Trotz der weitreichenden Transparenz von Bitcoin, der Open-Source-Entwicklung, der öffentlichen Block-Chain und der Tatsache, dass wir genau wissen, wie viele virtuelle Münzen jemals geprägt wurden, glauben alle Bitcoin-Fans, dass ein Geheimnis wohl niemals gelüftet werden wird [Update: Sie lagen wohl falsch]: Wer ist Satoshi Nakamoto?
Inzwischen dürfte wohl jeder mal eine Version der nebulösen Theorien zur Identität des Bitcoin-Schöpfers gehört haben: Ob er Mann oder Frau ist, britisch oder amerikanisch, eine einzelne Person oder eine Gruppe; ob sich hinter Satoshi eigentlich ein privates Unternehmen versteckt oder gleich eine ganze Regierungsverschwörung. Darüber zu fantasieren, macht Spaß, weil es schräger als Fiktion werden kann, aber es wird uns der Wahrheit, wer er ist oder was die Vision hinter der Kreation der Kryptowährung ist, kein Stück näher bringen.
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Immerhin können wir aber untersuchen, was Satoshi so gesagt hat, und das war ganz schön viel. Zugegebenermaßen können wir auch hier nicht konkret beweisen, dass diese Zitate tatsächlich von ihm selbst stammen. Denn selbst wenn die Aussagen alle vom gleichen Benutzernamen geschrieben wurden, gibt es ein paar Leute, die auch hier, zumindest für die frühen Tage der Kryptowährung, einen Betrüger am Werk vermuten.
1. November 2008 (The Cryptography Mailing List): „Ich arbeite an einem neuen elektronischen Geldsystem, das vollständig auf Peer-to-Peer basiert, ohne auf das Vertrauen eines involvierten Dritten angewiesen zu sein.”
So begann Satoshis mittlerweile berüchtigtes White Paper, in dem er der Welt sein Bitcoin-Konzept mitteilte. Wie immer zeigte er sich auch hier faktentreu und bescheiden und vermied jegliche Ausschmückung.
7. November 2008 (The Cryptography Mailing List): „Ja, [wir werden mit der Kryptographie keine Lösung für politische Probleme finden], aber wir können zumindest eine wichtige Schlacht im Rüstungswettlauf gewinnen und uns immerhin ein neues Gebiet der Freiheit für mehrere Jahre erobern. Die Regierungen sind gut darin, die Köpfe zentral gesteuerter Netzwerke wie Napster zu fassen, aber reine P2P-Netzwerke, wie Gnutella und Tor, scheinen sich gut selbst zu halten.”
Auch wenn Satoshi sein Bestes gab, eine unpolitische Haltung aufrecht zu erhalten, kann man in seinen Kommentaren zur Suche einer technischen Lösung für ein offensichtlich fehlerhaftes politisches System seine techno-libertären Affinität und seine Hacker-Mentalität erkennen. Auch der Bitcoin-Insider und Schöpfer der ersten speziellen Mining-Systeme, Yifo Guo, erzählte uns von dieser Grundstimmung, als er uns letztes Jahr im Interview von dem ursprünglichen Bitcoin-Motto „frag nach Vergebung, nicht nach Erlaubnis” berichtete. Die „early Adopter” von Bitcoin und die sozialutopischen Technozentristen lehnen die lästigen Regeln der Gesellschaft gleichermaßen ab.
„[Bitcoin ist] vom libertären Standpunkt aus sehr attraktiv, wenn wir es nur richtig erklären und vermitteln können”, gab Satoshi zu. „Ich kann aber besser mit Code als mit Worten umgehen.”
Satoshi setzt alles auf die Macht der P2P-Technologie und die Möglichkeiten ein Netzwerk außerhalb der Konstrukte der etablierten Systeme zu entwickeln. Die Geschichte der Musik-Piraterie demonstriert technologischen Darwinismus in Reinform. Technologische Fitness entwickelte sich mit jeder neuen Beseitigung von Freiheit durch die Regierung, doch gleichzeitig wird jede Mutation immer schwieriger zu beseitigen.
Die behördlichen Abonnements heutzutage sind völlig wirkungslos gegen den illegalen Austausch von urheberrechtlich geschützten Daten. Wenn die Behörden gezwungen sind, das Haus von Kim Dotcoms Mutter zu überfallen, weiß man einfach, dass all ihre anderen Möglichkeiten erschöpft sind. Im Sinne der digitalen Innovation leben wir in einer Ära der „Superbakterien”. Die Mächte werden niemals in der Lage sein, Torrents vollständig auszumerzen, genauso wie Kryptowährungen immer existieren werden.
