Die meisten Menschen haben das Bedürfnis, über Dinge zu reden, die einem am Herzen liegen. Nur viel zu oft fehlt einem die Möglichkeit, das loszuwerden, was einen beschäftigt oder gar belastet. Sind das nun Liebesgeschichten, Probleme jeglicher Art, Erfolge oder die Beschissenheit seines Jobs. Natürlich könnte man all das seinen Freunden erzählen, seien dies nun Freuden oder Leiden. Hin und wieder fehlt dafür dann aber doch der passenden Moment, um es unterzubringen. Was würde also nun besser passen, als all diesen Menschen die Gelegenheit zu geben, loszuwerden, was in ihnen schlummert oder am Ausbrechen ist? Nichts.
Bewaffnet mit meinem Handy und einer Laune, die Thomas Brezina Konkurrenz gemacht hätte, hab ich mir bei einem Festival einen kleinen Stand aufgebaut und von Festivalbesuchern Geschichten erzählt bekommen.
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Von Rollenspielen ohne Verkleidung
“Ich hab einen Trip genommen und das war so ne alte Acid-Flasche, aus der man eigentlich keinen Tropfen mehr rausbekommen würde und in die hab ich so circa zwei Schluck Wasser gefüllt, was umgerechnet ungefähr 30 Tropfen wären. Genau von diesen 30 Tropfen hab ich im Endeffekt nur zwei Drops genommen, was nicht mehr als ein Achteltrip ist und ich war trotzdem so verdammt drauf, das hat mir so das Gehirn zerdeppert. Ich konnte nicht mehr sprechen, mich hat’s einfach völlig ausgehebelt. Meine Freundin ist vor mir gelegen und ich hab nur noch die wildesten Assoziationen gehabt, die hat sich die ganze Zeit verändert. Zuerst war sie ein Indianermädchen, aus der langsam eine Nymphe wurde und dann ist sie eine Nonne gewesen; das war das wildeste Assoziationsgemorphe. Bis zu einem gewissen Teil ziemlich geil, auf der anderen Seite aber auch unglaublich einschüchternd und beängstigend. Hätte ich so etwas davor noch nie in ähnlicher Form erlebt, dann hätte ich das glaube ich echt nicht gepackt.”
Von Zügellosigkeit, die Einhalt braucht
“Ich werd jetzt mal Pause machen nach dem Festival, sag ich dir. Wie lange ist dabei die Frage, denn ich hab Andeutungen von Freunden bekommen, dass ich es ein bisschen übertreibe. Die Frage ist, ob ich es richtig oder falsch interpretiere. Wenn ich mit einem bestimmten Freundeskreis unterwegs bin, dann kann ich einfach nicht nüchtern bleiben. Ich mein, es gibt schon auch Freunde, mit denen ich Zeit verbringe, die das nicht wissen. Vielleicht interpretiere ich das einfach auch alles nur falsch und es sind gar keinen versteckten Hinweise auf mein überzogenes Konsumverhalten, weißt du? Bist du denn der Meinung, dass ich’s übertreibe?”
Aus dem, was du mir jetzt erzählt hast, klingt es auf jeden Fall schon so, als könntest du mal einen gewissen Zeitraum ohne Drogen vertragen.
Ja, ich bin ja jetzt eh zwei Wochen im Familienurlaub. Ob das reicht, ist halt die Frage.
Von irren Träumen, die dein Hirn zerficken
“Ich hatte am Samstag eine irren Traum und kann seitdem nur noch an Spiralen denken, das beschäftigt mich seit Tagen. Ich bin durch München geradelt und war auch recht schnell unterwegs. Anscheinend war ich ein wenig im Stress und mir kam ein Mann entgegen, der auf meiner Fahrradspur war. Ich hab den auch prompt angeschnauzt, was er da auf meiner Fahrseite machen würde. Der hat auf das Ganze aber total lässig reagiert und sich entschuldigt und ich hab mich sofort geschämt dafür, den Typen so angemacht zu haben wegen so einer Nichtigkeit. Der war aber mega entspannt und ist einfach mit mir mitgeradelt, bis sich plötzlich der ganze Weg verändert hat und wir in Wien an der Donau waren. Aber nicht wie du das alles normal kennen würdest, sondern eine riesige Licht- und Fantasiewelt umgeben von Hügeln und Wäldern in den verschiedensten Grüntönen. Die Donau war in ein glitzerndes Türkis gehüllt, ich schaff es gar nicht mit Worten zu beschreiben, wie unfassbar schön das alles war.
