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Durfte die Polizei die Frankfurter Hools stundenlang in dieser Gaststätte festhalten?

Am Samstag lieferten sich Hertha- und Eintracht-Fans eine offene Schlacht in Berlin-Moabit. Die festgenommenen Frankfurter wurden stundenlang in einer Gaststätte am Stadion festgehalten. Ein Anwalt sieht das Verhalten als „rechtswidrig" an.
Foto: www.facebook.com/pg/PreussischesLandwirtshaus

Update:

Das stundenlange Festhalten der Frankfurter Fans in einer Gaststätte am Samstag war wohl nicht legal. Die Justiz entlarvte nun Falschaussagen der Berliner Polizei. Nachdem der stellvertretende Polizeisprecher auf Nachfrage von VICE Sports erklärte, die Polizei habe für die am Samstag nach einer Schlägerei festgenommenen Eintracht-Fans ein „Anschlussgewahrsam beantragt", das jedoch „vom Richter nicht stattgegeben" wurde, erreichte uns nun die Stellungnahme der Berliner Justiz. Auf Nachfrage von VICE Sports erklärte Lisa Jani, Pressesprecherin für die Berliner Strafgerichte: „Die Aussage der Polizei stimmt so nicht. Die Polizei hat beim zuständigen Richter angefragt, was die Vorraussetzungen für ein Anschlussgewahrsam wären. Ein förmlicher Antrag hätte dafür gestellt werden müssen, ein solcher Antrag ist von der Polizei aber nicht gestellt worden. Die Polizei hatten wir gebeten, rechtzeitig ein Signal zu geben, wann die Anträge kommen, damit sogar ein zweiter Richter hinzugezogen wird. Die Polizei hat sich also nur nach Modalitäten erkundigt, es lag kein förmlicher Antrag vor. Nur dann kann das Gericht tätig werden." Polizei und Justiz widersprechen sich also. Diese Aussage erhärtet den Vorwurf, dass die Polizei die Fans – egal, was sie vorher auch getan haben mögen – illegal in der Gaststätte festgehalten hat. „Das Handeln der Polizei ist ein klarer Verstoß gegen das Gesetz", erklärt auch Anwalt Dr. Andreas Hüttl, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte, auf Nachfrage von VICE Sports. „Musste man bisher davon ausgehen, dass die Polizei die ‚Anweisung' des Richters, alle Festgenommenen vorzuführen, nicht beachtet und sie gleichwohl festgesetzt hat, muss man nun wohl davon ausgehen, dass die Polizei noch nicht einmal den notwendigen Antrag zur Bestätigung der Ingewahrsamnahme gestellt hat", so der Anwalt. Ohne richterliche Anhörung hätte die Polizei die Eintracht-Fans nicht über Stunden in der Gaststätte festsetzen dürfen. „Ich sehe auf der Grundlage des Berliner Polizeigesetzes keine Grundlage für ein legales Festhalten in der Gaststätte", so Hüttl. Darüber hinaus bewertet Hüttl auch die Stellungnahme des Vize-Polizeisprechers als zumindest irreführend. „Die Angaben des Vize-Polizeisprechers („Wir hätten die Frankfurter gerne in Gewahrsam genommen, der Richter habe dies aber abgelehnt", Anm. d. Red.) scheint in Anbetracht der Auskünfte der Pressesprecherin für die Berliner Strafgerichte unrichtig zu sein. Damit hat die Polizei Berlin die Verantwortung für die Tatsache, dass die Frankfurter nicht in Gewahrsam genommen werden konnten, scheinbar wahrheitswidrig auf die Justiz verschoben. Hierdurch wurde die Öffentlichkeit bewusst in die Irre geführt." Außerdem bekommt jetzt auch die vom Tagesspiegel zitierte Aussage eines vor Ort anwesenden Polizeibeamten („Warum die hier in der Kneipe sitzen und nicht in Haft, fragen sie mal die Justiz", Anm. d. Red.) einen faden Beigeschmack. Dazu Hüttl: „Es ist mehr als bedenklich, wenn die Umstände einer Gewahrsamnahme durch die Polizei in unrichtiger Art und Weise dargestellt werden. Dass durch ein solches Vorgehen die Glaubwürdigkeit von Auskünften der Polizei insgesamt ausgehöhlt wird, hat die Polizei Berlin offensichtlich in Kauf genommen."