Januar 3, 2009 (The Genesis Block): „The Times 03. Jan 2009: Der Kanzler steht kurz vor dem zweiten Rettungspaket für die Banken.”
Das war der berühmte Kommentar, der die erste Bitcoin-Transaktion begleitete, eine Schlagzeile von der Titelseite der New York Times, die Licht auf die Grundmotivation Satoshis wirft: Die Menschen fühlen sich von unserer globalen Finanzindustrie im Stich gelassen. Wenn die Kacke am Dampfen ist, rettet die Regierung auf Kosten aller anderer immer die Banken, die zu groß für den Untergang sind.
Diese echte Schlagzeile spiegelt ein tiefes Gefühl für die systematische Ungerechtigkeit wider. Das Schiff über Wasser zu halten ist eine bewundernswerte Aufgabe, aber wenn man dabei die Verursacher der größten wirtschaftlichen Katastrophe von finanziellen, rechtlichen oder strafrechtlichen Folgen befreit, fühlt sich das zutiefst unfair an. Satoshi nahm die Aufgabe an eine technische Lösung und Protestform zu entwickeln. Was für ein Cyberpunk.
Satoshi kommentiert seinen Denk später und bestätigt erneut seine berüchtigte Vorsicht und sein Wissen um die existierenden PR-Spielchen: „Ich wollte einen Weg finden, kurze Nachrichten [zu den Transaktionen] hinzuzufügen, aber das Problem ist, dass dann die ganze Welt in der Lage wäre, die Nachricht zu sehen”, schrieb er ein Jahr später. „So sehr man die Leute daran erinnert, dass die Nachricht nicht privat ist, wäre das Unglück vorprogrammiert.”
Sein Statement könnte auch darauf hindeuten, dass Satoshi britisch sein könnte. Von einem „Chancellor” (Kanzler) haben die Amerikaner nur aus Star Wars und vielleicht noch von einer World of Warcraft-Gilde gehört, aber in Großbritannien ist der „Chancellor of the Exchequer” das Äquivalent zum US-Finanzminister.
11. Februar 2009 (P2P Foundation): „Statt einem sich verändernden Angebot, welches den Wert stabil hält, ist das Angebot vorgegeben und der Wert ändert sich. Wenn die Anzahl der Nutzer wächst, steigt der Wert pro Münze an. Es hat das Potenzial für eine positive Rückkopplungsschleife. Wenn es mehr Nutzer gibt, erhöht sich der Wert.”
Bitcoin ist oft dadurch charakterisiert worden, dass es konjunkturdämpfend wirkt, aber das war beabsichtigt. Satoshi sah nämlich einen Nutzen im FOMO-Syndrom, der menschlichen Angst etwas zu verpassen (Fear of Missing Out).
Er sah ebenso kein großes Problem darin, Münzen zu verlieren. „Verlorene Münzen steigern nur den Wert der Münzen von allen anderen”, schrieb es später. „Betrachte es als Spende an alle anderen.”
14. Februar 2010 (BitcoinTalk Forum) „Ich bin mir sicher, dass es in 20 Jahren entweder ein sehr großes [Bitcoin-] Transaktionsvolumen geben wird oder gar keines.”
Satoshi hatte ein Händchen dafür, Sachen zu sagen, bei denen jeder vernünftige Menschen Probleme haben würde, zuzustimmen. So auch bei seiner Prognose des Erfolgs von Bitcoin. Tatsächlich hat Henry Blodget, einer der ersten scharfen Kritiker von Bitcoin, in seinem Abriss in Business Insider die Ideen von Satoshi für die angehende Kryptowährungen abqualifiziert, da sie „alles haben, was es braucht, um zu einer großen Spekulationsblase zu werden.”
„Aber der Unterschied zwischen Bitcoin und, sagen wir, der Internet-Investitionsblase der 90er Jahre, ist, dass es wirklich keine grundsätzliche Basis gibt für die Bewertung von Bitcoin”, argumentierte Blodget und prophezeite, dass Bitcoin einen Kurs von 5000 Euro erreichen oder auch wertlos sein könnte.
„Investiere nicht mehr in Bitcoins, als du auch bereit bist zu verlieren”, sagte Gavin Andresen, der in den frühen Tagen Bitcoins eng mit Satoshi zusammengearbeitet hat, als dieser sich in der virtuellen Öffentlichkeit noch präsenter zeigte. „Der Wert von Bitcoin kann genauso 10.000 Euro erreichen, wie er wieder zurück auf Null gehen kann.”
