Tätowierungen erfreuen sich nach wie vor immer größerer Beliebtheit und haben mittlerweile ihren Platz in allen Schichten der Gesellschaft gefunden. Das kratzt am Image des Tattoos als Symbol für harte Kerle und Rebellion. Was mühsam hinter Gittern und auf den sieben Weltmeeren, irgendwo zwischen ekligen Infektionskrankheiten und Skorbut emotional aufgeladen wurde, gibt es heute zwischen Drogeriemärkten und Apple-Retailern. Das Einzige, was man für ein Tattoo noch absitzen muss, ist die Wartezeit, bis der Tätowierer Zeit für dich hat.
Wir sind für euch an einen Ort gegangen, an dem sich niemand für euer Wikipedia-Wissen zu Tattoopflege interessiert und Tattoos noch in roher Umgebung gestochen werden—Backstagebereiche.
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Poli Correia ist Sänger der Hardcoreband Devil In Me und tourt als Sam Alone mit den Gravediggers durch Europa, um den Leuten zu zeigen, wo der Rock´n´Roll geblieben ist. Zu Hause an der portugiesischen Atlantikküste tätowiert Poli in seinem eigenen Shop Kunden, auf Tour tätowiert er jeden, der Bock drauf hat. Wir haben beschissene Tattoos-machen-süchtig-Floskeln hinter uns gelassen und ihn gefragt, warum er es so geil findet, wenn es hinter der Bühne Tinte regnet.
Noisey: Poli, erzähl mal, wie du zur Kunst des Tätowierens gekommen bist.
Poli Correia: Angefangen habe ich damit als ich 17 war, also mache ich das jetzt 15 Jahre. Mein erstes Tattoo habe ich mit 16 bekommen und was mich zum Tätowieren gebracht hat, waren die Maschinen. Als ich das erste Mal in ein Studio kam und der Typ das Equipment vorbereitet hat, sind mir die Maschinen sofort ins Auge gefallen. So: Was zum Teufel ist das? Ich wollte dann einfach alles darüber wissen und fing an mehr und mehr Tattoomagazine zu kaufen. Ein Jahr später eröffnete dann ein Tattoostudio in meiner Heimat, ein kleines Fischerdorf in Portugal namens Quarteira, wo es sonst nicht viel gab. Ich bin dann da hin und hab dem Typen meine ganzen Zeichnungen gezeigt. Der meinte dann ich soll weiter üben und immer mal wieder vorbei kommen, damit wir schauen können, was los ist. Sechs Monate später habe ich dann angefangen zu tätowieren. Oder eher angefangen zu lernen wie man tätowiert. Da habe ich dann fünf Jahre gearbeitet und danach dann meinen ersten eigenen Shop eröffnet. So war das.
Ich habe mal irgendwo gesehen, dass du viele Arbeiten frei Hand machst, ist das richtig?
Vieles von meinem Zeug ist Freihand. Bei Portraits arbeite ich auch mit Stencil. Damit übertrage ich aber nur die Outlines und alle Linien von der Abbildung, die ich nachziehen möchte und dann fange ich an es zu schattieren wie bei einem Ölgemälde oder wie mit Wasserfarben. So habe ich das gelernt. Dazu kommt noch, dass ich Portraits nur in Black & Grey mache. Ich mache das auf die alte Weise. Ich bin ein großer Fan von Mark Mahoney, Jack Rudy und den ganzen Typen aus den Siebzigern, die die Black & Grey-Technik in eine realistischere Richtung entwickelt haben. Das sind meine Tattoohelden. Typen wie ich. Black und Tap-Water, das ist mein Ding und nichts anderes.
Du hast zu Hause in Portugal einen eigenen Tattooshop. Wie ist da so der Alltag?
