Velve ist eine erwachsene Frau. Punkt.

In den vergangenen Monaten haben wir euch hier ein paar Künstler präsentiert, die uns aus welchem Grund auch immer, gerne im Dunkeln tappen lassen. Es gibt eben Musiker, die nicht viel von Namen, Alter und anderem Identitätsdingsbums halten. Ich weiß nicht warum, aber diese mysteriösen Künstler ziehen mich magisch an. So hatte ich bereits unter anderem das Vergnügen, das schwedische Musikprojekt iamamiwhoami und das New Yorker Experimental-Glitch-Pop Duo MS MR zu treffen, die ihre Fans und die Presse mit einer gewissen Diskretion lange auf die Folter gespannt haben. Und an dieser Stelle möchten wir euch die Berliner Sängerin Velve vorstellen, die uns auch nicht viel mehr verrät, als ihren Namen. Aber was kümmert uns das eigentlich? Sie macht hervorragende Musik und damit Punkt. Sie selbst beschreibt ihre Musik als Downtempo-Pop und Avantgarde-Pop und erzählte mir bei Tee und Lokum von ihren Liebeskurzgeschichten, von ihrer Zusammenarbeit mit Shawn Joseph (der bereits mit Portishead und Massive Attack zusammengearbeitet hat) und warum ihre Musik so undeutsch klingt.

Noisey: Ich habe natürlich ein wenig recherchiert und bin immer nur auf Velve gestoßen, auf deinen richtigen Namen allerdings nicht.
Velve: Es gibt nur den Namen, genau.

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Dazu möchtest du auch nicht mehr sagen?
Ne.

Und wieso Velve?
Den Namen habe ich ganz bewusst gewählt, weil auch ein bisschen Samt drin vorkommt. Velve heißt im holländischen wirklich Samt und im englischen, wenn man ein T dran hängt, bedeutet er auch Samt.

Hast du holländische Wurzeln?
Ja genau, habe ich. Ich glaube dieser Name beschreibt ganz gut meine Art von Musik. Die Sachen, die ich mache sind doch sehr samtig, sehr tief und das ist mir auch sehr wichtig. Ich bin jemand, der sehr gerne authentisch arbeitet und der sich wenig um typische Arrangement-Strategien schert—der aus dem Bauch heraus arbeitet. Mir ist es ganz wichtig, dass ich ganz direkt und echt an die Gefühle der Leute rankomme. Und dabei mache ich auch keinen Halt vor unangenehmen Gefühlen. Und das ist bei dem Album „Novelettes of Love“, also Kurzgeschichten, ganz bewusst so, dass ich eben nicht nur über die schönen, sonnigen Seiten Songs geschrieben habe, sondern auch über Liebeskummer und über das Verlassensein.

Erklär das mal genauer.
„Do Me Good“ ist zum Beispiel ein Song, bei dem ich schon durch den ungewöhnlichen Melodieverlauf bei der Komposition, dieses Gefühl einfließen lassen habe, wie man sich fühlt, wenn man noch nicht genau weiß, ob man sich trennen wird oder nicht, aber eigentlich weiß man es schon. Das meine ich mit Authentizität, dass eben viele daran teilhaben können. Vor allem Frauen, die das alles erlebt haben. Aber ich merke auch, dass es durchaus sensible Männer auf diese Welt gibt, die mit der Musik was anfangen können.

Jeder einzelne Song, erzählt eine eigene kleine Geschichte.
Genau.

