Ein Food Truck mit unangenehm großen Brüsten, schlechten Sandwiches und betrunkenen Chaoten
Foto door Daniil Lavrovski.

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Volksfest

Ein Food Truck mit unangenehm großen Brüsten, schlechten Sandwiches und betrunkenen Chaoten

Ich habe eine Stunde lang im Morgengrauen bei einem der größten Volksfeste Europas in einem Food Truck gearbeitet und Dinge gesehen, die ich schnell wieder vergessen will und irgendwie doch liebe.

Während des Gentse Feesten, Europas größtem Volksfest in Gent, ist jeder irgendwann auf dem Vlasmarkt, der irgendwie auch ein Sammelbecken des Stadtfestes ist: Drei Uhr morgens torkeln Menschenmassenvon Techno-Partys, HipHop-Sessions, Latin-Partys und Bars in Richtung des Platzes, wo sich all diese Subkulturen vermischen und es keine Grenzen mehr gibt. Die Feiernden sind alle gleich dreckig, verschwitzt, lallend und haben fettige Haare—wegen der zahlreichen Bierduschen vorher—, schlammige Schuhe und eine unglaubliche Motivation weiterzufeiern, bis irgendwann am Morgen die Lautsprecher abgestellt werden.

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Zwei Dinge, neben Grinden und regelmäßigem Umstoßen der Getränke, machen einen zu einem echten „Vlasser": auf ein Bier einen Irish Coffee trinken und ein paar Sandwiches beim berühmten Botramkot essen.

De ruggen van enkele mensen die zichzelf echte Vlassers kunnen noemen. Alle foto's door Daniil Lavrovski (https://www.instagram.com/d_lavrovski/?hl=en ).

Mit dem Rücken zu uns: echt „Vlasser". Alle Fotos von Daniil Lavrovski

Botramkot ist ein rot-weiß-karierter Wohnwagen aus den 60ern, der einmal im Jahr für das zehntätige Fest aus dem Lager geholt wird und am Rand des Platzes aufgestellt wird. Innen ist er mit Bildern von monströs großen Titten dekoriert und jeder echte Vlasser verehrt ihn. Aus dem Fenster des Wohnwagens werden Sandwiches verkauft, die man, wäre man nüchtern, als normaldenkender Mensch niemals kaufen würde. Aber beim Gentse Feesten ist es Tradition.

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Party im Bademantel

Das Aushängeschild von Botramkot ist botram mee uufflakke—ein traditionelles Genter Sandwich mit Presswurst.

Chef bei Botramkot ist Nicolas, 38. Er erzählt mir, wie es zu dem Ruhm kam: „Vor gut 15 Jahren hatten wir keinen Wohnwagen, ich war auch noch nicht dabei, aber zwei Freunde von mir, Parcifal und Jelle. Sie haben sich einen Holzverschlag gebaut und daraus botrammen mee uufflakke verkauft. Sowas haben eigentlich nur Omas in Altenheimen gegessen, das Sandwich war so überhaupt nicht beliebt. Sie hatten 100 Brote gekauft und am letzten Tag des Stadtfestes die übriggebliebenen harten Brotlaibe auf die Massen geworfen. Nach zehn Tagen war ihre Bretterbude so hinüber, dass die Müllabfuhr sie einfach am letzten Tag mit dem ganzen Abfall auf dem Vlasmarkt mitgenommen haben."

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Die Jungs hielten an ihrer Geschäftsidee fest: „Beim dritten Jahr auf dem Gentse Feesten ich habe bei Radio 2 angerufen, da gab es so eine Wunschsendung und ich habe mir einen gratis Wohnwagen gewünscht. Irgendjemand in Antwerpen hatte einen für uns, ein Baum war schon halb durchgewachsen, aber wir haben ihn wieder auf Vordermann gebracht und dekoriert. Seitdem sind wir mit Botramkot viel präsenter und beliebter. Jetzt verkaufen wir jede Nacht zwischen 45 und 75 Laibe, aber die Karte ist nach all den Jahren immer noch genauso."