Ganz und gar nicht ambivalent gemeint, zeigt sich in Satoshis Aussage der tiefe Glaube an seine Schöpfung. Sollte Bitcoin jemals Anklang finden, wäre der Erfolg riesig; aber seine Art der Kommunikation wurde in zuversichtliche Demut getränkt, vor allem um von vornherein die unvermeidliche Kritik zu umgehen, die man als eine opportunistische Modeerscheinung abtun könnte. Niemand kann die Zukunft vorhersagen, aber durch das Übermitteln der Nachricht auf diese Art und Weise erfüllte Satoshi seinen Glauben in eine potenziell bahnbrechende Innovation, um im gleichen Atemzug die finanzielle Verantwortung an die Gläubiger abzugeben. Den „Early Adopters” ging es ja aber sowieso nie alleine um den Preis.
26. Februar 2010 (BitcoinTalk Forums): „Was haltet ihr von einem Symbol mit einem B mit zwei Linien an der Außenseite? Können wir das als unser Logo akzeptieren?”
Ein echter Mann der Renaissance, im wahrsten Sinne des Wortes. Satoshi kreierte sogar das weltweit anerkannte Logo, wahrscheinlich ohne jemals einen Fuß in die Parsons School of Design gesetzt zu haben oder eine Grafikdesignagentur von innen gesehen zu haben.
18. Juni 2010 (BitcoinTalk Forums): „Seit 2007 [arbeite ich an Bitcoin]. Irgendwann kam ich zu der Überzeugung, dass das ganze ohne Vertrauen möglich sein wird und konnte auch der Versuchung nicht widerstehen weiter darüber nachzudenken. Die Gestaltung war viel mehr Arbeit als die Codierung. Glücklicherweise waren alle bisher aufgeworfenen Fragen Dinge, die ich vorher bedacht und geplant habe.”
Die meisten großen Techniker in der Geschichte und vor allem in der jüngsten Zeit, all die Elan Musks und Steve Jobs, sind eher Produzenten als Ingenieure— Alleskönner mit einem Augen für „die Zukunft”—und mit dem nötigem Kleingeld, um die richtigen Teile für ein effektives Endprodukt zusammenzustecken. Technologischer Fortschritt geschieht schrittweise und es ist oft der Fall, dass wahre Innovation aus dem Zusammenstellen von Puzzleteilen besteht—aus wissenschaftlichem und kulturellen Kuratieren. Jeder bahnbrechende Erfinder steht sozusagen auf der Schulter eines Riesen.
Satoshi ist da nicht anders. Anstelle kleiner Durchbrüche in einem begrenzten Gebiet fand er sich an der Schnittstelle rasant reifender Technik, die ihm schließlich erlaubte, jahrzehntealte Probleme anzugehen. Im Fall von Bitcoin ließ Satoshi Kryptographie, dezentrale P2P-Technologie und finanzielles Social Networking zusammenkommen, und löste so das sogenannte Problem des Drei-Wege-Handschlags.
Ohne all zu sehr in die Details des Jahrzehnte alten Gedankenexperiment zu gehen, liegt die wahre Innovation von Bitcoin darin, endlich einen Konsens ohne eine zentrale Behörde zuzulassen. Bis Bitcoin musste jede Transaktion von einer vertrauenswürdigen Stelle bestätigt werden, in den meisten Fällen von einer Bank oder einem Service wie Western Union oder Paypal. Diese Institutionen bestätigen, dass jemand, der versucht Geld auszugeben, auch die notwendigen Mittel dazu hat. Durch das geschickte Beseitigen dieser Vorraussetzung, bei gleichzeitigem Erhalt der Vertrauenswürdigkeit, hat Satoshi eine Währung kreiert, die für lange Zeit in den schwer fassbaren Grauzonen, der Gesellschaft im Allgemeinen, und vor allem der digitalen Welt wird leben können. Dies ermöglicht Bitcoin im Internet wie Bargeld zu funktionieren, und bietet der Kryptowährungen gleichzeitig eine grundsätzliche Widerstandsfähigkeit gegen zentralisierende Mächte.
„Das Ergebnis ist ein distribuiertes System ohne einzelne Fehlerpunkte”, erklärte Satoshi. „Die Nutzer haben den Krypto-Schlüssel zu ihrem eigenen Geld und Transaktionen geschehen direkt zwischen zwei Personen, mit Hilfe des P2P-Netzwerks, welches auch alles auf Doppelausgaben überprüft.”
5. Juli 2010 (BitcoinTalk Forums): „Wir wollen nicht ‚Anonymous’ anführen. Ich habe definitiv nie einen Quatsch von mir gegeben wie die Behauptung, dass ‚die Entwickler erwarten am Ende eine stabilen Währung außerhalb der Reichweite jeder Regierungen zu haben.’”