Das Album ist also wie ein kleiner Erzählband …
Ganz genau. Es war schon so, dass die Songs aus mir herausgesprudelt sind. Aber natürlich kommt irgendwann, wenn du dann kurz vor der Produktionsphase stehst, die Frage, welche nehme ich jetzt und in welcher Reihenfolge. Und das ist tatsächlich ein Konzept zu sagen, ich möchte die und die Reihenfolge nehmen. Es ist als Gesamtes durchhörbar—es macht etwas mir dir. Mir war es immer wichtig, ein ganz persönliches Statement reinzulassen, weil ich ja vorher eher als Gastsängerin gearbeitet habe … und das ist auch gleichzeitig das Album, das erste, das ich selbst komponiert und selbst produziert habe. Und jetzt gerade produziere ich auch schon mein zweites Album. Da geht’s dann gar nicht mehr um Beziehungen, aber das ist auch egal. (Lacht)

Ich habe neulich eine Band interviewt, die auch ein sehr persönliches Album veröffentlicht hat. Ich habe mir die Frage gestellt, ob es nicht auch gefährlich sein kann, mit dem ersten Album so einen persönlichen Einblick zu geben.
Aber was sollte daran gefährlich sein?

Naja, für das erste Album ist das ziemlich mutig.
Ich habe mir diese Frage ehrlich gesagt gar nicht gestellt. Es ist für mich klar gewesen, dass ich das machen will. Und soll das Publikum mich ruhig kennenlernen. Natürlich habe ich Geschichten zu erzählen, natürlich bin ich auch verletzt worden, so wie jeder andere auch. Natürlich hatte ich auch heiße Zeiten und tolle Phasen, aber genau mit allem was dazu gehört, stehe ich dort. Es war mal so, mal so und mal so.

Wie ist dein Anspruch an dich selbst, was das zweite Album betrifft? Wird es dann ganz anders werden?
Das dauert natürlich noch viele Monate, bis das raus kommt. Das Interessante daran ist, dass es eben nicht mehr um Beziehungen geht. Ich habe vorher ja auch wirklich mit Electro-Leuten zusammengearbeitet. Und ich bin auch eine alte Raverin. Mich faszinieren elektronische Beats und Synthies sehr. Und die mache ich auch alle selbst.

Du hattest eben schon erwähnt, dass du als Sängerin und Songwriterin bei verschiedenen Labels tätig warst.
Das bin ich auch immer noch.

In ganz verschiedene Musikrichtungen, oder ein spezifisches Genre?
Es war auch deswegen so viel Verschiedenes, weil mich so viel Verschiedenes interessiert. Ich bin einfach ein extrem neugieriger Mensch und das bin ich immer schon gewesen. Und was Musikrichtungen angeht—ich habe eine Jazzgesangsausbildung, aber mein Vater ist zum Beispiel Beatmusiker gewesen und mein Stiefvater Jazzschlagzeuger—das war schon mal eine Prägung. Und ich kenne einige Leute, die ganz straighten Pop machen, das finde ich toll.

Mich persönlich hat es immer schon gereizt, wenn es so in Fusionbereiche geht, wenn es Crossover ist und wenn es nicht so klar zu definieren ist. Und das ist vielleicht auch der Grund, warum ich dann z.B. auch so was wie House und Technosachen gemacht habe. Ich würde aber sagen, dass der Style jetzt Downtempo-Pop oder eher noch Avantgarde-Pop ist. Und es wird auch noch mehr Avantgarde-Pop werden.

Wieso hast du eigentlich so lange gewartet, ein eigenes Album zu machen?
Das liegt daran, dass ich ein sehr vielseitiger Mensch bin, der erst ganz viel anderes ausprobieren muss, der sich nicht entscheiden kann, weil es so viele Möglichkeiten gibt. Es war wirklich so, dass ich schon länger vorhatte das zu machen, aber nicht wusste, was mein eigener Style ist. Ich kann mich in unglaublich viele Genres einfühlen. Ich habe lange nicht gewusst, was ist denn eigentlich meins. Und das passt vielleicht zu der Entwicklung, die man generell macht. Ich bin halt auch als Mensch jetzt in einem Alter, wo ich viel besser weiß, wer ich bin—was meins ist. Das weiß ich jetzt ganz klar. Ich denke, daran liegt es auch noch.

