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Steuerung, ALT, Entfernen

Eigentlich interessiert es keine Sau, dass der Staat dich überwacht

Microsoft, Apple und die anderen Softwarehersteller besitzen viel zu viel Macht über dein alltägliches Leben und deine Freiheiten—deshalb gibt es jetzt neue Verschlüsselungssoftwares, die dir helfen, dich zu schützen. Aber irgendwie interessiert es...

Peter Sunde lacht, weil er Verschlüsselungen liebt. Foto via WikiCommons

Der Großteil der Medienberichte zu Snowden, die in diesen Tagen das Internet überfluten, dreht sich mehr um den Spion selbst als um seine Enthüllungen. Es gibt auch kaum Informationen dazu, wie man sich vor Datenschnüfflern wie der NSA, die ihre kleinen Agentenköpfe in dein virtuelles Wohnzimmerfenster stecken, schützen kann.

Ein Weg, um sich vor Überwachungsprogrammen wie PRISM zu schützen, ist die Datenverschlüsselung. Viele werden jetzt sagen, dass es kein Schloss auf der Welt gibt, das nicht geknackt werden könnte.

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Angesichts der Tatsache, dass man weltweit der Onlineüberwachung ausgeliefert ist, kommt es kaum überraschend, dass Unternehmen, die verschlüsselte Kommunikationswege anbieten, einen Boom erleben. Die alternative Suchmaschine DuckDuckGo, welche die Suchanfragen ihrer Nutzer anonymisiert, hat durch den NSA-Skandal neue Besucherzahlenrekorde erzielt. Dann ist da noch Seecrypt, eine verschlüsselte Messaging-App—wie Skype, nur sicherer. Seecrypts Vorsitzender sagt, dass die Nutzerzahlen „explodiert“ sind, nachdem die Welt von den wahren Absichten der NSA Wind bekommen hat. Der Erfinder von PGP (Pretty Good Privacy) hat sogar ein Start-up-Unternehmen namens Silent Circle gegründet. Die gleichnamige Software verschlüsselt SMS-Nachrichten und Anrufe.

Und dann ist da noch Peter Sunde, einer der Gründer von Pirate Bay. Zusammen mit Softwareentwicklern arbeitet er an Heml.is (hemlis ist schwedisch und bedeutet „Geheimnis“), eine „schöne und sichere“ Messaging-App, welche die Datenverschlüsselung in ein benutzerfreundliches Format bringt. Nachdem Medien zu Tage brachten, dass Microsoft mit der NSA kooperiert hat, konnte Heml.is mit Crowdfunding 137.000 US-Dollar auftreiben—150 Prozent ihres eigentlichen Ziels.

Ich habe Peter eine E-Mail geschrieben, um mit ihm über das Heml.is-Projekt zu sprechen. Ich wollte wissen, weshalb wir heutzutage eine Datenverschlüsselung brauchen und wie die Zukunft von sicherer Kommunikation aussieht.

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VICE: Wann hast du beschlossen, Heml.is zu gründen?
Peter Sunde: Nach den NSA-Enthüllungen durch Edward Snowden. Wir haben darüber geredet, etwas Neues zu machen, und hatten verschiedene Ideen—eine davon war eine Art Messenger-System. Als die NSA-Überwachung an die Öffentlichkeit kam, wussten wir, dass es genau das war, was wir brauchen—und wir wollten es selbst!

Wie haben Edward Snowdens Enthüllungen dein Verständnis von Regierungsspitzelei verändert?
Es hat sie nicht verändert—und das ist das Problem. Es bestätigte den Verdacht, den wir alle hatten. Es war dann sogar viel schlimmer, als manche Optimisten es gerne gehabt hätten.

Profitieren Regierungen vom Abhören?
Nein. Das ist ja das Problem. Sie sollten sicherstellen, dass Leute erst gar keine Verbrechen begehen WOLLEN, anstatt uns abzuhören. Es bringt mehr, wenn sie den gleichen Aufwand in vernünftigere Dinge wie bessere Bildung, bessere Gesundheitssysteme, bessere Sozialsysteme und in ein besseres Leben für uns alle stecken. Das würde bessere Resultate im Kampf gegen Kriminelle erzielen. Terrorismus ist für die Regierung zu einer Entschuldigung geworden, um das zu tun, was sie will. Aber es beeinflusst die Extremisten überhaupt nicht. Sie umgehen die Überwachung, indem sie einfache Werkzeuge nutzen. Die einzigen Leute, die im Wanzennetz landen, sind die einfachen Internetnutzer.

Seit wann interessierst du dich für die Überwachung?
Es war mir schon immer ein Anliegen! Wenn jemand dich bei irgendwas beobachtet, veränderst du dein Verhalten, wenn du weißt, dass du beobachtet wirst. In der Schule habe ich es gehasst, wenn Lehrer mir über die Schulter geschaut haben. Ich will meine Privatsphäre.

