Viele große Bands aus UK müssen weiterhin nebenbei arbeiten


Josh Redrup, Bassist der Hardcoreband Palm Reader

Vor ein paar Monaten rief ich den Sänger einer ziemlich erfolgreichen Band an, um ihm mitzuteilen, dass seine Gruppe für einen Award nominiert worden war. „Das ist großartig!“, lachte er. „Wir freuen uns riesig. Ich kann dir gar nicht sagen wie sehr.“ Dann gab es plötzlich eine Pause und ich hörte im Hintergrund gedämpftes Gemurmel. Er bat mich darum, einen Moment zu warten und schon hörte ich ihn losflitzen. Etwa fünf Minuten verstrichen, bis er wieder am Hörer war. Für mich war die Sache eindeutig: Die Aussicht auf einen Award war ihm so sehr zu Kopf gestiegen, dass er es für angemessen hielt, mich am Telefon warten zu lassen, während er in aller Ruhe kacken geht. Als er zurück kam, sagte er allerdings: „Sorry, ich musste gerade einen Kunden bedienen.“

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Ich brauchte einen Moment, um in meinen Schädel zu kriegen, dass er neben seiner Bandtätigkeit noch in einer Bar hinter dem Tresen steht. In meiner Naivität war ich davon ausgegangen, dass du, sobald du 3000 Menschen zu deinen Shows ziehst und die britischen Rockcharts umkrempelst, wahrscheinlich jeden Tag bis in die Puppen schläfst, dann ein paar Akkorde runterschrammelst und die Nächte damit verbringst, Koks von den Leibern von Stripperinnen zu ziehen und Premiumwhiskey auf Kosten deiner Plattenfirma zu saufen—ein typisches Rockstarleben eben.

Dieser Lifestyle ist allerdings ein Mythos. Er ist tot. Dieses Jahr kannst du wahrscheinlich die britischen Bands an ein oder zwei Händen abzählen, die es sich problemlos leisten können, sich nicht von ihrem Arbeitgeber den Tagesablauf bestimmen zu lassen. Natürlich weiß inzwischen jeder, dass man als Musiker kein Geld mehr verdient. Warum machen wir uns aber nie wirklich Gedanken darüber, wie diese talentierten Menschen ihren Grundbedarf an Nahrung decken und sich ein Dach über dem Kopf leisten können?

Lass dich nicht von Taylor Swifts blockbustermäßigen Verkaufszahlen täuschen, das war nicht mehr als eine Abnormalität am oberen Ende des Spektrums. Abseits der ganz großen Veröffentlichungen befinden sich die Verkaufszahlen für Musik weiterhin im freien Fall. Auch wenn die Auszeichnung mit dem Mercury Prize die Verkaufszahlen der Young Fathers um satte 4000% anhob und die Band in der breiten Öffentlichkeit explosionsartig an Bekanntheit gewann, reichte das gerade mal dazu, um das talentierte Trio aus Edinburgh auf Platz 35 der britischen Charts zu manövrieren.

Kurzum, um es 2014 mit deinen künstlerischen Ambitionen zu etwas zu bringen und diesen Status dann auch zu halten, schießt du besser sämtliche Vorstellungen vom „Rockstarleben“ in den Wind.

Einige Künstler versuchen sich inzwischen an Kickstarter-Kampagnen, um das Geld für ihre Projekte und Touren zusammenzubekommen, und auch weiterhin wird die etablierte und traditionsreiche Methode des Merch-Verscherbelns auf Shows praktiziert. Touren können zwar potenziell etwas Kohle abwerfen—wie dir aber jede tourende Band umgehend sagen wird, musst du schon pausenlos unterwegs sein, um etwas mehr als nur die laufenden Kosten zu decken.

Welche verlässliche Alternative gibt es denn sonst noch? Es scheint ganz so, als bliebe einem nur noch ein Dasein als normaler, langweiliger Mensch. Ganz genau, auch Rockstars gehen tagtäglich arbeiten—wie der Rest von uns.

