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Der IS hat in Raqqa Internetcafés gestürmt und privates W-Lan verboten

Selbst die Soldaten des IS müssen ab sofort exklusiv die überwachten Internetcafés des Kalifats nutzen, um Überläufer abzuschrecken.
Das von Aktivistengepostete IS-Flugblatt zum W-Lan-Verbot in Raqqa. Bild: via Raqqa is being slaughtered silently

Kämpfer des sogenannten Islamischen Staats haben am Wochenende in der de-facto Hauptstadt des selbstausgerufenen Kalifats Internetcafés gestürmt und ihren Besitzern mit wie üblich roher Gewalt gedroht. Der IS hat den Betreibern der Cafés eine frist von vier Tagen gesetzt, um alle privaten W-Lan-Zugänge in der Stadt zu kappen, die auch den Menschen in den umliegenden Häusern einen Zugang ins Netz ermöglichten.

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Das berichtet die AFP unter Berufung auf die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (die in Großbritannien sitzt und eine der wenigen Informationsquellen aus dem Land darstellt), sowie Abu Ibrahim Al-Raqqawi von der Aktivistengruppe „Raqqa is being slaughtered silently", die unter Lebensgefahr vor Ort gegen die IS-Herrschaft kämpft.

Bei den regelmäßig durchgeführten Razzien müssen die Nutzer ihre Mobilgeräte und Hände auf den Tisch legen. Nutzer, die unerwünschte Inhalte betrachten, werden inhaftiert und bei einem Verdacht auf „Spionage" für den Feind auch sofort getötet, so Al-Raqqawi, dessen Organisation seit über zwei Jahren selbst Opfer von IS-Verfolgung ist.

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Sowohl Einwohner als auch Soldaten des IS sind per Flugblatt beordert worden, zukünftig nur an Orten digital zu kommunizieren, an denen sie auch überwacht werden können. Die Anordnung muss bis morgen umgesetzt worden sein. Innerhalb der Stadtgrenzen würden Mitglieder des IS mittlerweile auf Patrouille fahren, um vom Auto aus nach W-Lan-Signalen zu suchen. Wer ein solches Signal überträgt, wird ebenfalls verhaftet und verhört.

Die Informationskontrolle des IS macht längst nicht mehr vor digitalen Angeboten Halt. Im Bild: der TV5-Hack.

Es mutet beinahe schon seltsam an, dass diese Maßnahme nicht schon früher umgesetzt wurde, schließt sie doch für viele Bürger nun ein elementares Fenster zur Welt und für Aktivisten einen Kanal, mit dessen Hilfe sie die Verbrechen des IS-Regimes dokumentieren konnten. Die Terrorruppe will den Nachrichten-Blackout auch gegen potentielle Überläufer einsetzen.

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Denn in Raqqa gibt es kaum Ethernetkabel, sondern hauptsächlich Broadband Global Area Networks (BGAN). Das sind mobile Geräte, kleiner als eine Schuhschachtel, aber sehr teuer (ca 2000 USD), die es den Nutzern ermöglichen, sich per Satellit ins Internet einzuwählen, nachdem sie ein Prepaid-Datenpaket von ihrem Provider gekauft haben.

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In den fast 5000 Internetcafés in Raqqa stehen diese Geräte, die 50 Gigabyte Datenvolumen speichern können—dafür sind dort in den seltensten Fällen Computer stationiert. Die Kunden betreten die kleinen Läden mit ihrem eigenen Gerät, sei es nun ein Handy oder ein Laptop, und kaufen beim Internetcafé erst einen Account, dann kleinere Volumen-Pakete.

Die BGAN-Geräte sind mit einem W-Lan-Extender verbunden, dessen Signal von Einwohnern in der Nähe genutzt werden kann.

Die Besitzer der Webcafés müssen für jede Neuaufladung ihres BGAN-Geräts die türkische Grenze passieren. Das war schon vor dem Verbot gefährlich; mit dieser Verschärfung der Informationskontrolle wird es richtig riskant—für Betreiber und Nutzer.

Dazu kommt, dass viele der Internetcafébesitzer schon zuvor dem IS als Spione zugearbeitet haben, sagte al-Raqqawi dem Onlinemagazin Daily Beast.

Es wird höchste Zeit, dass die Koalition der Friends of Syria neue Wege findet, um den Medienaktivisten in der Stadt technologische Mittel zu spenden (wie die kenianischen W-Lan-Hotspots BRCK), damit sie den Infomationsfluss aus der Stadt heraus aufrecht erhalten können und die Menschen nicht komplett der dschihadistischen Repression und Isolation des sogeannten Ismalischen Staats überlassen werden.