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Die ganze Geschichte könnt ihr hier noch mal nachlesen:

Samstag. 18:30 Uhr. Es ist ruhig in der Gaststätte „Preußisches Landwirtshaus" direkt am Berliner Olympiastadion. Im Innenraum schauen um die 60 Eintracht-Fans das Spiel zwischen Hertha BSC und Eintracht Frankfurt auf einer Leinwand. Eigentlich ein ganz normaler Bundesliga-Nachmittag – wenn draußen nicht mehrere Polizisten den Laden bewachen würden. Die SGE-Anhänger wurden wenige Stunden vorher nach einer Massenschlägerei mit Hertha-Fans in Berlin-Moabit festgenommen und von der Polizei mehrere Stunden in der Gaststätte festgehalten.

„Die Polizei fragte uns, ob sie diese Fans mit Stadionverbot hier kurz unterbringen könne", erklärt Benjamin Renger, Geschäftsführer der Gaststätte, auf Anfrage von VICE Sports. „Ich habe dem zugestimmt." Renger kennt das, für ihn ist es nicht das erste Mal, dass er von der Polizei festgesetzte Fans bei ihm unterbringt. Von der Vorgeschichte seiner Zwangsgäste und den Auseinandersetzungen in Moabit erfuhr er aber erst, als die Fans schon bei ihm saßen.

Einige Stunden zuvor kam es in Moabit zu einer Schlägerei von bis zu 200 Fans von Hertha und Eintracht. „Flaschen, Bierkisten, Stühle und Feuerwerkskörper wurden von den Maskierten verwendet, um Anhänger des gegnerischen Lagers zu verletzen", erklärte die Polizei später. Anwohner filmten in zahlreichen Videos die bewaffneten Auseinandersetzungen. Ob es sich um eine verabredete Schlägerei oder einen Überfall der Eintracht-Anhänger handelt, ist laut Polizeiangaben noch nicht klar.

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Zufällig dürfte der Ort in Moabit jedoch nicht ausgewählt worden sein, da ein bekannter Treffpunkt der Hertha-Ultragruppe „Harlekins" in der Nähe ist. „Es spricht vieles dafür, dass die Harlekins überrascht wurden in ihrer Stammkneipe", erklärte Donato Melillo, Leiter der Hertha-Fanbetreuung, der Berliner Zeitung. Im Polizeibericht steht zudem, dass die ersten beiden Streifenwagen „einer etwa 60-köpfigen Gruppe von Randalierern gegenüber" standen, „deren Aggressionen sich sofort gegen die Polizisten richteten". „Als der Mob auf die Beamten losstürmte, zogen diese ihre Dienstwaffen und verhinderten somit offenbar einen körperlichen Übergriff."

Frankfurter Fans auf einem Berliner Spielplatz…#Bodenkontakt pic.twitter.com/sKBGrBeU9U
— Peter Rossberg (@PRossberg) 25. Februar 2017

Am Ende kam es zu 96 Festnahmen, 73 gegen Fans aus Hessen. Gegen alle Beteiligten wurden Platzverweise und Stadionverbote ausgesprochen. Sechs Fans kamen verletzt in Krankenhäuser, einer wurde stationär behandelt. Anschließend parkte die Polizei etwa 60 Frankfurter neben dem Olympiastadion im „Preußischen Landwirtshaus", wo sie das Spiel schauten. „Die Polizei stand draußen und ließ keine Hertha-Fans rein, drinnen schauten mitgereiste Ordner von Eintracht Frankfurt nach dem Rechten", erzählt Gaststätten-Geschäftsführer Renger. „Die Fans waren alle nüchtern. Es gab keine Aggressionen und alles blieb ruhig. Komischerweise wurden selbst die Gegentore von Hertha regungslos hingenommen. Es ist schwer zu sagen, aber ich glaube nicht, dass es die großen Fußballfans waren." Aber warum wurden die Fans ausgerechnet in einer Gaststätte festgehalten? Und darf das die Polizei überhaupt?