Es ist sehr entspannt. Wir arbeiten nur mit Terminen. Es ist, wie gesagt, ein kleiner Ort. Also gibt es nicht wirklich so etwas wie eine Walk-In-Kultur. Du kommst nicht einfach rein und lässt dir stechen, worauf du Bock hast. Also arbeiten wir eben mit Terminen und das ist bei uns schon so seitdem ich angefangen habe zu tätowieren. Ist einfach super entspannt. Mittlerweile sind wir zu dritt. Ich, André und Ivo, mein Auszubildender. Der tätowiert jetzt seit zwei Jahren und mag lieber so traditionelles Zeug, auch wenn er das Tätowieren von mir gelernt hat. Ich bin aber ganz offen, was das angeht und verschließe mich nicht gegenüber bestimmten Tätowierstilen. Alles hilft dir, dich weiterzuentwickeln. Im Prinzip stehe ich jeden morgen auf, um das zu tun, was ich liebe und dann kann ich auch noch meine Rechnungen damit bezahlen. Ich kann mich nicht beschweren.
Dann muss der Shop gar nicht schließen wenn du auf Tour gehst?
Genau, das ist das Ding. Mein erster Shop hieß Downtown und in dem habe ich alleine gearbeitet. Jedes Mal, wenn ich also mit Devil In Me auf Tour gegangen bin, war der Laden zu. Das war nicht ganz so optimal und damit verliert man auch Kunden. Die gehen dann einfach in einen anderen Shop. Aber jetzt ist es cool. Heute muss ich mir darum keine Sorgen mehr machen.
Wo liegt der Unterschied zwischen Tätowieren im Studio und auf Tour?
Alter, es ist einfach wild. Du musst mit dem arbeiten, was du Backstage hast und normalerweise sind die Bänke viel zu klein und die Stühle sind beschissen. Gerade für die Person, die tätowiert wird, kann das eine harte Zeit sein, aber es macht auch total Bock. Am Ende macht es immer Spaß. Es braucht halt etwas mehr, weil die Gegebenheiten nicht die besten sind. Aber ich glaube, das ist gerade das Schöne daran sich on the road ein Tattoo machen zu lassen.
Wie bist du darauf gekommen deinen Kram mit auf Tour zu nehmen?
Die ersten paar Tourneen mit Devil In Me, so um 2006, habe ich Typen aus anderen Bands kennen gelernt und dann kam einfach eins zum anderen. Ich habe mich als Tätowierer vorgestellt und die sagten dann immer so was wie: „Geil! Dann musst du mich das nächste Mal unbedingt tätowieren.” Das ging dann so bis es ernst wurde und ich mal wirklich mein Zeug mit auf Tour nahm. So habe ich angefangen Typen in Bands zu tätowieren und Leute auf Shows zu treffen, die dann bei der nächsten Tour angefragt haben, ob sie auch ein Tattoo bekommen können. Je nachdem, ob ich mein Equipment mitbringe, tätowiere ich dann Leute Backstage oder im Wohnzimmer von irgendjemandem.
Was nimmst du an Equipment mit um auf Tour tätowieren zu können?
Ich nehme mein Netzteil mit, normalerweise nur eine Maschine, mehr nicht. So für vier Jahre lang hatte ich eh nur die Hornet von Micky Sharpz und habe in der Zeit gelernt die Maschine an Outlines anzupassen oder ans Schattieren. Ich bin das also gewohnt. Von Micky Sharpz bin ich ein großer Fan und nehme heute meistens die Telephone Dial mit auf Tour. Das ist mein Ding. Die benutze ich dann auch für die Outlines und für die Schattierungen. Das ist alles. Und dann halt noch die sterilen Nadeln, Grips und sowas. Sobald ich irgendwo ankomme, gehe ich in eine Apotheke und hole Vaseline, Folie und den ganzen Kram … es ist ziemlich simpel.
Gerade auf kleineren Shows sind die Backstagebereiche doch total schäbig. Ist es nicht super unhygienisch da ein Tattoo zu stechen?