Vielleicht auch nicht so verkehrt, schon vorher einen Einblick in die Musikindustrie bekommen zu haben.
Auch diese Frage stelle ich mir eigentlich gar nicht. Es ist so, wie es ist. (Lacht) Es gibt viele Künstler die vielleicht auch erst kurz vor ihrem Tod, wenn sie Glück hatten, etwas erreicht haben—manche auch erst nach ihrem Tod. Der Vorteil ist einfach, dass ich weiß was ich will. Ich meine, die Texte sind ja auch schon sehr erwachsen. Ich bin eben eine erwachsene Frau—Punkt.

Für dein Album Novelettes of Love hast du mit Shawn Joseph zusammengearbeitet. Und an dieser Stelle sind natürlich Portishead und Massive Attack zu nennen, die ebenfalls mit ihm zusammengearbeitet haben. Wie bist du auf ihn gekommen?
Nachdem ich alles komponiert hatte, gesungen hatte, Instrumente aufgenommen hatte und diese Instrumente auch gemischt hatte, kam als nächster Schritt das Mastering. Und das gibt nochmal so Finessen beim Hören. Mir ist irgendwie aufgefallen, dass mir alle Masterungen, die ich mir aus Deutschland angehört habe, die ich kannte oder die mir empfohlen wurden, zu plump oder irgendwie zu deutsch klingen. Wenn man das so sagen kann … Mir fehlte so eine gewisse Finesse und Subtilität. Die habe ich bei ihm aber immer gehört. Und deswegen habe ich ihn einfach angeschrieben, per E-Mail. Und er ist voll auf das Album abgefahren und hat das gemacht. Dann bin ich auch dorthin geflogen und habe dabeigesessen. Ich habe also schon genau gesagt, was ich gerne hätte. Ich habe bei dem Album sowieso nichts dem Zufall überlassen. Und er mag es sehr gerne. Ich habe in England viel positives Feedback bekommen.

Hast du eine besondere Beziehung zu England?
Ja, das habe ich.

Und die wäre?
Mich zieht England magnetisch an. Ich will auch nicht ausschließen, dass ich da irgendwann hinziehe. Ich war schon in ganz vielen verschiedenen Kontexten in England. Als Journalistin, ich habe als Sängerin Gesangsaufnahmen gemacht, ich war privat da …. alles mögliche. Ich habe Freunde dort, ich habe Kollegen dort. Und jedes Mal wenn ich da bin, egal aus welchen Gründen, fühle ich mich zu Hause. Und man hört ja auch an Hand der Musik, dass ich doch sehr undeutsche Musik mache. (Lacht)

Du arbeitest ja schon an deinem zweiten Album. Also jetzt erst einmal Ruhe…
Genau. Also, erst einmal ein bisschen Ruhe. Es geht jetzt ganz viel ums Sortieren, was man jetzt mit dem neuen Album macht. Da bin ich gerade viel in Gesprächen. Außerdem habe ich noch andere Songwriteraufträge. Ich freue mich einfach auf den Winter, um das Wetter zu nutzen. Das mache ich nämlich gerne bei dem schlechten Wetter. Ich schreibe meine Songs doch am liebsten im Winter, weil ich mich da besser konzentrieren kann und es nicht so verführerisch ist, nach draußen zu gehen.

Berlin ist ziemlich hart im Winter. Einige bekommen ja regelrecht eine Berlin-Winter-Depression…
Das mit dem depressiv weiß ich ehrlich gesagt nicht … das habe ich schon oft gehört. Ich kann da jetzt keinen großen Unterschied zu anderen Orten was das angeht ausmachen. Ich glaube, das hat vielmehr mit einem selbst zu tun und gar nicht so sehr mit dem Ort. Was ich schon finde ist, dass Berlin besonders dunkel ist und das Wetter ganz schön hart ist. Da verkriecht man sich eher zu Hause. Das ist ganz förderlich, wenn man Songs schreiben will.

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