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Denkst du, dass Datenverschlüsselung in naher Zukunft alltagstauglich sein wird?
Verschlüsselung muss es zwar geben, aber es ist in sich selbst keine Lösung für alles. Die Lösung wäre sicherzustellen, dass wir keine Verschlüsselung brauchen. Ich sehe die Verschlüsselung als eine Art Verteidigungsmaßnahme gegen ein sehr aggressives Verhalten, das wir nicht tolerieren sollten. Aber in der Zwischenzeit ist es wie das Benutzen eines Kondoms—wir haben das Heilmittel für manche Krankheiten noch nicht, weshalb wir uns so gut schützen sollten, wie wir können.

Welche Online-Verschlüsselungsmethoden sind deiner Meinung nach gut?
VPN-Dienste schützen ihre Nutzer sehr gut. PGP war in technischer Hinsicht auch erfolgreich, jedoch nicht in Sachen Benutzerfreundlichkeit. Ich wurde Tausende Male interviewt: Ich habe einen einzigen Journalisten getroffen, der die PGP-Verschlüsselung nutz. Es ist echt schade.

Offizieller Werbefilm für Heml.is

Was sind die größten Hürden, wenn man durchschnittliche Internetnutzer dazu bringen will, Verschlüsselungsmethoden zu nutzen?
Eine bestimmte Basis an Nutzern zu gewinnen—durch geschicktes Marketing.

Wird Heml.is deshalb als „schön“ vermarktet?
Ja. Das ist das Hauptproblem bei neuer Technik. Wenn der durchschnittliche Nutzer, der Datenverschlüsselung nicht versteht (oder es ihn einfach nicht interessiert oder er nicht interessiert sein will), nicht anfängt, es zu nutzen, können die Leute, die es nutzen wollen, nicht mit der anderen Person kommunizieren. Dann wird das Programm scheitern. Um Leute dazu zu bewegen, wichtige Technologie zu nutzen, musst du sie einfach attraktiver gestalten, damit sie sich dafür interessieren und sie nutzen. Wenige Leute würden ein hässliches Auto kaufen—sogar wenn es extrem schnell fahren kann. Sie würden eher das Auto kaufen, das gut und schnell aussieht, aber total langsam ist.

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Warum würde eine Person, die nichts zu verstecken hat, Heml.isnutzen?
Es geht nicht darum, ob du etwas zu verstecken hast oder nicht, es geht um das Recht auf Privatsphäre. Heutige Abhörmethoden bedeuten, dass die Regierung alles über dich weiß. Wen du wählst, deine religiöse Überzeugung, mit wem du flirtest, was für sexuelle Vorlieben du hast und so weiter. Es geht sie aber alles nichts an. Und aus der Geschichte haben wir gelernt, dass zukünftige Regierungen mehr an diesen Daten interessiert sein könnten als die jetzigen.

Wir müssen vorausschauend denken. Sind die Daten einmal gespeichert, können sie möglicherweise für immer verfügbar sein.

Denkst du, dass die Leute weniger Microsoft nutzen seit dem NSA-Skandal?
Du denkst, die Software von Microsoft ist beliebt? Es ist eher so, dass sie den Leuten aufgezwungen wird. Trotzdem ist dies eine gute Gelegenheit, um sicherzustellen, dass die Leute die besseren Programme nutzen. Microsoft, Apple und die anderen Softwarehersteller besitzen viel zu viel Macht über dein alltägliches Leben und deine Freiheiten—deshalb ist es wichtig, dass wir ihr Oligopol brechen.

Sehen wir gerade einen Wendepunkt in der Softwareentwicklung? Es scheint, als ob man sich jetzt beeilt, offene, verschlüsselungsbasierte Produkte auf den Markt zu bringen.
Ich befürchte, dass es alles umsonst sein wird. Die Leute geben bereits auf … sie fühlen sich der Regierung nicht gewachsen. Die Softwareentwicklung außerhalb der großen Unternehmen legt mehr Wert auf Datenverschlüsselung und Lösungen, die sich der Privatsphäre der Nutzer bewusst sind. Da draußen sind also bereits die meisten technischen Lösungen. Jedoch stehen wir vor der Hürde, sie an die Nutzer zu bringen.

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Was braucht es für Dienste wie Heml.is, um ein etablierter Kommunikationskanal zu werden?
Ich bin mir nicht sicher, ob wir wollen, dass es ein „etablierter Kanal“ für Kommunikation wird. Wir brauchen viele Lösungen und nicht nur ein paar Programme, denen wir trauen.

Was muss sich noch alles ändern, damit das Internet ein offeneres und freies Medium wird?
Da gibt es jede Menge! Ich denke, es ist ein großes Problem in sich selbst. Mit der Geschwindigkeit, in der das Internet gerade wächst—mit Cloud-Diensten und nur ein paar wenigen Internetbetreibern—, können wir definitiv sehen, dass wir uns in Sachen freier und offener Dienste in die falsche Richtung bewegen.

OK, danke für deine Sicht der Dinge.

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