“Männer müssen aus ihrer Komfortzone raus” – Am Virus Bounce Cypher 2019 waren so viele Frauen wie nie

KimBo Virus Bounce Cypher 2019

Am 31. Januar ging’s in die siebte Runde des SRF Virus Bounce Cypher, des grössten HipHop-Events des Landes. Unter den 83 angekündigten Acts waren acht Frauen, die in den Booth-Ring treten durften: KimBo, La Nefera, Salomé, Steff La Cheffe, 11Ä, Naomi Lareine, Miss C-Line, Soukey. Das ist schon ein verdammter Aufschwung gegenüber dem Bounce Cypher 2017, als Lift Up Artist La Nefera die einzige Rapperin des Events war. Doch da geht noch mehr. Wir sprechen mit fünf der Rapperinnen darüber, wie sie sich in der männerdominierten Schweizer Rapszene durchboxen.

KimBo

https://www.youtube.com/watch?v=KZw0_P8OGlY

Noisey: Hattest du das Gefühl, dass du dich als Frau am Cypher rechtfertigen musstest, KimBo?
KimBo: Nein, Rap ist für mich immer defensiv, egal welchen sozialen Hintergrund du hast, welcher Kultur zu angehörst, wo du wohnst. Vor allem am Cypher geht’s ja ums Dissen und Boasten. Da hängt man einfach die klassische Macho-Frau raus.

Videos by VICE

Inwiefern defensiv?
Popsongs, zum Beispiel, gehen oft um Liebe und Party. Alles selbstbewusste Themen, die Menschen verbinden. Dissen hingegen hängt oft mit Minderwertigkeitskomplexen zusammen. Sonst hätte man das ja nicht nötig.

Wie hast du dich am Cypher gefühlt?
Als Frau an den Cypher zu gehen, kostet Überwindung. Es gibt im Cypher-Kontext klare Kategorien und Verhaltensweisen. Es stehen überall Männer-Crews. Entweder du bist als Frau die Ehrendame, oder du wirst angemacht. Ich fühle mich diesbezüglich diskriminiert und wie ein Fremdkörper. Als erwachsene Frau hast du einfach keinen Bock mehr, Ehrendame zu sein. Natürlich gibt es Ausnahmen. Man kriegt von vereinzelten Männern auch Support und wird gepusht, ich will nicht verallgemeinern.

Was kann die Rapszene dagegen machen?
Ich würde mich wohler fühlen, wenn mehr Frauen da wären. Und die Szene Solidarität zeigen würde. Vor allem aber müssen Männer endlich aus ihrer Komfortzone raus. Wenn sie in ihren Crews rumstehen, habe ich auch keine Lust, mich da reinzuquetschen. Es müssen einfach mehr Leute Mut und Offenheit zeigen, damit wir die Hierarchien brechen können, die am Cypher herrschen. In den letzten Jahren haben wir Musikerinnen gecheckt, dass wir einander unterstützen müssen, um erfolgreich zu sein. Statt Bruderschaften soll es jetzt auch Schwesternschaften geben!

La Nefera & Salomé

Noisey: Über was hast du am Cypher gerappt?
La Nefera: Der Text wurde um die fiktive Situation eines Lohngesprächs gebaut. Wie ich mit meinem Chef am Tisch sitze und ihm klarmache, dass sich die Zeiten geändert haben und wir als Frauen denselben Lohn verdienen. Ich habe auch auch über Schutz gegen sexuelle Gewalt gerappt. Den Song wollte ich aber tanzbar machen. Man muss diese ernsten Themen nicht immer in so düstere Beats packen, sondern sollte die grosse Meute dazu bringen, zu wichtigem Inhalt zu tanzen.

Wie hast du den Cypher wahrgenommen?
Es wäre schön gewesen, wenn die Jungs für unsere Parts geblieben wären. Aber jeder war mit seiner Crew da und schlussendlich ist man selbst dafür verantwortlich, dass man seinen Support mitbringt. Das sollte künftig besser funktionieren, dass man sich auch gegenseitig pusht und unterstützt. Es wäre auch schön, wenn mehr Frauen kommen würden.


Noisey-Video – LCone und die heisseste Hose des Cyphers


Sollten Frauen weiterhin dafür kämpfen, in der Szene wahrgenommen zu werden?
Ja, unbedingt. Es ist schon geil, neben den ganzen Battles und Schwanzvergleich-Geschichten einen Text einzubauen, der mir viel bedeutet. So als Gegenpol. Man hört ja fast alle zwei Sekunden “Pussy, Arschloch, Nuttensohn”. Das mache ich einfach nicht.

Sprichst du dadurch weniger Leute an?
Viele nutzen diese Ausdrücke, um etwas hervorzuheben, damit es die Meute versteht. Ich finde, wir sind an einem Punkt, wo wir die Sprache weiterentwickeln können. Obwohl man meine spanischen Texte teilweise nicht versteht, habe ich eine starke Message, die man fühlen kann.

Salomé, hast du auch das Gefühl, dass du dich als Frau am Cypher noch stärker beweisen musst?
Salomé: Wir müssen uns hier nicht als Frau definieren, sondern als Musiker. Wir wollen gut sein, weil wir hier sind, nicht weil wir Frauen sind. Diese Frage sollte eigentlich gar nicht mehr gestellt werden müssen.

