Von Kapellen, Kartellen und Drogenalmosen: Die schwierige Situation der katholischen Kirche in Mexiko

Foto: Marko Vombergar/ALETIA | Flickr | CC BY 2.0

Im Mai 1993 saß Juan Jesús Kardinal Posadas Ocampo in seinem geparktem weißen Mercury Grand Marquis vor dem Flughafen der westmexikanischen Stadt Guadalajara, als drei Autos mit bewaffneten Männern neben ihm anhielten und das Feuer eröffneten. Das Auto des Erzbischofs wurde von 26 Kugeln durchlöchert, ein daneben stehendes Gefährt bekam noch mal 20 ab.

Kardinal Posadas, sein Fahrer und fünf weitere Menschen starben im Kugelhagel.

Videos by VICE

Dieses aufsehenerregende Attentat auf einen der beiden Kardinäle Mexikos liefert uns einen kleinen Einblick in die komplexe Beziehung zwischen dem Vatikan und Mexikos Drogenkartellen. Kardinal Posadas war ein erklärter Kritiker der Verbrecherorganisationen und des brutalen Terrors, mit dem sie Mexikos illegale Drogenwirtschaft—damals und heute—kontrollieren. Auch wenn die Regierung zu dem Schluss kam, dass der Tod des geistigen Würdenträgers ein Verwechslungsfall gewesen sei, glauben viele weiterhin daran, dass die Ermordung mit voller Absicht geschah—der kardinal sollte zum Schweigen gebracht werden.

Immerhin war der Mann zum Zeitpunkt des Anschlags in seiner Robe gekleidet.

Seit Posadas Tod, und vor allem innerhalb der letzten zehn Jahren etwa, ist die Kirche mit den Kartellen zwielichtige Geschäfte eingegangen—in der Öffentlichkeit verteufeln sie die Drogenhändler, aber auf lokaler Ebene werden konspirative Deals mit Kriminellen abgeschlossen. So lautet jedenfalls die Anschuldigung der Kritiker. Papst Franziskus adressierte diese nicht ganz unproblematische Dynamik vor Kurzem während seiner Mexikoreise dann auch unumwunden. Während einer Predigt in Morelia—der Landeshauptstadt des Bundesstaates Michoacán, der besonders schwer von der Kartellgewalt betroffen ist—warnte er die Bischöfe, Priester, Nonnen und Priesteranwärter davor, sich vor der einzigartigen Herausforderung zu drücken, die von den Kartellen in dieser Gegend an sie gestellt werden würde.

„Welche ist die größte Versuchung, der wir uns in einer Umwelt ausgesetzt sehen, die von Gewalt, Korruption, Drogenhandel, keinem Respekt vor der persönlichen Würde und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer dominiert ist?”, fragte er, nur um selbst die Antwort zu liefern. „Resignation. Resignation versetzt uns in Angst und führt dazu, dass wir uns in unseren Gemeindesälen verbarrikadieren.”

Die Resignation, von der Papst Franziskus hier sprach, hat die katholische Kirche in Mexiko schon längst befallen und obwohl Franziskus den Begriff nicht direkt erwähnt hat, wäre wohl kein Bericht über die Kartell-Kirchen-Beziehung vollständig ohne die Erwähnung der sogenannten Drogenalmosen—Blutgeld, das von Kartellen für wohltätige Zwecke und andere kirchliche Aktivitäten angeboten wird. Jegliche Einflussnahme durch Kartelle wurde von Papst Benedikt 2005 kurz nach dem Beginn seines Pontifikats verurteilt, aber seitdem scheint die Dringlichkeit des Problems innerhalb des Vatikans stetig abgenommen zu haben. 2010 kam es zu einem mittelschweren Skandal, als herausgekommen war, dass eine Kirche mit einem beeindruckenden Metallkreuz von etwa 20 Metern Höhe im Arbeiterviertel der zentralmexikanischen Stad Pachuca eine Plakette hatte anbringen lassen, auf der man Heriberto Lazcano, einem mutmaßlichen Anführer des Kartells Los Zetas, für die Erbauung dankte.

Die Kirche begann daraufhin, sich etwas eingehender mit den sogenannten „Drogenalmosen” zu befassen, wie auch die New York Times 2011 berichtete.

Es kann durchaus schwierig sein, dem Geld und der Unterstützung durch die Kartelle zu widerstehen, vor allem wenn man es mit mordenden Kidnappern zu tun hat. Nehmen wir zum Beispiel die Geschichte, die der in Brooklyn geborene Priester Robert Coogan, der eine winzige Gefängniskapelle im Norden Mexikos betreibt, über die Los Zetas zu erzählen hat. Wie er 2012 dem Guardian berichtete, lehnte er das Angebot von Los-Zetas-Häftlingen, beim Streichen der bescheidenen Gefängniskapelle zu helfen, mit der Begründung ab, dass das leckende Dach ihre Mühen sowieso bald wieder zunichte machen würde. Die Häftlinge strichen daraufhin nicht nur die Kapelle, sondern machten das Gebäude gleich auch noch regenfest. „Wenn ich einen Aufstand gemacht hätte”, so sagte er, „dann hätte das Repressalien gegenüber anderen Gefangenen auslösen können.”