Wenn die Jungs von den Gnarwolves nicht gerade auf der Mainstage des Reading und Leeds Festivals stehen, arbeiten sie alle in verschiedenen Pubs. Sam von den Bloody Knees hingegen schuftet in einem hippen Schuhlgeschäft, in dem er privilegierten weißen Jungs Schuhe mit Kreppsohle andreht (das arme Schwein—ich habe diese Tätigkeit schon hinter mir).

Matt Raynolds (unten abgebildet), der Sänger von Baby Godzilla (laut Kerrang eine der 20 angesagtesten Bands der Welt) erzählte mir, dass er in einer Tischtennishalle arbeitet. Der Rest der Band verdient sein Geld in einem Pub, in einer Kooperative und in einem McDonald’s. Warum muss man so etwas machen, wenn man doch in einer der aufregendsten Livebands Großbritanniens spielt?

„Aus den üblichen Gründen“, sagte Matt. „Damit wir genug zu essen und zu trinken haben, sowie ein Dach über dem Kopf. Momentan geht alles, was wir mit unserer Musik verdienen, wieder zurück in die Band.“ Ganz einfach ausgedrückt: Auch er braucht zwischendurch ein bisschen Nahrung. „Vom Rocken lässt sich die Miete nicht bezahlen!“ Schicht- oder Zeitarbeit, wie Matt sie macht, ist praktisch, wenn man in einer Band spielt. Die Arbeitgeber wissen in der Regel, dass sie deine zweite Wahl sind, und du weißt, dass sie dich mit dem nächstbesten bierzapfenden Äffchen ersetzen werden.

In den Augen ihrer Fans zerstören Baby Godzilla aber Amps und baumeln von Beleuchtungsgerüsten—das Füllen von Supermarktregalen gehört nicht unbedingt zum Bild von der Band. Für Musiker selbst gehört Lohnarbeit zu den vielleicht unausgesprochenen, aber ganz normalen Aspekten des Bandalltags. Josh Redrup, seines Zeichens Bassist der Hardcoreband Palm Reader, erzählte mir: „Jeder, der in einer mittelerfolgreichen (oder auch erfolgreichen) Band spielt, geht nebenher noch einer Vollzeitbeschäftigung nach. Unsere ganzen Freunde, die auch in Bands spielen—Dead Harts, Black Dogs—befinden sich im gleichen Boot wie wir. Du kannst eigentlich davon ausgehen, dass jede Band, die du kennenlernst, neben ihren Bandtätigkeiten noch einer normalen Arbeit nachgeht.“

Selbst diejenigen, die keinen normalen Job haben, haben zumindest etwas ähnliches, um sich ein geregeltes Einkommen zu sichern. Eva von Rolo Tomassi gehört ein Online-Shop, in dem sie handgemachte Dinge verkauft: Kissen, Accessoires und Merch. „Ich betreibe Night Of The Living Thread von meinem Zuhause aus“, erklärte sie. „Freunde und Familie helfen beim Versand der Bestellungen, wenn wir unterwegs sind. Außerdem kann ich selbst dann nähen, wenn die Band mal wieder in den Vordergrund rückt.“ Sie hat es geschafft, eine kreative Tätigkeit für sich zu finden; etwas, das sie liebt und das sie alleine neben ihrer Bandtätigkeit daheim erledigen kann—überaus geschickt.

Am meisten widerspricht der allgemeinen Vorstellung des faulen Draufgängers wohl die Tatsache, dass Rockstars ganz offensichtlich verdammt hart arbeiten. Ich fragte Matt von Baby Godzilla, ob es deprimierend sei, von der Tour nach Hause zu kommen und dann wieder in der Bar zu arbeiten. „Klar, manchmal kann das einen ganz schön runterziehen. Die eine Nacht wirst du noch auf der Bühne von lauter Menschen gefeiert und dann am nächsten Tag stehst du wieder hinterm Tresen. Es ist aber unglaublich wichtig, dass man seine Wurzeln nicht vergisst. Ohne unsere Jobs könnten wir das alles wahrscheinlich gar nicht erst machen.“

Unser generelles Verständnis davon, wie das Leben eines Rockstars aussieht, gehört also eher ins Reich der Fantasie. Das wäre an sich jetzt nicht besonders überraschend, wären es lediglich Bands mittleren Bekanntheitsgrades, die noch auf den großen Durchbruch warten. Das sind sie aber nicht. Wenn es letztes Jahr eine Erfolgsgeschichte gab, dann die von Deaf Havana. Ihr Album Old Souls schaffte es auf den ersten Platz der britischen Rockcharts und landete in den Top Ten der britischen Albumcharts. Die Band spielte außerdem als Support von Bruce Springsteen und eine Headliner Tour, die ihren Abschluss in Londons renommierten Roundhouse fand.