Es ist aber trotzdem noch ein Thema.
Das ist so. Es ist heute aber besser als jemals zuvor. Ich rede nicht unbedingt von der Schweizer Rapszene, aber allgemein. Seit etwa drei Jahren mache ich ein Frauenprojekt, den Lunar Cypher. Da machen Frauen aus 20 verschiedenen Ländern mit. Wir haben ein Album zusammengestellt und gehen jetzt in die zweite Runde. Vor drei Jahren war es viel schwieriger, Frauen zu finden. Heute findet man viel mehr und auch richtig gute. Da nimmt man nicht mehr einfach eine Frau, nur weil sie eine Frau ist.

“Ganz gut – für eine Frau.” Was entgegnest du auf die Aussage?
Das war der Auslöser für mein Projekt Lunar Cypher. Der Satz fasst eigentlich alles zusammen, was in der Musikszene passiert.

Hast du das am Cypher gespürt?
Es sind halt einfach viel mehr Männer hier. Und das reflektiert die ganze Gesellschaft. Man hat während des Events die Kommentare zum Live-Stream gesehen: Der Sexismus kommt leider auch von Rapfans. Während Männer negative Kritik über ihre Rapskills erhalten, werden die Frauen eher über ihr Geschlecht und Aussehen definiert.

Steff La Cheffe & 11Ä

Noisey: Um was ging’s in deinem Text, Steff La Cheffe?
Steff La Cheffe: Es war klassischer Battle- und Representer-Rap. Ich wollte unterstreichen, wie cool ich bin und gegen andere schiessen. Natürlich nicht mit Namen. Einfach im Sinne von “ich und die anderen”.

Viele Frauen haben ein bisschen zurückhaltender gerappt.
Ich war fast männerfeindlich, würde ich sagen. Es war nicht böse gemeint, aber wenn Männer immer über Fotzen rappen dürfen, darf ich auch über Schwänze rappen.

Hast du das Gefühl, dass du das extra hervorheben musstest, um ernstgenommen zu werden?
Gar nicht. Man ist ja froh um jede Frau, die hierherkommt. Das macht das Ganze ja auch spannend. Ich muss mich vor niemandem beweisen, ausser vor mir selbst. Aber mein innerer Teenager musste jetzt einfach raus. Der ist nämlich noch immer wütend und will wie ein Maschinengewehr rumschiessen. Ich habe diesen Teenager fünf Jahre lang in seinem Zimmer eingesperrt und ihm gesagt, er soll sich beruhigen. Jetzt kam er aber wieder raus und fragte mich, ob wir an den Cypher können.

Und wie fühlst du dich, jetzt wo du es hinter dir hast?
Ich habe mich richtig gefreut. Es ist aber auch entscheidend, mit welcher Absicht man in den Ring steigt. Und mit welcher Emotion. Bei mir war die Emotion definitiv Sportlichkeit und Humor.

Was war deine Message?
Dass ich einfach verdammt gut bin, dass ich richtig gut rappen kann.

Geil. Aber es scheint mir manchmal, als müsse man als Frau die alleinige Queen sein. Als könnte es nur eine erfolgreiche Frau geben statt viele.
Das ist schon ein Phänomen: Männer sind immer in Gruppen. Aber wenn man eine Frau pushen will, sucht man sich genau eine aus und hetzt alle anderen Frauen gegen sie auf. Seit Jahrhunderten lassen wir uns unterdrücken. Bruderschaften gibt’s, aber such mal nach Schwesternschaften. Zum Glück kommen die langsam wieder auf. Das ist superschön.

11Ä: Da muss man auch sagen, dass Steff definitiv einen Samen gesetzt hat. Sie hat alle mitgezogen, die selber rappten, und hat auch mich auf die Stage geholt. Das hat sie vorgelebt. Ich hätte meine Rap-Karriere eigentlich schon beenden können, als ein Typ aus dem Bandraum mit mir schlafen wollte. Als nichts daraus wurde, löschte er mein ganzes Album. Man sollte sich einfach auf sich und seine Musik konzentrieren und auf solche Dinge nicht eingehen.

Denkt ihr, Frauen haben’s Frauen wirklich härter?
Steff La Cheffe: Ich glaube, es kommt darauf an, ob du von innen oder von aussen schaust. HipHop-intern ist es schwieriger, von der Szene ernst genommen zu werden. Aber gegen aussen kriegst du viel Unterstützung. Von den Medien, zum Beispiel. Und das gibt einen richtig weirden Widerspruch. Von aussen kriegst du richtig viele Props und szeneintern passiert einfach nichts.

11Ä: Voll, aber man muss da drüberstehen. Für was gibt’s denn High Heels?

Um was ging’s denn bei dir, 11Ä?
11Ä: Ich habe mich auch ziemlich stark presented. Wenn du als Frau starken Rap lieferst, bist du dabei. Bei den Jungs ist das ja nicht anders. Als Typ musst du noch viel besser sein, damit du rausstichst. Darum verstehe ich diese ganze Diskussion nicht ganz.

Steff La Cheffe: Es gibt schon einen Grund, warum diese Frage immer wieder auftaucht. Das Thema ist noch immer nicht abgeschlossen.

Vor zwei Jahren war La Nefera noch die einzige Frau am Cypher.
11Ä: Wir wurden halt einfach nicht eingeladen. Also ich zumindest. Jetzt sind wir aber deutlich mehr und das ist richtig geil zu sehen. Wir müssen einfach weitermachen und dranbleiben. Die Frauen, die da mitziehen wollen, sollen sich bei uns melden. Steff und ich sind da. Das ist ein Versprechen.

**

Mehr zum Thema:

Folgt Noisey Schweiz auf Facebook, Instagram und Spotify.

Folgt Noisey Austria auf Facebook, Instagram und Twitter.

Folgt Noisey Deutschland auf Facebook, Instagram und Snapchat.