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verpennt

Wo war Bayern, als sich Dortmund Dembélé geschnappt hat?

Bayern war da, doch zog im Tauziehen um Dembélé den Kürzeren. Da hilft auch Rummenigges Schönreden nichts. Aber wer konnte schon ahnen, dass ein 18-Jähriger so viel Rückgrat hat?
Foto: Imago

Gestern Abend hat Borussia Dortmund Bayerns Double-Träume platzen lassen. Nach einem 3:2-Kraftakt in München zog die Mannschaft von Thomas Tuchel zum vierten Mal in Folge ins DFB-Pokalfinale ein, wo sie am 27. Mai auf Eintracht Frankfurt treffen wird. Dass die Bayern innerhalb von wenigen Tagen den nächsten möglichen Titel hergeschenkt haben, lag an zwei Faktoren: eine haarsträubende Chancenverwertung und Ousmane Dembélé.

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Der Dortmunder Flügelflitzer war gestern der Mann des Spiels. Auch wenn er sich anfangs hier und da mal wieder festrannte, war er in der "Crunchtime" auf der Höhe des Geschehens, als allen anderen (lies: der alten Bayern-Garde) die Nerven flatterten. Erst bereitete er traumhaft Aubameyangs Kopfballtreffer zum 2:2 vor, dann sorgte er nur kurze Zeit später mit einem herrlichen Schlenzer für das Siegtor.

Doch nicht nur gestern Abend hat der junge Franzose unter Beweis gestellt, dass die rund 15 Millionen Euro, die Dortmund im letzten Sommer an Stade Rennes überwies, eine ausgezeichnete Investition für die Zukunft waren. Und zwar eine, die sich schon in der Gegenwart auszahlt. Dembélés erste Saison in Deutschland ist noch nicht vorbei, doch er kommt schon jetzt wettbewerbsübergreifend auf 29 Torbeteiligungen. Im Hinblick auf den alternden Kader und die mangelnden Offensiv-Alternativen drängt sich die Frage auf, warum sich eigentlich nicht die Bayern Dembélé geschnappt haben.

Für kolportierte 15 Mio. € sichert sich Dortmund Dembele - das bekommt der — iM Football (@iMFootballNews)May 12, 2016

Als Dortmund im Mai letzten Jahres den Dembélé-Deal verkündete, staunte die Fußballwelt nicht schlecht. Schließlich soll so ziemlich jeder namhafte Verein in Europa seine Fühler nach dem Supertalent ausgestreckt haben. Allen voran der Bundesliga-Klassenprimus. Noch im März spekulierte die TZ hoffnungsvoll: "FC Bayern einig mit Dembélé?" Und Rummenigge bestätigte auch im Nachhinein gegenüber der Sport Bild das Interesse seines Vereins (und widersprach nebenbei den Gerüchten, Bayern habe mit dem falschen Berater verhandelt). Doch mehr als das: Die Bayern schienen kurz davor zu stehen, Dembélé an die Isar zu holen. Sogar der Trainer von Stade Rennes witzelte im März 2016 über ein mögliches Tauschgeschäft mit Lewandowksi. Doch Timing ist eben alles und Dortmund war einfach schneller. So wie Raphaël Guerreiro gestern gegen Philipp Lahm.

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Denn der Hauptgrund dafür, dass Dembélés Weg ins Ruhrgebiet und nicht zu Rummenigge und dem Rekordmeister führte, ist die Tatsache, dass Dortmund als einer der ersten bei Stade Rennes angeklopft hat – und dann auch am Ball blieb. So meinte der Franzose kurz nach der Unterschrift: "Der BVB hat sich sehr früh um mich bemüht und immer engen Kontakt zu mir gehalten. Dieses Verhalten hat mir wirklich imponiert."

So scheint es, dass Bayern zu keiner Zeit so nah an Dembélé dran war, wie es in der Presse rüberkam. Das hat aber auch damit zu tun, dass der junge Kerl verdammt viel Rückgrat zeigte – oder "Charakter", wie es Dortmunds Aki Watzke kurz nach dem Coup ausdrückte. Charakter deswegen, weil sich Dembélé laut BVB-Homepage "frühzeitig zur Borussia bekannt" hatte und danach "etliche Angebote der europäischen Klub-Elite ausgeschlagen" hat.

Rummenigge selbst glaubt an einen anderen Grund für Dembélés Unterschrift bei Dortmund. Er vermutete in einem Interview, dass der junge Franzose Angst vor der Konkurrenz bei den Bayern gehabt habe: "Dass sich Dembélé dann für Dortmund entschieden hat, lag sicher auch daran, dass er sah, dass bei uns ein Ribéry, ein Robben, ein Coman oder ein Costa spielt."

Doch wahrscheinlicher ist, dass sich Dembélé nicht vor der eigentlichen Konkurrenz gedrückt hat, sondern einfach wusste, dass ein Carlo Ancelotti mehr auf Erfahrung setzt. Dortmund hingegen – auch unter Tuchel – hat sich international einen Namen dafür gemacht, jungen Spielern viele Einsatzzeiten zu geben und sie so in ihrer Entwicklung voranzubringen.

Natürlich hätte sich Bayern gerne einen Dembélé zugelegt, zumal sich die Flügelzange Robbery eigentlich schon seit zwei Jahren im Spätherbst befindet. Und nur ein (verletzungsanfälliger) Coman und ein inkonstanter Costa können für eine goldene Bayern-Zukunft auch nicht ausreichen. Zumal 35-Millionen-Mann Renato Sanches – neben Hummels der einzige richtige FCB-Transfer im Sommer – noch gar nicht gezündet hat (kaum Einsätze, null Torbeteiligungen, wenig Perspektive).

Während Bayern die letzten Jahre vor allem auf geht so junge Spanier gesetzt hat, hat sich Dortmund ein ganzes Arsenal an internationalen Talenten und Supertalenten zugelegt. Wenn die Guerreiros, Pulisics und Dembélés sich weiter so stark entwickeln, muss der FCB um seine Vormachtstellung in Deutschland zittern – zumal auf der anderen Seite ein aggressiver Bulle (Bayern-)Rot gesehen hat. Wir können also davon ausgehen, dass sich Bayern im Sommer ein paar neue Stars mit Perspektive gönnen wird – und muss. Was Dembélé betrifft, können sich die Münchener zumindest damit trösten, dass sich selbst der große FC Barcelona am Riesentalent die Zähne ausgebissen hat. Paco Alcacer, der im Sommer von Valencia zu den Blaugrana wechselte, soll nämlich nur zweite Wahl gewesen sein. Barça-Coach Luis Enrique wollte eigentlich Dembélé und die Katalanen boten 35 Millionen Euro. Der Rest ist Geschichte.