Es sind immer mehr Menschen plötzlich dazugekommen, die alle nett und entspannt waren und man hat sich einfach nur wohl gefühlt, auf diesem Radelausflug oder was auch immer das dann geworden ist. Der Weg, der vor uns lag hat sich irgendwann in eine Kurve begeben, die einfach nicht mehr aufgehört hat, bis ich gecheckt habe, dass wir gerade in einer Spirale fahren. Da sind wir dann zu Fuß weitergegangen und es war wirklich irre, weil der Boden die unterschiedlichsten Mineralien eingefasst hat und das einfach so schön ausgesehen hat.
“Hey, gleich kommt ein Zimmer und du musst darin bis fünf zählen und dann wirst du die totale Macht verspüren.”
Unter diesem Mineralienweg ist immer mal wieder Wasser hervorgekommen und in dem Wasser haben so Elfenwesen gelebt, die sehr helle Körper hatten und richtig feine Glieder, dass man die Muskeln Strang für Strang hat sehen können. Jedes dieser Wesen hat getanzt und dabei haben alle die Arme in eine Richtung gestreckt und uns so quasi den Weg vorgetanzt, den wir gehen müssen. Wir sind dann bei einem Turm angelangt, in dem auch wieder eine Spiraltreppe war, die wir aufwärts gestiegen sind. Es war einfach immer alles spiralförmig.
Und dann kam wieder der Mann von ganz am Anfang aus meinem Traum, der auf einer Fahrradspurseite war und meinte zu mir und meiner Schwester, die auch plötzlich da war: “Hey, gleich kommt ein Zimmer und du musst darin bis fünf zählen und dann wirst du die totale Macht verspüren.” Und ich hab’s erst überhaupt nicht kapiert, bin dann mit meiner Schwester aber trotzdem in das Zimmer und hab bis fünf gezählt. Als ich fertig gezählt hab, hat mich im Traum ein unbeschreibliches, unfassbares Gefühl, so etwas wie die vollkommene Ekstase erfasst. So wie der ultimative Orgasmus, es hat gekribbelt, bis in den letzten Zeh und ich hab nach Luft geschnappt und dann war alles nur noch Licht. Ich war woanders, wo nur noch Licht war und genau davon bin ich wach geworden.”
Vom Zufall, der einen auf das Festival geführt hat
“Ich freu mich so wahnsinnig auf das Festival hier, weil es so random zustande gekommen ist, dass ich hier bin. Das ist so lustig, weil meine beste Freundin, mit der ich auch zusammen wohne, die hat irgendwie von dem Festival gewusst und als wir beide abends zuhause waren, haben wir eine recht beschwipste Nacht mit Tequila gehabt und haben in der Küche getanzt und waren nackt und es war richtig cool. Totale Eskalation und Frauenpower zu zweit, ja das war schön. Und um fünf Uhr in der Früh hat sie mir dann von dem Festival hier erzählt und gemeint, sie will unbedingt hinfahren. Also hat sie einfach für uns beide Tickets gebucht und ich find’s so megawitzig, dass das alles so geklappt hat und ich jetzt hier bin.”
Von der Liebe, die man viel zu selten gesteht
“Wir sind so ein richtiges Dreiergespann und untereinander kennen wir uns einfach zu gut und deswegen will da keiner nachgeben und jeder immer seinen eigenen Willen durchsetzen. Man muss die Konstellation auch kurz erklären, weil die beiden mit denen ich hier bin, meine beste Freundin und mein bester Freund sind, die beiden sind aber auch zusammen und deswegen haben wir da echt so eine sehr tief verwurzelte und vertraute Art, miteinander umzugehen. Wie eine Dreiecksbeziehung mit sehr symbiotischen Parallelen. Ich muss euch beiden jetzt auch einfach mal sagen, wie schön ich das finde und wie wahnsinnig dankbar ich euch bin, dass ihr Teil meines Lebens seid. Ich könnte es mir auch einfach nicht vorstellen ohne euch beide. Ich kann nicht ohne euch.”
Von utopischen Städten, die niemals erbaut werden
“Ich würde mir wünschen, eine Stadt zu erbauen, die dafür da ist den Menschen Mensch sein lassen zu können. Die in verschiedene Viertel aufgebaut ist, in denen Menschen leben und auch jeder willkommen ist, diese Viertel kennenzulernen. Eines dieser Viertel könnte ein durchgehendes Festivalviertel sein, bei dem man immer feiern kann. Und es gibt ein Therapieviertel, in dem man Yoga, Meditation und Massagen und all solche Sachen bekommen kann, die Körper und Geist wieder heilen. Es gibt ein Viertel über Nachhaltigkeit und Anbau und das Ganze funktioniert natürlich autark. Und ich hab extrem etwas dagegen, wenn Leute sagen, dass so etwas niemals passieren wird. An den Mauerfall hat auch keiner geglaubt und schau dir jetzt mal Berlin an.”
