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Verbrechen

Frauen in ganz Pakistan protestieren nach dem "Ehrenmord" an Qandeel Baloch

Vergangenen Freitag wurde der kontroverse pakistanische Social-Media-Star Qandeel Baloch von ihrem eigenen Bruder ermordet. Mehrere feministische Gruppen in ganz Pakistan gingen daraufhin auf die Straße, um den "Ehrenmorden" endlich ein Ende zu setzen.
Photo via Instagram

Update vom 22.07.2016: Nach Informationen von Reuters soll das langerwartete Gesetz gegen Ehrenmorde nun innerhalb weniger Wochen vom pakistanischen Parlament verabschiedet werden. „Wir haben den Gesetzesentwurf unter Berücksichtigung der Verhandlungen fertiggestellt", sagte die Tochter des Premierministers, Maryam Nawaz Sharif, die sich seit Längerem von Seiten der Regierung für die Stärkung der Frauenrechte einsetzt. „Der finale Entwurf soll dem gemeinsamen Parlamentsausschuss am 21. Juli zur Prüfung und Bestätigung vorgelegt werden." Nachdem auch die Jammat-e-Islami, die stärkste religiöse Regierungspartei des Landes, nicht die Absicht hat, das Gesetz zu verhindern, wird erwartet, dass es wie geplant vom Parlament verabschiedet wird.

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An dem Tag, als sie starb, postete der pakistanische Social-Media-Star Qandeel Baloch eine Nachricht auf ihrer Facebook-Seite, mit der sie sich an ihre 780.000 Follower richtete: „Ganz egal wie oft sie mich unterdrücken … ich werde mich nicht unterkriegen lassen … für all die Frauen, die von der Gesellschaft schlecht behandelt und dominiert werden." Stunden später war das Model tot. Sie wurde von ihrem eigenen Bruder umgebracht. Ein Mord, der ganz Pakistan erschüttert hat.

Balochs echter Name war Fouzia Azeem. Die 26-Jährige wurde berühmt, nachdem sie bei der Reality-Fernsehshow Pakistan Idol vorsprach. Das Video ihres Vorsprechens wurde zum viralen Hit und Baloch—die aus einer Arbeiterfamilie aus der konservativen Stadt Shah Sadar in der Region Punjab stammt—nutzte ihren Online-Ruhm und wurde zum Social-Media-Star. Oft wurde sie auch als die „Kim Kardashian Pakistans" bezeichnet. Während ihre Bekanntheit weiter zunahm, begann Baloch sich auch immer stärker für die Stellung von Frauen innerhalb der pakistanischen Gesellschaft einzusetzen. Kurz vor ihrem Tod sprach Baloch in einem Interview mit Dawn offen über ihren Kampf und ihre Probleme.

„Ich war 17 Jahre alt, als mir meine Eltern einen ungebildeten Mann aufzwangen … Seit ich ein Kind war, war es mein Wunsch, etwas aus mir zu machen, die Möglichkeit zu haben, auf eigenen Füßen zu stehen und etwas für mich selbst zu tun", sagt sie. Sie kritisierte darüber hinaus auch die pakistanischen Medien, weil sie ihr nicht „anrechnen", dass sie sich „für die Autonomie und Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen ausspricht" oder dass sie der Hauptverdiener ihrer Familie aus sechs Brüdern und sechs Schwestern ist.

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Baloch spaltete die Meinungen in Pakistan und machte Schlagzeilen, als sie sich mit dem führenden Geistlichen Mufti Abdul Qawi traf. Die Bilder, die zeigen, wie sie Qawis Hut trägt, waren überall im Netz zu sehen und Baloch geriet infolgedessen stark in die Kritik. Vor ihrem Tod sagte sie gegenüber der Polizei und der Presse, dass sie Angst, um ihr Leben fürchtete und bereits Pläne gemacht hätte, ins Ausland zu ziehen. Doch vergangenen Freitag wurde sie dann von ihrem eigenen Bruder, Muhammad Waseem, erwürgt, während sie im Haus ihrer Familie schlief. Er gestand das Verbrechen später während einer Pressekonferenz und sprach davon, dass er sie im Namen ihrer „Ehre" ermordet hätte.

Dass die Sexualität von Frauen angeprangert und unterdrückt wird, ist ein globales Phänomen.

