass sie nicht weiter die Nasen ihrer Kinder abschneiden sollten. Das verärgert sie nur und macht die Welt zu einem schlimmeren Ort. Die Welt muss der US-Regierung sagen, dass sie nicht normal ist, ziellos umherirrt und damit auch alle anderen vom Pfad der Gerechtigkeit abbringt.

Über Shaker Aamer:

Shaker Aamer ist ein Einwohner Großbritanniens. Seine Frau und seine vier Kinder leben in London. Laut eigenen Aussagen baute er für wohltätige Zwecke Mädchenschulen in Afghanistan und wurde dabei für ein Kopfgeld an US-Soldaten verkauft und auf die Bagram Air Base gebracht. Dort wurde er Berichten nach Zeuge von Folterungen. Schließlich verlegte man ihn nach Guantanamo Bay. Aamer wurde von den USA nie wegen eines Verbrechens angeklagt und es gab keinen Prozess gegen ihn. 2007 erklärte ihn die Bush-Regierung zum freien Mann und 2009 machte die Obama-Regierung dasselbe. Trotzdem ist Aamer heute noch in Haft.