Von Baumhäusern, die groß sind wie eine Stadt
Typ 1: “Wir haben riesige Calvin Klein-Nasen gezogen, das war absurd. Wir waren hinten im Backstagebereich und das ist einfach nur ein verdammtes Baumhaus, das auf dem Boden steht im Prinzip. Als wir da drin waren, hat es sich aber angefühlt, wie eine riesige Stadt, das war übel. Ich war fest davon überzeugt, dass sich das Ding meilenweit in die Länge zieht, die Dimensionen waren irgendwas. Der Umstand, dass wir vier Stunden in diesem Raum verbracht haben und es keine einzige Sekunde Musik gespielt hat, macht die Geschichte dabei leider nicht besser. Wie kann man so lange ohne Musik auskommen? Es war einfach still und ein paar Leute haben da gechillt und wir haben uns währenddessen so unfassbar umgeschossen. Als ich unter diesem einen Balken durchgeklettert bin, hatte ich das Gefühl, die Länge meiner Beine kontrollieren zu können, wie als würde ich eine Dimension erschaffen, in denen meine Beine nur so 20 Zentimeter lang sind, aber ich glaub ich hab mich einfach nur geduckt.”
Typ 2*: “Ich kann mich dran erinnern, dass am Boden irgendetwas Blaues gelegen hat und ich dachte, es wäre ein Fluss unter dem Balken. Ich glaub es war nur eine Decke. Wir haben es dann irgendwann geschafft uns mal runter zur Musik zu bewegen. Ich hab das Konzept von Tanzen einfach nicht mehr verstanden, was ist Tanzen? Ich bin unten in der 12er-Disco gestanden und hab auf Downtempo im Halfbeat getanzt. Hätte ich mich noch langsamer bewegt, wäre das zeitumkehrend gewesen. Währenddessen habe ich sehr dumpfe Lichtfäden vor meinen Augen sortiert und zusammengeflochten, aber wirklich verstanden, was ich da mache, hab ich überhaupt nicht.”
Von G20 Krawallen und spontaner Verbundenheit
“Es war schon ziemlich arg, 30 Prozent der Hamburger waren einfach nicht mehr in der Stadt und alle Fensterläden waren verbarrikadiert. Da hat sich so eine komische Stimmung in der Stadt breit gemacht, echt gruselig. Und ich denk mir nur so, ja die übertreiben alle extrem, das wird schon klargehen alles, aber wollt mich in die ganzen Proteste schon auch einbringen, ich mein das hatte ja viel mit meinem Viertel zu tun und so ganz d’accord gegangen mit dem, was da passiert ist, bin ich ja auch nicht. Ich mein die Hamburger sprechen sich kollektiv gegen Olympia aus und dann wird der G20-Gipfel in ihre Stadt gebracht ohne, dass sie eine Stimmmöglichkeit haben. Ich hab dann eine Facebook-Gruppe gefunden, die mit der Planung der Schlafplätze zu tun hatte und hab denen dort angeboten, dass Leute, die von außerhalb kommen gerne bei mir hinter’m Haus im Garten campen können, wenn sie wollen. Da hab ich dann auch ein paar Österreicher kennengelernt, das waren alles sehr entspannte Leute.
VICE-News Shorty: Die Gewalt des G20-Gipfels:
Ich kenn ja eigentlich Demoverhältnisse in Hamburg, ich war auch während den Essohäuser-Protesten auf der Straße, aber bei den G20-Protesten war das einfach so heftig. Du hast einfach die gesamte Polizei aufmarschieren sehen und die haben alles schon dicht gemacht – hinten wie vorne mit Wasserwerfern eingekesselt, damit die Demonstranten keinen Ausweg hatten. Irgendwie war’s klar, dass es eskalieren würde, ich mein die haben die Demo genehmigt, aber ohne irgendwelche Auflagen und da hat man schon gewusst “Ok, die wird nach hinten losgehen” und dadurch, dass die Masse so umzingelt war, hat sich eine ziemliche Unruhe breit gemacht. Die Polizei hat dauernd gemeint, der Antifa-Block soll seine Masken abnehmen, weil es gesetzwidrig wäre, was einfach eine Lüge ist. Und irgendwann sind die Bullen dann halt wortlos und ohne Vorwarnung reingegangen, mit Pfefferspray und haben angefangen drauf loszuprügeln, das war richtig daneben.
Nachdem die ganze Scheiße dann irgendwann mal vorbei war, hab ich mich noch mit den Leuten aus meinem Garten unterhalten und da waren paar Leute aus Österreich dabei, die meinten, sie würden auf dieses Festival hier fahren und ob ich nicht Lust hätte mitzukommen, und weil mir die Leute so getaugt haben, bin ich einfach mit denen mitgefahren.”
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