Ich sitze am Frühstückstisch, unter mir hockt meine Frau. Langsam zieht sie sich vor mir aus, will mich küssen, ihre Lippen kommen mir immer näher. Schließlich zerrt sie an meiner Hose. “Did you miss that warm, wet mouth wrapped around your cock?”, haucht sie. Da ziehe ich mir die Brille vom Kopf. Das war zu viel.
Ich bin schwul und war trotzdem lange Zeit der Meinung, Sex sei nur zwischen einem Mann und einer Frau normal. Deshalb habe ich früher nur Pornos mit heterosexuellen Paaren geguckt und erfolglos versucht, die Performances mit meinen damaligen Freundinnen zu imitieren. Das Kondom muss daran schuld sein, dass es nicht klappt, redete ich mir ein. Heute weiß ich, dass ich einfach auf Männer stehe. Das, was ich jahrelang für normalen Sex hielt, hatte ich nie. Wieso also nicht die heutige Technik nutzen, um genau das nachzuholen?
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Die Pornobranche hat große Hoffnungen, in Zukunft das große Geld mit VR-Filmen zu machen, also mit Virtual-Reality-Pornos. Die Filme, die speziell für die Brillen in einem 180- oder 360-Grad-Winkel gedreht werden, geben den Zuschauerinnen und Zuschauern die Möglichkeit, alles ganz genau zu betrachten, nach rechts und nach links zu schauen und die Sexfilme aus der eigenen Perspektive zu erleben. Es geht darum, Pornos so realistisch wie möglich zu machen.
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Ich miete mir also online eine VR-Brille, die schon wenige Tage später bei mir zu Hause landet. Ich packe sie aus, richte sie ein und verbinde sie mit dem Internet. Jetzt fehlt also nur noch ein Film. Das ist gar nicht so leicht, denn unzählige Plattformen bieten VR-Pornos an. Ich suche mir eine aus, die laut eigener Aussage die Nummer Eins in Sachen VR-Pornos sein soll, VRPorn.com, und lege mir direkt einen Premium-Account zu. 19 Euro monatlich und ich bin dabei. Jetzt brauche ich nur noch einen Film.
Ich wähle einfach den ersten Film, Fucking Breakfast Service, aus, klicke auf Start und bekomme genau das Gegenteil von dem, was ich wollte
Was sofort auffällt: Es werden fast ausschließlich Pornos aus der männlichen Perspektive angeboten. In der Kategorie “Gay” gibt es 114 Filme. Ich finde nur 32 Filme aus einem “female point of view” und 105 in der Kategorie “For Woman”, denen mehrere tausend Pornos aus männlicher Sicht gegenüberstehen. Das macht schon deutlich, für wen Pornos produziert sind: heterosexuelle Männer. Ausnahmsweise gut für mich, denn dieses Mal tue ich ja so, als sei ich einer.
Eigentlich habe ich hohe Ansprüche, es ist schließlich mein erstes Mal. Ich würde gerne einen Porno sehen, in dem Frauen nicht einfach nur für Männerfantasien herhalten müssen und bei dem ich merke, dass Darstellerin und Darsteller gleichermaßen Spaß bei der Sache haben. Ich möchte also einen Film sehen, in dem realistischer Sex dargestellt wird. Aber was weiß ich schon davon? Also gut, ich wähle einfach den ersten Film, Fucking Breakfast Service, aus, klicke auf Start und bekomme genau das Gegenteil von dem, was ich wollte.
Schon bin ich in einem anderen, viel helleren Wohnzimmer, sitze an einem Tisch und schaue auf meine Uhr – also der Darsteller, aber der bin ja ich –, während eine brünette Frau in enger Sportkleidung ins Bild tritt. Es ist gruselig, wie echt alles wirkt.
“Good morning, darling”, sagt die Frau. Ich scheine genervt zu sein und tippe hektisch auf meine Uhr. “Right, right, oh my god, I am so silly – breakfast!”, schreit sie und rennt davon. In den nächsten Minuten serviert sie mir Frühstück, mit dem ich nicht zufrieden bin. “Ham, ham, you like ham for breakfast, I am so stupid”, hechelt sie, läuft davon und versucht, mich mit Schinken zu beglücken.
Ich kann es nicht fassen, wie nah sie mir ist, und versichere mich mit einer Handbewegung, dass ich noch immer alleine bin.
Ich belege mein Brot damit, scheine aber noch immer unzufrieden. “I know you work hard for both of us, to provide for our household. I am trying my best to give you back in return”, entschuldigt sie sich. Ich tippe mit den Fingerspitzen genervt auf den Tisch. “Vegetables!”, ruft sie, rennt davon und kommt mit einem Teller voller Gemüse zurück. Es folgen Früchte und Kaffee. Ich frühstücke alleine. Sie putzt währenddessen den Boden. Ich habe erstaunlicherweise noch keinen hochgekriegt. Ich hoffe, ein gewöhnlicher Morgen in einer gesunden heterosexuellen Beziehung sieht anders aus.