Der Tagesspiegel, der einen Journalisten vor Ort hatte, zitierte einen wütenden Polizisten in der Gaststätte: „Fragen Sie mal die Justiz, warum die in einer Gaststätte sitzen und nicht im Gefängnis." Ein Richter gab dem jedoch nicht statt. Gegenüber VICE Sports erklärte Thomas Neuendorf, stellvertretender Pressesprecher der Berliner Polizei: „Wir hätten für die Festgenommen gerne einen Anschlussgewahrsam verhängt, haben es auch beantragt, aber es wurde vom Richter nicht stattgegeben." Der Richter wollte die Fans laut Neuendorf nicht pauschal in U-Haft stecken, sondern eine Einzelvorführung aller Personen. „Das war für uns bei 65 Störern zeitlich nicht möglich. Also sind wir pragmatisch vorgegangen und haben die Chaoten für den Zeitraum des Spiels festgesetzt, um sie aus dem Stadtbereich zu bekommen." Die Gaststätte bot sich dabei an, da sie „in der Nähe der geparkten Busse der Auswärtsfans liege." Wenn der Richter die Fans jedoch nicht vorgeführt bekommt, müsste die Polizei diese aber laufen lassen und darf sie nicht weiter festhalten.

„Dieses geschilderte Vorgehen erscheint auf den ersten Blick rechtswidrig", erklärt Dr. Andreas Hüttl, Strafverteidiger aus Hannover und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Fananwälte, auf Nachfrage von VICE Sports. „Auch wenn sich hier Leute schlagen wollen und es viele sind, ist eine persönliche Vorführung beim Richter zwingend. Der Richter sieht die Leute oftmals dann nur kurz, aber er sieht sie. So wie geschildert scheint es aber problematisch", so Hüttl. Genauer gesagt: „Wenn ein Amtsrichter eine Gewahrsamnahme ablehnt oder die persönliche Vorführung zur Bestätigung verlangt, dann hätte man die Frankfurter Fans auch nicht über Stunden in der Gaststätte festhalten dürfen. Hierbei handelt es sich ja auch um eine Ingewahrsamnahme. Die Begrifflichkeit ‚Anschlussgewahrsam' gibt es nicht im Berliner Polizeigesetz", erklärt der Strafverteidiger. Grundlage für die Gewahrsamnahme in Berlin ist Paragraf 30 des Berliner Polizeigesetz (ASOG). „Wenn der Richter den ‚Gewahrsam nicht bestätigt oder anordnet', dann kann die Polizei nicht so handeln, egal wie pragmatisch das klingt." Die Polizei hätte die Frankfurter ohne richterlichen Beschluss nicht festhalten dürfen. Das Vorgehen könnte nun also ein Nachspiel haben – nicht nur für die Frankfurter und Berliner Schläger. VICE Sports bat das Amtsgericht um eine Stellungnahme, die bisher nicht abgegeben wurde.

Der Wirt bleibt indes wohl auf den Kosten sitzen. „Die Hunderten Hertha-Fans, die immer nach dem Spiel zu uns kommen, musste ich wegschicken." Die Festgenommenen machten hingegen wenig Umsatz. Anders als die Tagesspiegel-Überschrift „Betreutes Trinken auf Staatskosten" suggeriert, mussten die Fans ihre Getränke selbst zahlen. Auf Staatskosten gingen höchstens die Personalkosten für die zahlreichen Polizisten vor der Gaststätte. „Die Frankfurter haben Bier und Cola getrunken, selbst gezahlt, aber insgesamt nur wenig verzehrt", erklärt der angefressene Renger, der die Fans noch bis nach 23 Uhr beherbergen musste, bis sie schließlich zu ihren Bussen durften. „Die durften erst gehen, als kein Herthaner mehr auf der Straße war. Danach haben wir zugesperrt."

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