FYI.

This story is over 5 years old.

The Sprinkles of the Sandman Issue

Urlaub in der Ukraine

Selbstzerstörerischen Leichtsinn empfinde ich immer als vorbildhaft, auch wenn mir selbst bei so einer Aktion von einem Psycho mit einem vietnamesischen Küchenmesser in die Hand gehackt wurde.

Seit zwei Jahren mache ich Autostoppurlaub mit meinem Freund A., irgendwie kam uns erst da die Idee, auf diese Art herumzufahren. Davor war es einfach nicht in unserem Kopf, keine Ahnung wieso, niemand, den wir kannten, hat es gemacht, der Gedanke kam uns nie, es war einfach irgendwie verschwunden, dabei wäre es schon früher unser Ding gewesen, vor allem wäre unser Energielevel wesentlich höher gewesen, und jetzt müssen wir halt davon profitieren, bevor wir das Alter erreichen, in dem man uns nicht mehr für abenteuerlustige Studenten, sondern für weirde, mittellose Penner hält.

Anzeige

Da wir beide ein Faible für die Ukraine haben, er eher aus intellektuellen, allgemein historischen und familiengeschichtlichen Gründen, ich eher aus weniger langweiligen Motiven, sind wir die letzten Tage dort herumgefahren.

Aus Zeitgründen haben wir uns ein Zugticket in die Ostslowakei gekauft, um wieder zwei Wochen wie Obdachlose durch fremde Länder zu sandeln, auszubrechen aus der behaglichen Wiege des Wohlstands, uns lebendig zu fühlen, wenn die Haare sich in ein schweißverklebtes Filznest verwandeln, man für zwei Wochen dasselbe T-Shirt trägt und den halben Tag mit der Erfüllung von Grundbedürfnissen, wie wo schlafen, wo essen, wo scheißen, wie auswischen beschäftigt ist. Hier geht auch mein Bericht los, am 3. September:

Pünktlich zum Start der Reise schießt mir mal gleich das Blut in die Lenden, ein schöner Einstand auf das kommende Sich-permanent-grindig-Fühlen. Wir kommen nachmittags in Michalovce an, die letzte Stadt vor der ukrainischen Grenze. Während ich am Bahnhofsklo versuche, meine blutverkrustete Scheide zu reinigen, deckt A. sich mit slawischen Blätterteigleckereien ein, noch ein kurzer Besuch im Supermarkt, dann geht es los. A. beobachtet mich beim Hygieneartikelkauf, ich weise ihn darauf hin, dass ich das gruslig finde, er meint aber, er wäre einfach interessiert, welche perverse Wahl ich träfe. Nachdem ich mich aus Authentizitätsgründen für eine Art Federmatratze einer slowakischen Billigmarke entschieden habe, beginnen wir unsere Reise mit einem Marsch Richtung Autobahn, und schon setzt dieses Freiheitsfeeling ein. Dieses gewisse Gefühl, bei dem einem klar wird, dass man eigentlich gar nichts braucht zum Unterwegsein, außer einem Pass aus einem wohlhabenden Schengenland, einem leichten, unverwüstlichen Zelt, jugendlich-harmlosem Auftreten, einem hochwertigen Schlafsack, eventuell einem aktuellen, gut recherchierten Reiseführer mit Landkarten, einem Handy, um der Mama SMS zu senden, dass es einem gut geht, der ein oder anderen Annehmlichkeit, und natürlich einer Maestro-Karte, die zu einem gut gefüllten Konto führt.

Anzeige

Wir gehen also gepäckbeladen 15 Kilometer nach Sobrance, dem nächsten Ort Richtung Grenze, auch ein Aspekt, den wir mögen: DAS MARSCHIEREN, DIE EHRBARE ERRUNGENSCHAFT der Wegstrecke, DIE MÜHSAL der Reise, die uns moralisch erhebt und besser macht als alle!

Dabei werden wir zweimal von gelangweilten slowakischen Kiberern kontrolliert, die unsere Pässe interessiert durchblättern wie ein Micky- Maus- Heft, um uns nach kurzen Fragen weitergehen zu lassen. Mitten im Nirgendwo treffen wir das einzige Mal auf der Reise auf einen anderen Autostopper, er spricht Englisch, trägt eine Nerdbrille und ein Vintage-T-Shirt mit der Aufschrift „Slowakisch-österreichisches Grenzkickerl“. Seltsamerweise ist die Atmosphäre unserer Begegnung gar nicht offen, solidarisch, sondern es herrscht so ein gegenseitiges leicht feindliches Desinteresse, vielleicht weil wir uns unsere Identität als Individualtouristen abspenstig machen, vielleicht ist es aber einfach nur ein Wappler. Jedenfalls ziehen wir nach einem distanzierten Eine-Minute-Gespräch weiter.

