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Forscher wollen mit Twitters Geo-Daten Verbrechen vorhersagen

Mathew Gerber hat ein Programm zur präventiven Strafverfolgung dank Twitter-Feeds entwickelt, das schon bald von der New Yorker Polizei eingesetzt werden könnte.

New Yorker Polizeireviere könnten schon bald Verbrechen mit „geo-getagten“ Tweets vorhersagen. Dr. Matthew Gerber von der University of Virginia hat eine Methode entwickelt, in der eine solche Verbrechensbekämpfung weniger futuristisch oder dystopisch sondern einfach nur verdammt praktisch und realitätsnah klingt—und die NYPD hat Interesse das Programm einzusetzten.

Gerbers System kombiniert sowohl alte als auch neue Methoden. Schon heute nutzen nämlich viele Polizeireviere Kriminalitätslandkarten, um sich auf Regionen mit hoher Verbrechensrate zu konzentrieren. Solche Karten zeigen die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Kriminalität an einem bestimmten Ort an, in dessen Nähe bereits in der Vergangenheit ein gewisser Verbrechensschwerpunkt lag. Das Verfahren wird KDE (kernel density estimation) genannt.

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Auch Dr. Gerbers Ansatz nutzt die KDE-Technologie, allerdings durch Inhalte aus Twitter-Beiträgen angereichert. Das neue System funktioniert zweistufig. Zunächst werden Millionen von Tweets mit Geo-Tags für einen bestimmten Zeitraum gesammelt und inhaltlich bestimmten Themenfeldern zugeordnet. Dann wird analysiert, ob infolge bestimmter Twitter-Diskurse an den Orten, an denen die Themen auftreten, mehr Verbrechen begangen wurden. Die Ergebnisse werden dann dafür verwendet, um allein aus der Verteilung der Twitter-Themen die geographische Wahrscheinlichkeit von Verbrechen vorherzusagen, wie Dr. Gerber berichtet:

„Twitter-Themen können dabei sein: Saufen gehen, Fussball-Spiele, etc. Wir wissen, dass diese Art von Aussagen mit Kriminalität korrelieren kann, und unser Modell filtert eben diese Informationen aus dem Modell.”

Links sieht man die traditionelle Kriminalitäskarte, die nur auf der Verbrechensrate beruht. Rechts die Karte, die auf Twitter-Themen beruht. Bild: Matthew Gerber

GPS-Tags erlauben es Gerber und seinem Team eine virtuelle Landkarte mit Hotspots erwarteter Kriminalität zu zeichnen. Die Ergebnisse des Verfahrens vergleicht Gerber dann mit den Vorhersagen des traditionellen Systems, das nur auf Polizeiberichten beruht. Ob es funktioniert? Gerber antwortet entschlossen „manchmal.“

Denn einige Arten von Kriminalität sagte das Twitter-KDE besser vorher als das traditionelle Rechenmodell, etwa Stalking, Sachbeschädigung und illegales Glückspiel. Bei Vergehen wie Brandstiftung, Einschüchterung und Kidnapping hingegen schnitt das traditionelle KDE besser ab. Warum es diese Unterschiede gibt, ist nicht so ganz klar, aber Gerber vermutet, dass es an der verkürzten Twitter-Sprache liegt. Twitter-Slang scheint das Sprachanalyseprogramm also durchaus zu überfordern.

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Natürlich befeuert diese Form von Hightech-Kriminalitätsbekämpfung die Debatte über Online-Privatsphäre und die Verwendung von Nutzerdaten ohne deren Zustimmung. Besonders heiss wird es dabei, wenn die Polizei die Bewegungen von Individuen mithilfe der Geodaten verfolgt. Zwar versteht Gerber durchaus die generelle Post-Snowden-Skepsis gegenüber modernen Überwachunsmethoden, aber was die von ihm verwendeten GPS-Daten von Twitter-Nutzer angeht, ist er eher gleichgültig eingestellt:

„Die Leute entscheiden sich selbst für das GPS-Tagging zu werden, das ist eine Opt-In-Geschichte. Wenn du dem nicht dezidiert zustimmst, werden deine Tweets auch nicht genutzt. Ich denke die Leute wissen schon sehr gut, dass Twitter eine öffentliche Veranstaltung ist.”

Gerber besteht auch darauf, dass sein System keine Gefahr für Einzelne darstellt, verfolgt zu werden. Das System modelliere kein individuelles Verhalten und nutzt auch die Identität der Täter nicht. Man kann aber durchaus einwenden, dass statt Einzelner nun Gruppen und Nachbarschaften ins Fadenkreuz geraten. Letztlich beruht der Nutzen der Technologie auch genau darauf.

Nichtsdestotrotz lehnt Gerber solche Kritik ab. „Du könntest zwar sagen, dass die Polizei genauer auf bestimmte Stadtteile schaut, aber das tun sie auch jetzt schon, weil sie die Stadt kennt. Und da gibt es nun mal üblere Gegenden, die dann natürlich stärker patrouilliert werden, und in denen zum Beispiel mehr Durchsuchungen stattfinden.”

Zwar gibt es erst sehr wenige Daten zu den Auswirkungen des Twitter-KDE, aber es sieht ein wenig so aus als wenn „schlechte” Stadtteile aufgrund Ihrer „schlechten” Twitter-Sprache einem virtuellen Stop and Frisk (Stoppen und Durchsuchen) ausgesetzt werden—was heute, seien wir ehrlich, immer noch viel zu häufig auf ohnehin sozial oder gar ethisch diskriminierte Gegenden zutrifft. Zwar werden solche gerne als „soziale Brennpunkte“ bezeichnete Orte nicht anders analysiert, als andere Viertel—aber das Resultat könnte gerade deswegen ein technologisches Alibi für eine Diskriminierung auf mathematischer Basis sein.

Gerber erzählt, dass die Pre-Crime-Analyse demnächst schon in den New Yorker Stadtteilen Queens und Bronx Einzug halten könnte. Die NYPD hat Interesse bekundet, dort ein Pilotprogramm zu starten—schließlich ist sie durchaus bekannt für ihre progressiven Twitter-Kampagnen.