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Noch einmal ganz oben stehen—Biedermann auf seiner letzten Etappe

Für Paul Biedermann beginnt mit der Schwimm-WM im russischen Kasan der letzte Abschnitt seiner Karriere. Auf Medaillenzielvereinbarungen gibt der Schwimmstar nichts, doch er träumt trotzdem von der großen Krönung.
Imago/Anan Sesa

Für Schwimmstar Paul Biedermann beginnt bei der Schwimm-WM im russischen Kasan die letzte Etappe seiner Karriere. Der sechsmalige WM-Medaillengewinner ist seit Monaten endlich wieder in einer besseren Form und kann diese Anfang August mit Medaillen krönen. Beim strauchelnden Deutschen Schwimmverband (DSV) steht der Schwimmstar aus Halle (Saale) daher im Fokus­.

Das liegt nicht nur daran, dass der 28-Jährige der einzige Deutsche im Team ist, der schon mal Weltmeister war. Bei den deutschen Meisterschaften im April konnte Biedermann über seine Paradestrecke, die 200 Meter Freistil, die Weltjahresbestzeit mit 1:45,60 Minuten schwimmen. Die Hoffnungen beim Verband sind groß, dass er nach zweimal Gold und einmal Silber 2009 in Rom sowie dreimal Bronze 2011 in Shanghai seine nächste WM-Medaille in Kasan holt.

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Eine Medaille ist fast schon Pflicht, wenn man sich die überambitionierten Zielvereinbarungen des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) durchliest. Die 54-köpfige deutsche Mannschaft soll insgesamt sieben bis elf Medaillen in Kasan gewinnen. Die Vorgaben für die Beckenschwimmer liegen bei vier bis sechs Medaillen. Das junge Team kann diese übertriebenen Ziele wohl nicht einhalten. Der DSV schickt zwar 31 Beckenschwimmer nach Russland, doch gibt es im WM-Kader eigentlich nur drei ernsthafte Kandidaten, die vorne mitschwimmen können. Neben Biedermann könnten Marco Koch aus Darmstadt über 200 Meter Brust und Franziska Hentke aus Magdeburg über 200 Meter Schmetterling aufs Treppchen hüpfen. Die 4x200-Meter-Freistilstaffel der Männer kann an einem guten Tag auch zum erweiterten Kreis der Medaillen-Kandidaten gehören.

Biedermann lässt sich von den Vereinbarung jedoch nicht irritieren. „Ich habe jetzt ein paar Jahre auf dem Buckel, und es tangiert mich schon lange nicht mehr persönlich, was so geschrieben oder gefordert wird", sagte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. „Ich bin für meine eigene Leistung verantwortlich—welches Ergebnis dann dabei rumkommt, darauf bin ich selber gespannt. Ich habe mir jedenfalls noch nie vorschreiben lassen, dass hinten eine Medaille rauskommen muss."

Biedermann ist ruhiger geworden. Er hat schon viel im Schwimmsport erlebt. Seine Karriere ist durchzogen von triumphalen Höhepunkten und bitteren Tiefschlägen. Sein Weg an die Weltspitze des Schwimmsports begann vor erst sieben Jahren mit dem EM-Sieg 2008 in Eindhoven. Im Jahr darauf—zur Hochzeit der Hightech-Anzüge—änderte sich für den Schwimmer aus Sachsen-Anhalt alles. Die leistungsfördernden Plastikhäute machten den kräftigen Biedermann schneller als alle anderen. Seine zwei WM-Titel 2009 in Rom holte er mit zwei Weltrekorden, die bis heute stehen. Selbst Megastar Michael Phelps konnte ihn nicht aufhalten und musste sich geschlagen geben. Ein dritter Weltrekord kam auf der Kurzbahn 200 Meter Freistil ein paar Monate später hinzu. Der Druck für Biedermann war immens.

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Biedermann wurde zum Gejagten. Nach dem Verbot der Hightech-Anzüge wollten alle Konkurrenten sehen, wie sich der Weltrekordhalter in der normalen Badehose schlagen würde. Biedermann behauptete sich trotzdem in der Weltspitze und gewann dreimal WM-Bronze 2011. Bei Olympia in London holte er den fünften Platz. Danach folgte seine Leidenszeit: Die ganze Saison 2013 musste er wegen einer Krankheit abschreiben.

In diesem Seuchenjahr mit Krankheitspause und der WM-Absage dachte Biedermann auch kurz über ein Karriereende nach. Die tägliche Trainingsroutine, die Angst vor einem Schnupfen und die kleine Welt des Schwimmsports brachten ihn zum Nachdenken. „Ich kann mich ja nicht immer nur einigeln, ich möchte schon auch am normalen Leben teilnehmen", erklärte Biedermann in einem Interview der FAZ über seine damaligen Gedanken. Doch er merkte schnell, dass er immer noch für seinen Sport brannte und machte weiter.

Ein frühes Karriereende ist jedoch im trainingsintensiven Schwimmsport keine Ausnahme. Franziska van Almsick beendete ihre Karriere mit 26 Jahren, Biedermanns langjährige Freundin und Schwimmolympiasiegerin Britta Steffen mit 29. Markus Deibler und Dimitri Colupaev, zwei deutsche Spitzenschwimmer, beendeten zuletzt im Alter von 24 Jahren ihre Karrieren. Deibler konzentriert sich fortan komplett auf seinen Lebenserwerb in seiner Eisdiele. Biedermann kann die Entscheidung verstehen. „Wenn man solche Leute halten möchte und es keine Sponsoren gibt, so dass die Athleten das quasi für nichts machen, muss man sich schon fragen: Möchten wir den Leistungssport noch, oder möchten wir ihn nicht mehr?", erzählte er der FAZ. Für Leistungssportler in Randsportarten ist jede intensive Saison ein finanzielles Risiko mit einer ungewissen Zukunft.

Für Paul Biedermann ist klar, dass auch er im nächstem Jahr seine Karriere endgültig beendet. Dem Sport bleibt er vielleicht dennoch erhalten. „Die Möglichkeiten im Sport zu bleiben sind schon da. Das freut mich. Es ist eine Entlastung zu wissen, man steht danach nicht vor dem Nichts", sagte Biedermann der dpa. Am achten August 2016, dem Tag des Finales über 200 Meter Freistil bei der Olympiade in Rio, will der dann 30-Jährige seine erste olympische Medaille gewinnen. Danach beginnt eine neue Etappe und ein neues Leben—ob mit oder ohne Medaille.

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