A. erzählt mir auf dem Weg von einem Mädchen, dem einzigen Mädchen, das er kennt, welches alleine autostoppt. Sie gerät zwar immer wieder an zudringliche LKW-Fahrer, das wäre aber noch nie so schlimm gewesen, dass es sie davon abhalten würde, weiterzumachen. Urcool, finde ich, selbstzerstörerischen Leichtsinn empfinde ich immer als vorbildhaft, auch wenn mir selbst bei so einer Aktion von einem Psycho mit einem vietnamesischen Küchenmesser in die Hand gehackt wurde. Ich frage ihn, was sie so für ein Typ sei, wie man sie kategorisieren könnte. Er meint, „links, ethnomäßig“, die Facebookevents, zu denen sie einlade, seien südamerikanische Filmabende oder „Hilf, dass die oder der nicht abgeschoben wird“. A. sagt: „Das heißt aber nicht, dass sie ein schlechter Mensch ist.“ Und nach einer kurzen Pause: „Möglicherweise sogar das Gegenteil.“ Über diese Erkenntnis schweigen wir beide erstmal eine Weile nachdenklich und verwirrt.

Anzeige

Irgendwann versuchen wir dann zu stoppen, eine gestylte Mittvierzigerin, Typ „Irgendwas mit Marketing“, nimmt uns bald mit, urselten werden wir von alleinstehenden Frauen mitgenommen. Wir führen die üblichen verspannt-interessierten Gespräche, sie spricht Englisch, wir erfahren, dass ihr Mann LKW-Fahrer ist. Eine Beziehung mit Bildungsgefälle also, eine Frau, die das wilde, animalische im Mann sucht, interessant. Die kurze Begegnung endet ein paar Kilometer vor der ukrainischen Grenze, es dämmert und wir beschließen, irgendwo an der wenig besiedelten Landstraße einen Zeltplatz zu finden, auf dem uns keine Hunde anbellen. Vorm Schlafengehen marschieren wir noch zu einer LKW-Fahrer-Kneipe namens ,NONSTOP‘ und trinken ein paar Bier, damit wir in der Nacht ganz oft brunzen müssen und dem anderen dabei auf den Bauch und den Kopf steigen. A. muss aber eigentlich eh nicht raus, das ist diese schöne Intimität, die man mit Reisepartnern bekommt. Dieses tiefe Vertrauen, das entsteht, wenn man weiß, wie es klingt, wenn der andere im Dunkeln in einem engen Zelt mit festem Strahl in eine Flasche brunzt, während draußen die Eulen heulen und die Grillen zirpen, unschuldig und ahnungslos über die abgründigen Traumata der menschlichen Existenz.

Am nächsten Morgen, nach einer überraschend erholsamen Nacht, gehen wir wieder ins ,NONSTOP‘, unsere Stammkneipe, essen ein fettiges Omelett und starten gestärkt zu Fuß die paar Kilometer zur Grenze, wo uns der Grenzpolizist mit ein paar Brocken Englisch klarmacht, dass wir 10 Kilometer weiter müssen, um sie als Fußgänger überqueren zu können. Scheiße. Ratlos bitten wir einen vollgestopften ukrainischen Lieferwagen mit sechs Typen in Jogginghose und Muskelshirt, Typ „Wir gangbangen dann die Steffi“, in Zeichensprache, uns über die Grenze mitzunehmen, was sie netterweise auch machen. Nach der Passkontrolle wird die Gruppe aber noch ewig aufgehalten, es folgen Streitgespräche auf Ukrainisch, hektische Handytelefonate und etwas, das wir als Schmiergeldsituation interpretieren, möglicherweise nur das Klischee in unserem Kopf. Bestechung hat in der Ukraine auf jeden Fall einen relativ selbstverständlichen Stellenwert. Die ganze Prozedur dauert ewig, deshalb checken uns die Grenzpolizisten unerwartet hilfsbereit eine Weiterfahrt mit einem schnauzbärtigen Slowaken, der uns ins Städtchen Uschhorod bringt.

Anzeige

So erreichen wir die herrliche Ukraine, alles ist plötzlich so ukrainisch. Wir besichtigen die Stadt, betrachten die Uschhoroder bei ihren alltäglichen Handlungen und entspannen am Fluss, genannt „Usch“, sagen immer wieder „der Usch is so leiwand“ und genießen einfach diesen Uschhoroder Way of Life für ein paar Stunden, dann wollen wir uns weiter durch die Westukraine in die nächste Stadt, Mukachevo, schlagen. Wir werden von einem Typen mitgenommen, der ukrainisch auf uns einschreit, die Verständigung übernimmt A. ab jetzt, da er ein paar Brocken Russisch kann, was den meisten Leuten genügt, um ihm stundenlang vergnügt Geschichten zu erzählen, von denen er kein Wort versteht.