Ach, weißt du was? Lass mich die richtigen Worte finden, um dir das zu erklären … Alter, klar hat man immer etwas Sorgen, was die Hygiene angeht wenn es ums eigene Tattoo geht, aber solange das ganze Equipment steril ist und du einen sauberen Tisch zum Tätowieren hast, ist alles cool. Ich mache den Tisch oder die Unterlage im Backstage dann immer noch sauber bevor es losgeht. Da muss man sich gar nicht so große Sorgen machen. Wenn man im Kopf klar ist und darauf achtet, dass der ganze Kram steril und sauber ist, dann ist das keine große Sache. Es macht einfach Spaß der ganzen Tattoolandschaft hin und wieder mit etwas Risiko zu begegnen. Aber um ehrlich zu sein, habe ich mir da nie groß Sorgen gemacht… Ich bin da sehr relaxed.
Kannst du dich an eine besonders eklige Location erinnern, in der du jemandem ein Tattoo verpasst hast?
Der beschissenste Backstagebereich, in dem ich tätowiert habe, war irgendwo in Tschechien, auf der Rebellion Tour. Real Bad von den Deez Nuts wollte das Yankees Logo und das Wu-Tang Logo auf seine Daumen haben. Da war es -ackstage echt eklig und er wollte es unbedingt machen. Ich meinte dann nur, dass es echt nicht der beste Ort ist, um sich ein Tattoo machen zu lassen, aber ihm war das scheißegal und er hat darauf bestanden. Dann hab ich schnell alles vorbereitet und wir haben es gemacht.
Was sind das sonst so für Motive, die du den Jungs aus den anderen Bands stichst?
Typen in Bands denken da nicht so sehr drüber nach wie andere, glaube ich. Wir wollen eher so eine Art Souvenir oder Erinnerung von dem Tag oder der Tour. Aber auf so einer Tour können die schrägsten Dinge passieren, zum Beispiel wie mit JJ Peters von den Deez Nuts. Das war unsere erste gemeinsame Tour und vom ersten Tag an hat JJ immer gesagt, dass ich genauso aussehe wie sein Homie aus der Heimat. Ich war nur so – ach hau ab alter- mäßig drauf. Dann hab ich ein Foto gesehen und der sieht echt genau so aus wie ich. JJ hat dann gesagt, ich soll mein eigenes Gesicht auf sein Bein tätowieren. Das würde ihn dann an seinen Homie erinnern und an mich. Alter, wir haben uns gerade erst kennengelernt auf einer zweiwöchigen Tour und wer weiß ob wir Freunde werden. Weißt du, was ich meine? Damals sind wir dann halt in Paris gelandet und haben das durchgezogen. Am letzten Tag von derselben Rebellion Tour habe ich mein eigenes Portrait auf JJ´s Bein gestochen. Sowas kommt da eben bei rum. Nach den ganzen Jahren sind wir jetzt echt dicke.
Wer hat sonst noch so ein Backstage-Ink von dir?
Toby Morse von H2O hat zwei Tattoos von mir bekommen, beides Portraits. Ich habe ihm seinen Hund und seine Frau tätowiert. Das bedeutet mir sehr viel, er ist eine Legende für mich und ich habe seine Frau auf sein Bein tätowiert. Wir sind auch gut befreundet, der Typ ist super. Andrew, der Drummer von The Ghost Inside, hat von mir Jason aus den Freitag, der 13.-Filmen auf den Unterarm bekommen. Hoya Roc von Madball hat sich seinen jüngeren Sohn von mir stechen lassen und wartet jetzt noch darauf, den älteren Sohn von mir tätowiert zu bekommen.
Ich stelle mir die ganzen Tattoos jetzt irgendwie so in typischer Walk-In-Größe vor. Was ist dein bisher größtes Projekt auf Tour gewesen?
Jason auf Andrews Unterarm war schon echt groß. Der Typ hat so meine Statur und dementsprechend passt da einiges auf den Unterarm. Ich weiß nicht mehr, in welcher Stadt das war, aber da war so ein Typ, dem ich eine japanische Hannya-Maske mit einigen Blumen gestochen habe. Das hat vier Stunden gedauert und ist wahrscheinlich das größte Motiv, was ich auf Tour gestochen habe. Viel mehr geht auch gar nicht, da wir auf Tour nicht unbegrenzt Zeit haben. Man muss das dann immer irgendwie zwischen Soundcheck und Stagetime machen.