Nach dem Frühstück verschwindet sie kurz über die Treppen nach oben, kommt in Strapse wieder und beginnt, mich zu verführen. Aha, there we go.
“Your breakfast view just got suddenly a lot better, hasn’t it?”, fragt sie und lacht. “I try to be the best wifey as possible.” Sie stützt sich an meinen Beinen ab und schaut mir tief in die Augen. Ich kann es nicht fassen, wie nah sie mir ist und versichere mich mit einer Handbewegung, dass ich noch immer alleine bin. Ich greife ins Leere. Immer wieder schaue ich zur Seite, nach unten, nach oben. Dann verschwindet ihr Mund in meinem Schoß.
Das wäre der Moment, in dem ich anfangen sollte, selbst Hand anzulegen, aber ich bekomme schon wieder keinen hoch. Wie damals mit 15. Ich stoppe den Film und ziehe die Brille aus. Als ich aufstehe, bin ich etwas wackelig auf den Beinen. Der Film enthielt all das, was ich eigentlich vermeiden wollte. Die Frau war mein Objekt, ich Subjekt und alles drehte sich darum, den Mann, also mich, zufrieden zu stellen.
Die Sexualtherapeutin Ann-Marlene Henning sagte bei einer Pressekonferenz der Branche mal, dass VR-Pornos Jugendlichen die Angst vorm ersten Mal nehmen könnten. Hätte ich mir als Jugendlicher also vieles erspart, wenn es diese Technik schon damals gegeben hätte? Henning ist der Meinung, die Filme würden im Gegensatz zu herkömmlichen Pornos ein realistischeres Bild von Sex zeigen. Das kann ich bisher nicht bestätigen. Gut – dass der Darsteller möglichst wenig spricht und handelt, mag helfen, sich leichter in ihn hineinzuversetzen. Aber ich wurde bedient, als steckte ich in einer Männerfantasie von 1951. Sind VR-Pornos vielleicht noch frauen-unfreundlicher als herkömmliche Pornos?
Zweiter Versuch. Ich ziehe mir die Brille wieder auf, tauche in die VR-Pornowelt und klicke auf einen der beliebtesten Filme der Seite: Horny Awakening.
Vor mir liegt eine schlafende Frau. Ich ziehe ihr die Bettdecke weg, betastet sie und fange an, sie zu fingern. Sekunde, ist das nicht total übergriffig? Sie wacht auf und ist – im Gegensatz zu mir – weder überrascht noch sauer. “Good morning”, sagt sie stattdessen und freut sich, mich zu sehen. Obwohl sie gerade noch geschlafen hat, sieht sie nicht müde aus, ist perfekt geschminkt und küsst mich.
Wenn ich mir Schwulenpornos anschaue, habe ich selten das Gefühl, dass sich alles nur um eine Person dreht. Vielleicht liegt das daran, dass Schwulenpornos oft von den Menschen produziert werden, die gleichzeitig zur Zielgruppe gehören. Hetero-Pornos aber werden hauptsächlich von Heteromännern produziert und die scheinen vor allem eines im Kopf zu haben: sich selbst. Zwar gibt es mittlerweile auch viele Studios, die feministische und queere Pornos abseits aller Geschlechtsklischees produzieren, den Mainstream dominieren aber noch immer männliche Vorstellungen über Frauen. Und das ist auch zielgruppengerecht, denn Dreiviertel aller Pornos in Deutschland, zumindest die auf der Seite PornHub, werden von Männern angeschaut. Bei Frauen ist die beliebteste Kategorie “Lesbian”. Auch “Pussy Licking” wird um 260 Prozent häufiger von Frauen angeschaut als von Männern. Männer sehen in Pornos wohl lieber, wie sie einen geblasen bekommen, statt dabei zuzuschauen, wie eine Frau befriedigt wird.
Im meinem Film geht die Darstellerin nun erst pinkeln und dann duschen, während ich ihr dabei zuschaue, und fängt anschließend – natürlich – an, mir einen zu blasen. Dabei schaut sie ständig zu mir hoch und stöhnt viel zu laut.
Ich nehme die Brille ab. Noch ein Film, noch ein Versuch? Wirklich Lust habe ich nicht. Und feministische VR-Pornos finde ich auch nicht. Liegt es daran, dass die Produktion der VR-Filme aufwendiger ist? Oder daran, dass die Technik noch relativ neu und der Markt einfach noch nicht so groß ist? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, ist, dass ich nunmal schwul bin, und dass diese Filme rein gar nichts mit mir machen.
Ich lege die Brille weg. Sollte ich bei keinem einzigen Film zum Höhepunkt kommen, wäre meine VR-Porno-Erfahrung in etwa so befriedigend für mich wie meine realen heterosexuellen Erfahrungen für meine damaligen Freundinnen. Ich verzichte lieber. Ich weiß jetzt: Ich habe in meinem Leben nichts verpasst.
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