Chris Pennells (unten abgebildet), Deaf Havanas Gitarrist, arbeitet als Haustechniker für die Barfly, einen Spielort in Camden, London. Auch wenn er das tut, weil er den Job liebt und überhaupt gerne einer Beschäftigung nachgeht, sagte er mir: „Der Punkt, an dem wir jetzt sind—ich könnte es mir noch nicht leisten, von dem zu leben, was ich in der Band verdiene.“ Und daran wird sich sobald nichts ändern. „Je nachdem, wie sich die Dinge mit dem nächsten Album entwickeln, wird das auch erst mal so bleiben.“ Egal, welchen Maßstab man auch anlegt, Deaf Havana sind eine erfolgreiche britische Rockband. Wie verdammt riesig muss man denn bitte sein, um seinen normalen Job an den Nagel hängen zu können?

Chris will sich gar nicht beschweren. Tatsächlich läuft für ihn alles ganz gut. „Es ist schon etwas komisch, weil die Leute mich hier bei der Arbeit erkennen“, erzählte er. „Die kommen dann zu mir an und sagen, ‚Was machst du hier? Verdienst du mit deiner Band nicht schon genug?’ Und ich sage dann a) nein und b) warum sollte ich hier nicht mehr arbeiten, auch wenn das stimmen sollte?“

Er gehört eindeutig zu denen, die Glück gehabt haben. Sein Job macht ihm Spaß und er hat es geschafft, aus seiner Musik ein bisschen Geld zu schlagen. Es gibt noch ein paar andere Kandidaten wie ihn: Jordan von The Xcerts zum Beispiel ist Soundtechniker und Teamleiter, der momentan mit den Wytches unterwegs ist; Jamie von Heart Of A Coward wiederum leitet eine Plattenfirma und managed eine weitere Band.

Natürlich besteht ein himmelweiter Unterschied darin, in einem Bereich zu arbeiten, in dem auch dein Herzblut steckt, oder einfach besoffene Mütter mit Gin Tonics ruhigzustellen. „Wenn ich ehrlich bin, wäre ich wohl ziemlich am Ende, hätte ich das hier nicht und die Band würde sich auflösen“, gab Chris zu. „Es ist eine gute Absicherung. In einer Band steckt einfach so viel von einem.“

Er hat schon Recht. In jeder neuen Band bist du immer nur ein paar Schritte vom Abgrund entfernt. Musiker, egal ob einem das gefällt oder nicht, müssen die Finanzen im Auge behalten. Sie brauchen Nebenbeschäftigungen und einen vorzeigbaren Lebenslauf. Sie müssen der Inbegriff dieses Rockstargeschäftsmannes werden—wie Oli Sykes, der es mit dem Start seines Modelabels Drop Dead im MySpace-Zeitalter zum Teenagermillionär brachte.

Die Wahrheit lautet, dass fast alle unsere Lieblingsbands ihre Mühe haben, sich über Wasser zu halten—selbst auf der Spitze ihres Erfolgs. Sie schuften hart und leben bescheiden—wie wir anderen auch. Aus diesem Grund sollten wir so viel Geld in unsere geliebten Bands stecken, wie wir nur können. Wir sollten nicht reflexartig die Nase rümpfen, wenn wir mal wieder einen Kickstarter für eine Tour sehen. Stattdessen sollten wir das Projekt unterstützen, wenn es etwas ist, das wir gerne umgesetzt sehen wollen. Wir sollten Merch und physische Tonträger kaufen. Oh, und am besten sind wir in Zukunft extrafreundlich an der Supermarktkasse, denn, wer weiß, vielleicht steht der Kassierer nächstes Wochenende vor dir auf einer Konzertbühne?

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