Und dann geht’s mit frischem Tattoo direkt auf die Bühne?
Nach dem vier Stunden Hannya-Tattoo bin ich direkt auf die Bühne gegangen und der Typ, dem ich gerade das Tattoo verpasst habe, war dann frisch gestochen und eingewickelt in der Crowd und hat um sein Leben gemosht. Das war geil! Viel mehr Hardcore geht gar nicht.
Ist das nicht voll scheiße? Man bekommt doch immer gesagt, dass man auf keinen Fall Sport machen darf und ja nicht Schwimmen gehen soll und sowas.
Also du solltest nicht in einen Pool springen oder im Meer schwimmen gehen wenn du frisch tätowiert bist. Sport kannst du schon machen, solange du die Stelle dann mit Wasser und einer pH-neutralen Seife wäscht. Da, wo ich herkomme, surfen wir viel und das geht auch irgendwie. Das hängt sicherlich alles von der Haut und der Person ab und wie das Tattoo gestochen wurde, aber ein professionell gemachtes Tattoo sollte nach zwei Wochen verheilt sein. Nach fünf Tagen fängt der Schorf an sich zu lösen und nach zwei Wochen sollte es bei guter Pflege durch sein. Diese aufstrebenden Tattooartists, mit den neuen Maschinen und dem ganzen Haufen an Farben und so, machen sich da glaube ich einfach mehr Sorgen. Die machen es halt auf eine andere Art und es ist ein anderes Level. Ich habe es auf die alte Art und Weise gelernt und ich mache es auch immer noch auf die alte Art und Weise – der Scheiß steckt für immer in dir! Ist doch egal, ob jemand seine Tätowierung pflegt oder nicht. Früher wurden Tattoos auch nur mit Vaseline versorgt und du kannst immer noch Arbeiten von guten Künstlern aus den Siebzigern und Achtzigern sehen, die nach wie vor sauber und plakativ zu erkennen sind.
Gibt es irgendwas, worauf man besonders achten sollte, wenn man sich auf einem Konzert tätowieren lassen will?
Du solltest dir sicher sein, dass der Typ, von dem du dich stechen lassen willst, das auch wirklich kann. Manche Künstler fühlen sich einfach nicht wohl außerhalb ihres Studios zu tätowieren und das ist okay. Das kann ich nachvollziehen. Mir selber ist das egal. Ich habe mich immer dazu gepusht, an den seltsamsten Orten zu arbeiten. Einfach um zu sehen, wie weit ich gehen kann und immer noch gute Arbeiten abliefern kann. In einem schäbigen Raum oder bei schlechten Lichtverhältnissen. Du musst also checken, ob der Künstler gut genug ist, dass er dir auch bei suboptimalen Verhältnissen Backstage dein Tattoo sticht. Der Raum hier würde Bock machen! Das Licht ist zwar schlecht, aber hier ist genug Platz.
Wie viele von deinen Arbeiten sind insgesamt auf Tour entstanden?
Keine Ahnung, ich habe das nie richtig gezählt. Wenn ich auf Tour gehe, tätowiere ich alle möglichen Leute. Typen, die unsere Freunde sind, aber auch Typen, die ich gar nicht richtig kenne, die gerne unsere Musik hören und einfach gefragt haben. Egal ob von Bands oder aus der Crowd. Ist mir ganz egal. Jeder ist was besonderes für mich. So viel wird es aber gar nicht gewesen sein. Irgendwas mit 20 Tattoos auf Tour denke ich. Ist ein bisschen was.
Letzte Worte?
Es ist zwar einfach nur Eisen, Spule und das elektronische Zeug, für mich ist es aber nach wie vor magisch! Es fasziniert mich immer noch auf die gleiche Weise wie damals, als ich das erste Mal den Tattooshop betreten habe.
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