Auch heute ist es unglaublich schwer, Kirchenvertreter in einer Region zu sein, in der die Kartelle über so viel Macht und Einfluss verfügen. Laut des Catholic Media Centers hat Mexiko mittlerweile Kolumbien als gefährlichsten Ort für Priester abgelöst. Nachdem er sich öffentlich gegen die Kartelle positioniert hatte, erhielt ein Priester namens Gregorio Lopez so viele Todesdrohungen, dass er begann, die Messe in einer schusssicheren Weste abzuhalten. Der Fall sorgte im ganzen Land für Aufsehen.

Auf seiner Reise sprach Franziskus auch direkt zu den Bürgern von Mexiko. „Lasst euch nicht von dem trivialen Materialismus korrumpieren oder von der verlockenden Illusion von illegalen Geschäften”, warnte er. Er ermahnte die Menschen darüber hinaus, nicht dem Streben nach Geld, Ruhm und Macht zu erliegen. „Diese sind Versuchungen, die Menschen herabwürdigen und zerstören.”

Der Papst erkennt auch ganz klar, dass die Ärmsten der Armen besonders anfällig für die Versuchungen der Gewaltverbrechen sind—in der Hoffnung, ihr eigenes Leben dadurch zu bessern.

„In ganz Lateinamerika und der Karibik gibt es eine große Schere zwischen Arm und Reich”, erklärt Henry Louis Taylor Jr.—Leiter des Zentrums für urbane Studien an der University of Buffalo—gegenüber VICE. „In Mexiko und anderen Ländern schafft die Wirtschaft nicht ausreichend Jobs, damit die Menschen über die Runden kommen können. Die meisten von ihnen sind dazu gezwungen, in der informellen Wirtschaft zu arbeiten—also in der Schattenwirtschaft. In diesen Ländern sind Korruption und Bestechung eng mit dem Alltagsleben und der Kultur verknüpft.”

Taylor Jr. ist der Meinung, dass man der Gewalt an Orten wie Michoacán nicht Einhalt gebieten kann, ohne die Wirtschaft radikal zu ändern und echte Alternativen anzubieten. „In solchen Gegenden, in denen sich die Kartelle regelrecht verschanzt haben, glaube ich nicht, dass die Autoritäten gewillt sind, so etwas zu tun.”

Vor ein paar Jahren sind zunehmend bewaffnete Bürgerwehren auf den Plan getreten, die den Kampf gegen die Kartelle aufzunehmen schienen, bevor sie dann selbst teilweise von ihnen infiltriert wurden, wie auch in der für den Oscar nominierten Dokumentation Cartel Land zu sehen ist (VICE half beim Vertrieb).

„Der Papst hat der Meinung vieler Menschen in Mexiko Ausdruck verliehen”, sagt Cartel Land-Regisseur Matthew Heineman gegenüber VICE. „Das Tragische daran ist allerdings, dass ihre Meinungen und Hoffnungen auf Ordnung und Sicherheit lange Zeit von einer Regierung ignoriert wurde, die es den Kartellen erlaubte, quasi straffrei zu operieren, was für viele Menschen zu einem Teufelskreis der Gewalt führte.”

Einige sind der Meinung, dass die katholische Kirche noch mehr tun muss—dass sie vielleicht sogar diejenigen exkommunizieren sollte, die mit den Kartellen zusammenarbeiten. Immerhin ist Papst Franziskus 2014 auch nach Süditalien gereist, um dort Mitglieder der Mafia zu exkommunizieren. „Die Amtskirche Mexikos war bislang sehr zurückhaltend, was Drogenhändler angeht, aber das könnte sich bald ändern”, sagte Religionsexperte Elio Masferrer gegenüber TIME zu Beginn dieses Monats. „Maßnahmen wie Exkommunikationen könnten ernsthaft etwas bewegen.”

Man könnte vielleicht dagegen halten, dass die mexikanischen Kartelle im Jahr 2016 wesentlich mächtiger—oder zumindest dreister—als die italienische Mafia sind. Es ist aber tatsächlich nicht ganz unwichtig, dass sich das Oberhaupt der katholischen Kirche—ein Mann, der in den von Drogengewalt besonders heimgesuchten Städten Mexikos durchaus respektiert wird—mit Nachdruck gegen die Kartelle ausspricht. Papst Franziskus ging sogar so weit, sie an einem Punkt in seiner Predigt als „Händler des Todes” zu bezeichnen.

Ob es einem verhältnismäßig neuen Papst und einer Regierung, die es vor Kurzem immerhin geschafft hat, den flüchtigen Boss des Sinaloa-Kartells, El Chapo, wieder festzunehmen, jedoch gelingen wird, einen echten Keil zwischen Religionsangelegenheiten und das Drogengeld zu treiben, das in Latein- und Zentralamerika kursiert, bleibt abzuwarten.