Der Typ ist sehr hilfsbereit, da er checkt, dass wir zelten wollen, fährt er ein bisschen mit uns herum, bis wir im Vösendorf von Mukachevo landen. Da steht ein riesiger Supermarkt, Tankstellen und ein begrünter Hügel, den wir, während es anfängt, dunkel zu werden, besteigen, und kommen dabei an ein paar Roma auf Pferdekutschen vorbei. Auf dem Hügel befinden sich lauter heruntergekommene Holzhütten, und wir sind uns nicht sicher, ob wir uns gerade im SLUM von Mukachevo befinden oder in den Grinzinger Weinbergen von Mukachevo, ob es Wohnhütten für mittellose Roma sind oder Lauben einer ukrainischen Kleingartensiedlung. Wir gehen verunsichert immer weiter über den menschenleeren, von Gestrüppen abgedeckten Weg, dorthin, wo niemand unsere Schreie hören wird, bis wir ein Grundstück mit kaputtem Stacheldraht finden, das völlig unbelebt scheint. Dort schlagen wir unser Zelt auf dem ausgetrockneten Boden auf. Die Lage bleibt uns suspekt. Es ist mittlerweile stockdunkel, wir können uns nur noch mit Taschenlampe orientieren und steigen den Hügel hinunter. Da wir kein Beisl finden, hängen wir einfach am Parkplatz vorm Hypermarkt ab, decken uns mit Snacks ein und halten ein romantisches Vorstadtpicknick, bevor wir uns zurück zu unserer Behausung schleichen.

Anzeige

A. kündigt an, noch scheißen zu müssen, und schlägt sich irgendwo ins dunkle Gebüsch, um an der frischen Luft abzuwursten. Ich bewundere ihn für seinen unbefangenen Umgang mit seinen Fäkalien, er ist so völlig befreit, während ich auf Reisen die Fähigkeit entwickle, meinen Gack über Tage im Bauch zu speichern wie Kamele bei wochenlangen Wüstenwanderungen Wasser in ihrer Höckern. In den folgenden zwei Wochen werde ich nur fünfmal scheißen gewesen sein, und das ohne gröbere Beschwerden. (Respekt!) Als er fertig ist, machen wir es uns im Zelt gemütlich und warten schweigend auf den Schlaf. Plötzlich fängt irgendetwas an, sich an unseren Zeltwänden zu bewegen, als würden wir von einem größeren Tier oder Menschen abgetastet werden. Ich bin starr vor Schreck und mache die Taschenlampe an, aber das Geräusch hört nicht auf, vermutlich irgendein Tier oder einfach der Wind. Wir sind still, atmen kaum und warten ab. A. sagt: „Komisch, wenn sie schon bei Licht kommen.“ Ich schreie ihn hysterisch an: „WHAT THE FUCK! Was meinst du mit SIE? OH GOTT! Wovon redest du?? SIE kommen nur im Dunkeln?? SIE? Wer zur Hölle sind SIE???“ Nach einer Weile erkennen wir, dass es sich wohl einfach um die Äste des Apfelbaums, unter dem wir zelten, handelt und schlafen mit einem leichten Gefühl des Unbehagens irgendwann ein.

Am Morgen wachen wir auf, als wir die Gespräche der ersten Spaziergänger hören, ein nettes älteres Ehepaar mit Hund, die den Eindruck bestätigen, dass wir wohl doch in ganz normalen Weingärten gezeltet haben. Der Hund geht fröhlich auf die Stelle mit A.s Scheiße zu und taucht vermutlich seine Schnauze tief hinein, kostet ein bisschen, während wir das Zelt abbauen, um den nun doch weniger gespenstisch scheinenden Hügel zu verlassen. Unten angekommen, findet jetzt neben dem Hypermarkt ein Bauernmarkt statt. Ich liebe die ukrainischen Märkte, sie bedienen die moderne Sehnsucht nach Ursprünglichkeit auf wunderbare Art. Die alten Babuschkas, die Wurzelgemüse verkaufen, das sie mühevoll mit ihren hutzeligen Händen in ihren Gärtchen aus der Erde gezogen haben, weil Pensions- und Gesundheitssysteme sich kaum um sie scheren, sind für Touristen aus dem Schlaraffenland der Sozialleistungen Sinnbilder für die Romantik der Einfachheit, und jede von ihnen könnte als der Star einer österreichischen Werbekampagne für regionales Biogemüse durchstarten. Eine Hundertjährige umklammert mit beiden Händen einen Hühnerleib, den sie wohl am Morgen gerupft hat und nun stundenlang bei 27 Grad von sich gestreckt zum Kauf anbietet. Ich vermute, dass ein Handkuss ausreichen würde, um bei einer ganzen Großfamilie lebenslänglichen Durchfall zu verursachen. Das pure unverfälschte Leben. Wir kaufen ein bisschen Obst und stellen uns wieder wie Nutten auf die Straße.

Illustration von Sam Taylor.

Mehr von Sam Taylor im Web und auf Twitter.