Satoshi war kein solcher Punk oder Anti-Establishment-Typ wie die Leute vielleicht denken, wenn sie die ersten Erzählung von Bitcoin hören, in denen die Kryptowährung als Mittel für Geldwäsche, Drogenkauf oder im Fall der puristischen Libertären zum Beenden der Regierungsmacht erklärt wird. Dies war entweder nie sein Ziel, oder er war schlau genug zu erkennen, dass es kein intelligenter Ansatz gewesen wäre.
Die Entwicklung der Bewegung scheint dies zu bestätigen, da die Regierungen inzwischen beginnen, relevante Vorschriften zu entwickeln und Bitcoin in das System zu assimilieren. Anstatt das zu ersetzten, was wir kennen, ergänzen Kryptowährungen, was wir schon gebaut und verstanden haben.
5. Juli 2010 (BitcoinTalk Forums): „Tut mir leid, dass ich so lustlos bin. Eine [Bitcoin] Beschreibung für ein allgemeines Publikum zu schreiben ist verdammt hart. Man kann es mit nichts vergleichen.”
Bitcoin zu durchblicken kann sehr anstrengend sein. Das hat auch was damit zu tun, dass nichts ähnliches existiert—dessen war sich Satoshi sehr wohl bewusst.
29. Juli 2010 (BitcoinTalk Forums): „Wenn du mir nicht glaubst oder es nicht verstehst, dann habe ich leider keine Zeit dich zu überzeugen.”
Selbstzufriedener Sack.
7. August 2010 (BitcoinTalk Forums): „Das Dienstprogramm, was den Austausch über Bitcoin möglich gemacht hat, wird weit mehr abwerfen als die Kosten der notwendigen Stromerzeugung. Bitcoin nicht zu haben wird daher bald der Abfall des Internets sein.”
Das Bitcoin-Mining wurde schon zum Zielt kritischer Umweltaktivisten. Willkürliche Rechnungen zu lösen könnte als Energieverschwendung wahrgenommen werden, aber Satoshi versucht, dies durch die Betonung der potenziellen Vorteile der Technologie zu rationalisieren. Ohne das Energiefressende Mining wäre Bitcoins selbstregulierendes, dezentrales Modell nicht möglich. Wie sich Satoshi wahrscheinlich schon gedacht hat, ist bisher noch keiner auf eine bessere Idee gekommen. Noch nicht.
27. August 2010 (BitcoinTalk Forums) „Bitcoins haben keine Dividenden oder mögliche, zukünftige Dividenden. Daher sind sie nicht wie ein Aktie. Sie sind vielmehr Sammelstücke oder Waren.”
Wirtschaftsexperten weisen darauf hin, dass Bitcoin eigentlich keiner Währung ähnelt, sondern sich eher wie Gold verhält. Satoshi stimmte gerne zu, dass es eher die Eigenschaften einer Ware aufweist.
23. September 2010 (BitcoinTalk Forums): „Bitcoin wäre für Leute praktisch, die keine Kreditkarte haben oder ihre Kreditkarte nicht benutzen wollen, entweder damit ihre Partner die Rechnung nicht sehen kann, oder weil sie den ‚Porno-Jungs’ ihre Kredikartendaten nicht geben wollen.”
Für Satoshi ging es bei den subversiven Aspekten der Anonymität aber eigentlich eher um philosophische Fragen der Privatsphäre als um illegale Aktivitäten.
12. December 2010 (BitcoinTalk Forums): „Wir müssen noch weiter an der Problematik von DoS-Angriffen arbeiten, aber ich bin gerade schon dabei schnell etwas zu entwickeln, falls es benötigt wird—dann werde ich mich komplexeren Aufgaben widmen.”
Das war die letzte Nachricht von Satoshi. Er hatte zuvor eingeräumt, dass die „Software überhaupt nicht resistent gegen Denial-of-Service-Angriffe ist,” hatte aber versprochen, an dem Problem zu arbeiten. Es ist möglich, dass er nie herausgefunden hat, wie er das Problem konkret lösen kann und, nachdem er sich den Fortschritt seines Projekts angesehen hat, beschlossen hat, dass seine Arbeit eigentlich schon getan sei. Was Satoshi wohl mit komplexeren Aufgaben gemeint haben mag, können wir nun allerdings wirklich nur raten.
Bei Crypt.la hat Fred Marion eine Zusammenfassung weiterer wichtiger und lesenswerter Zitate zusammengestellt. Weitere Satoshi Beiträge gibt es auch in den BitcoinTalk Foren und bei der P2P Foundation.
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