Vor „Will Grigg’s on fire” gab es einen anderen Song, der die nordirischen Fans einte

Im Achtelfinale gegen Wales wird mit Sicherheit wieder „Will Grigg’s on fire” aus der nordirischen Kurve ertönen. Über 20.000 Nordiren werden im Stadion sein und das Spiel unabhängig vom Ergebnis zu einem akustischen Highlight machen. Doch ohne den Song „Sweet Caroline” von Neil Diamond wäre das vielleicht nicht möglich.

Zur Jahrtausendwende war der nordirische Fußball am Boden. Seit 1986 hatte man an keinem internationalen Turnier teilgenommen, in der Weltrangliste dümpelte man um Platz 100 umher und sowohl der Verband als auch das Land hatten tiefgreifende Probleme. Der jahrhundertealte Konflikt zwischen zwischen Protestanten und Katholiken machte auch vor der Nationalmannschaft und ihren Anhängern nicht halt. Die wenigen Zuschauer, die sich damals die Spiele angesehen—man muss fast „angetan” sagen—haben, waren überwiegend protestantisch. Sie sangen mit Stolz die Nationalhymne „God save the Queen” und zeigten so auch ihre Verbundenheit zu Großbritannien.

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Außerdem wurde von einigen Fans immer wieder „We’re up to our knees in Fenian blood”, ein Song gegen alle nach Unabhängigkeit strebenden Nordiren—in der Regel Katholiken. Doch einige beließen es nicht bei Gesängen. Als der nordirische Nationalspieler Neil Lennon zu Celtic Glasgow, einem typisch katholischen Verein, wechselte, beschmierten radikale Fans eine Hauswand in Belfast mit „Neil Lennon RIP”. Der traurige Höhepunkt dieser religiös motivierten Hasstiraden war am 21. August 2002. Nordirland hatte ein Freundschaftsspiels gegen Zypern und Neil Lennon bekam eine Morddrohung. Er entschied sich nicht aufzulaufen und beendetet frühzeitig seine Länderspielkarriere.

Der Verband musste etwas unternehmen. Gesänge mit religiösem Hintergrund sollten der Vergangenheit angehören. Nach Absprache mit dem Verband und in Zusammenarbeit mit dem Ordnungsdienst überstimmte Jim Rainey, einer der führenden nordirischen Fans, von nun an jegliche diskriminierende Gesänge per Megaphon mit eigenen Fangesängen, wie „We’re not Brazil, we’re Northern Ireland“. Auch aus den Lautsprechern sollten keinerlei Songs mit religiöser Bedeutung mehr ertönen, stattdessen lief „Sweet Caroline”. Der Bezug kommt durch den ähnlichen Wortklang von Caroline und „Norn Iron”, umgangssprachlich für Nordirland.

Für den Durchbruch sorgte das WM-Qualifikationsspiel gegen England im September 2005. Der WM-Zug war für Nordirland längst abgefahren, doch sie gewannen 1:0 gegen den scheinbar übermächtigen Favoriten. Aus den Boxen dröhnte wieder „Sweet Caroline” und die Fans sangen es im Freudentaumel lauthals mit. Fortan gehörte das Lied bei Länderspielen zum Standardrepertoire. Bei der EM läuft das Lied vor Anpfiff sogar als Karaoke-Version mit Text auf den Videowänden.

Nordirland-Fan Ivan Hawthorne aus Belfast erklärte uns, dass „Sweet Caroline” einen großen Anteil an der heutigen offenen und freundlichen Atmosphäre bei den Spielen hat. Die Fankultur hat sich komplett gewandelt, anti-katholische oder andere diskriminierende Fangesänge gibt es längst nicht mehr. Er geht häufig mit Freunden oder Familie ins Stadion. Während es früher undenkbar war als Katholik zu den Spielen zu gehen, so ist das Publikum heute durchmischt, er selbst ist Moslem.

Die Nationalhymne werden im Achtelfinale wieder weitestgehend Protestanten singen, doch auch in Deutschland singt nicht jeder die Nationalhymne. Und spätestens wenn „Sweet Caroline” ertönt, werden wieder alle gemeinsam singen.