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Counter-Strike-Community beschert sehbehindertem Gamer den „besten Tag seines Lebens”

Noch am Morgen wurde „Lo0p“ gemobbt – am Ende des Tages zockte der 17-Jährige mit Pro-Gamern live vor etlichen Zuschauern und war um mehrere Tausend Dollar reicher.

Dumme Sprüche, abschätzige Kommentare, Ausgrenzung – als Adam „Lo0p" Bahriz sich am frühen Montag in eine Partie Counter-Strike: Global Offensive einloggt, wird er mit den üblichen Reaktionen empfangen. Der passionierte Gamer leidet an der seltenen Krankheit HSAN (hereditäre sensorische und autonome Neuropathie), die ihn in den wenigen Jahren seines bisherigen Lebens bereits schwer gezeichnet hat: Der 17-Jährige ist so gut wie blind, fast taub, hat die Hälfte seiner Nase sowie fast alle seine Zähne verloren. An diesem Montag sind seine Mitstreiter im Multiplayer-Modus besonders hart zu ihm: Sie vermuten hinter dem Zocker mit der undeutlichen Aussprache einen mutwilligen Troll, bedenken ihn erst mit Gemeinheiten, bis sie ihn schließlich einstimmig vom Server werfen. Obwohl er diese Behandlung von der Online-Community gewohnt ist, kann Lo0p seine Tränen nicht zurückhalten. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: 15 Stunden später wird er erneut weinen müssen – diesmal jedoch vor Freude.

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Wie nahezu täglich streamt der junge US-Amerikaner seine CS:GO-Matches auch an diesem Montag wieder vor einer Handvoll Zuschauer auf seinem Twitch-Kanal. Einer davon, der Spieler chr0med, ist Mitglied des semiprofessionellen Counter-Strike-Netzwerks ESEA, dem auch Lo0p angehört. Vom Verhalten der anderen Gamer abgestoßen, verlinkt er den entsprechenden Livestream im Forum der Gaming-Plattform, um andere Spieler auf den Fall aufmerksam zu machen.

Dutzende schauen Lo0p im Video nun bei seiner demütigenden Gaming-Routine zu: Sich seines Handicaps bewusst, postet er, wie immer vor einem Match, folgende Nachricht in den Chat: „Was läuft, Leute? Aufgrund meiner Krankheit wurden mir viele Zähne gezogen, weshalb ich nur undeutlich sprechen kann. Bitte seid freundlich." Doch seine Mitspieler denken nicht daran: Als der 17-Jährige die Taktik besprechen will und seinen Teamkollegen sogar eine bessere Waffe anbietet, überschütten sie ihn mit abfälligen Äußerungen. Nachdem sein Team die erste Runde gewonnen hat, stellt Lo0p seine Kommunikationsversuche kleinlaut ein: „Ok, ich werde nichts mehr sagen. Entschuldigung." Ein paar Runden später wird er schließlich einstimmig vom Server geworfen. Die hanebüchene Begründung: Er habe nicht ausreichend mit seinen Mitspielern kommuniziert.

Bereits im ESEA-Forum erfährt Lo0p moralische Unterstützung, doch erst, als Redditor Pdeeee mehrere Szenen im CS:GO-Subreddit postet, setzt eine Welle der Solidarisierung ein. Der Betroffene selbst bekommt davon zunächst wenig mit. Erst als seine Geschichte die Runde macht und ihm kontinuierlich neue Zuschauer in den Livestream spült, macht er sich langsam ein Bild davon, was gerade innerhalb der Community passiert. Die nächsten Stunden sind die ereignisreichsten seiner knapp fünfjährigen Counter-Strike-Karriere.

Als die ESEA-Administratoren Wind von den Vorkommnissen bekommen, belegen sie den Spieler, der für Lo0ps Ausschluss vom Server gesorgt hatte, mit einer dreitägigen Spielstrafe. Zu diesem Zeitpunkt kann sich der 17-Jährige längst nicht mehr vor potentiellen Mitspielern retten, darunter sind auch einige namhafte Größen der Szene. Im Laufe seines 15-stündigen Streams spielt Lo0p mit mehreren CS:GO-Profis, weitere nehmen über Twitter Kontakt mit ihm auf und zeigen sich von seinen Fähigkeiten beeindruckt. Trotz seiner Sehbehinderung überzeugt der Gamer während seiner Übertragung mit beeindruckenden Manövern und schnellen Reaktionen; mehrmals schaltet er das gegnerische Team im Alleingang aus.

Lo0p kann sein Glück kaum fassen, als binnen weniger Stunden aus einem Dutzend schließlich über 3.000 Twitch-Zuschauer werden. Doch sein Publikum belässt es nicht dabei, dem Gamer freundliche Chat-Nachrichten zukommen zu lassen. Viele beschäftigen sich mit seinem Profil, erfahren in der Kanalbeschreibung nicht nur von seiner Krankheit, sondern auch von der kostspieligen Behandlung: Voraussichtlich 6.000 US-Dollar werde er allein für zahnärztliche Behandlungen aufbringen müssen, schreibt er dort. Am Ende seines Streaming-Marathons zeigt sein Spendenkonto einen fünfstelligen Betrag. Wieder kommen ihm die Tränen – diesmal aus Dankbarkeit.

„Leute, wir sehen uns morgen, am Tag nach dem besten Tag meines Lebens", verabschiedet sich Lo0p schließlich zur Nacht. Seine Glückssträhne hält noch immer an: Am Dienstag spielte er vor 5.000 Zuschauern, erhielt weiterhin zahlreiche Spenden – und das Angebot, beim CS:GO-Profiteam EnVyUs einen Vertrag als professioneller Streaming-Partner zu unterzeichnen. Es ist der Höhepunkt einer kollektiven Momentaufnahme, die sich nicht im kurzzeitigen heute-bejubelt-und-morgen-vergessen-Ruhm des Betroffenen erschöpft, sondern eine nachhaltige Veränderung für diesen bewirkt. Die sonst so zerrissene Community steht, geeint durch die gemeinsame Leidenschaft, gemeinschaftlich füreinander ein – zumindest, bis das nächste virale Video auftaucht.