Balochs Tod hat die pakistanische Gesellschaft tief gespalten. Jährlich werden in Pakistan Schätzungen zufolge 1.000 Frauen Opfer sogenannter „Ehrenmorde" (die tatsächliche Zahl ist vermutlich noch sehr viel höher). Im ganzen Land finden Demonstrationen statt und prominente pakistanische Feministinnen haben sich zu Wort gemeldet, um den Mord öffentlich zu verurteilen. Über Twitter fragte der Oscar-gekrönte Filmemacher Sharmeen Obaid: „Wie viele Frauen müssen noch sterben, bevor wir das Gesetz gegen Ehrenmorde verabschieden?" Die Online-Petition des pakistanischen Feminist Collective hat hierfür bereits mehr als 3.000 Unterschriften gesammelt.

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Und es sind noch weitere Proteste in ganz Pakistan geplant. Die Pressesprecherin der Avami Worker's Party, Tooba Syed, sagte gegenüber Broadly, dass die feministisch-kommunistische Gruppe gestern eine Demonstration in Islamabad angehalten hat, nachdem es bereits ähnliche Proteste in Lahore gab, an denen die Gruppe teilgenommen hatte. „Wir beziehen klar Stellung im Fall des Mordes an Baloch", erklärt Syed, „weil sie eine Frau aus der Arbeiterklasse war, die ihre gesamte Familie unterstützt hat."

Ein Protest in Karachi organisiert von Girls at Dhabas. Foto: Erum Haider und Zoya Anwer

„Dieser Mord sagt sehr viel über die wirtschaftliche Situation von Frauen in der pakistanischen Gesellschaft aus", sagt Syed. „Sie haben kaum eine Wahl. Einer der Gründe, weshalb sie so provokative Videos gepostet hat, war, dass sie eine ungebildete Frau war, die mit der Bürde lebte, ihre gesamte Familie unterstützen zu müssen. Sie hatte keine andere Wahl. Welche anderen Optionen hat eine Frau in einer Gesellschaft wie unserer denn sonst schon?"

Natasha Ansari von der Frauenrechtsgruppe Girls at Dhabas hat gemeinsam mit dem Feminist Collective und der National Students Federationeine Demonstration in Karachi organisiert. In ihren Augen hatte der Mord an Baloch nichts mit Ehre zu tun. „Dass die Sexualität von Frauen angeprangert und unterdrückt wird, ist ein globales Phänomen. Baloch wurde umgebracht, weil verschiedene Faktoren zusammengekommen sind: Frauenfeindlichkeit, der Staat, der es nicht geschafft hat, sie zu schützen und das fahrlässige, verantwortungslose Handeln der Medien, die keinerlei journalistische Ethik besitzen."

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Ansari betont, dass vor Balochs Tod persönliche Details wie ihre Privatadresse und Spekulationen über ihre Ehe veröffentlicht wurden. Das Feminist Collective hat all die Momente, in denen Baloch durch die Presse an den Pranger gestellt wurde, auf einem Tumblr-Blog namens No Country for Bold Women gesammelt—eine düstere Lektüre.

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Mehrbano Raja, Mitglied der Gruppe Girls at Dhabas, leitete die Demonstration in Lahore. Sie sagte gegenüber Broadly, dass sie hoffe, dass Balochs Tod den Druck auf die Behörden erhöhen wird, damit diese endlich das langerwartete Gesetz gegen Ehrenmorde verabschieden. Außerdem äußerte sie sich verärgert darüber, dass Premierminister Nawaz Sharif den Mord an Baloch nicht öffentlich verurteilt hat. „Wir hoffen, dass der Mord an Qandeel Baloch die Regierung dazu bringen wird, zu handeln und die notwendigen Gesetze zu schaffen, um die Mörder zu bestrafen und Präzedenzfälle für die Zukunft zu schaffen, um dieser Praxis ein Ende zu setzen. Doch zu allererst muss sich die Denkweise der Leute ändern."

„[Die Hoffnung ist, dass] es zu einer wachsenden Akzeptanz in der pakistanischen Gesellschaft führen wird, wenn wir verstehen, wie viele von uns letztendlich für den Tod an Qandeel Baloch verantwortlich sind", sagt sie weiter. „Wir haben uns alle schuldig gemacht, da sie unentwegt an den Pranger gestellt wurde, statt für ihre Unabhängigkeit und ihren Mut, etwas innerhalb dieser Gesellschaft anders zu machen, gefeiert zu werden."


Foto: qandeelbalochquebee | Instagram