Es gibt Sandwiches mit uunfflakke, koas (Käse), sjokko (Nutella), wust (luftgetrocknete Wurst) oder eitse (Ei), die zwischen 1,50 und 2,00 Euro kosten. „Wir weigern uns, die Karte zu ändern. Butter, Marmelade, alles viel zu kompliziert. Wir haben etwas Salziges, etwas Süßes, etwas mit ein bisschen Fleisch und etwas ohne Fleisch. Das reicht doch, oder? Man könnte auch sagen, dass wir die ganze Lebensmittelpyramide abdecken."

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Ein gutes Presswurstsandwich ist eine perfekte Grundlage für die nächste Bierrunde

Ich habe schon öfter vor dem Botramkot mit einem Sandwich in der Hand getanzt und wollte jetzt das Fest mal nüchtern erleben. Also habe ich gefragt, ob och eine Stunde bei den Jungs arbeiten darf und das hier ist passiert:

6.50 Uhr Als ich ankomme, trommeln ein paar Leute vor dem Wohnwagen. Ein Typ haut sich zwei Eier gegen die Stirn, das ist hier vollkommen normal. „Eins von vierzig Eiern ist roh", meint Nicolas. „Jeder hier weiß, dass man sich das Ei zuerst gegen die Stirn hauen muss, denn wer das rohe Ei erwischt, bekommt eine alte Pornozeitschrift aus den 60ern, 70ern, 80ern oder 90ern—ein echtes Sammlerstück aus der Kategorie extrem große Brüste."

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Die Chance auf ein Vintage-Schmuddelheft: 1 von 40 Eiern ist roh

Der Typ hat kein Glück, nichts tropft von seiner Stirn. Nicolas packt das Ei mit Schale auf das Sandwich. „Du darfst es selbst schälen", sagt er ihm und reicht noch Salz dazu. Der Junge schaut sein Sandwich verwirrt an, findet es aber in Ordnung. „Manche kaufen 15 Eier, eines nach dem anderen, nur um die Zeitschrift zu bekommen. Einer hat auch mal neun Stück hintereinander gegessen—mit Schale—, bis er das rohe erwischt hat."

7.00 Uhr Ich schaue mir das Innere des Wohnwagens an: An jeder Wand kleben Bilder von Frauen mit unangenehm großen Titten.

„Als wir den Wohnwagen endlich hatten, haben wir jemanden in Amsterdam getroffen, der eine wunderbare Sammlung an Pornoheften geerbt hat. Ihm war das ein bisschen peinlich, also hat er uns ein paar Kartons geschenkt." Nicolas besteht aber darauf, dass sie bei ihrer Auswahl feministisch, oder zumindest gleichberechtigt, vorgehen: „Jedes Foto muss für Männer wie Frauen gleichermaßen unattraktiv sein."

7.05 Uhr Nicolas erklärt mir, was ich tun muss, wenn Kunden sagen, dass sie auf irgendwas allergisch sind: „Überhaupt nichts. Da ist das Schild. Wir haben eine Genehmigung vom Fleischkontrolleur. Das einzige, was man anscheinend tun muss, wenn man so einen Imbiss hat, ist ein Schild aufzustellen, auf dem „Allergie" steht."

Das Schild liest sich nicht gerade höflich: „An alle mit Allergien: Ihr könnt das Personal, das euch gerade das Sandwich macht, genau jetzt fragen, aber eigentlich wäre es uns lieber, wenn ihr uns in Ruhe lasst und euch etwas anderes kauft, oder bringt eure eigenen Sandwiches in einer Dose mit zusammen mit einem Kinderjoghurtund einer Capri Sonne mit, damit wir uns eure neurotischen Beschwerden nicht anhören müssen, denn darauf reagieren wir nämlich allergisch. Danke."

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Wer Gemüse auf seinem Sandwich will, bekommt einfach ein Stück Zimmerpflanze

7.10 Uhr Ich setze mich in einen Stuhl neben Barbara, Nicolas' Kollegin, die mir heute alles zeigen wird, weil Nicolas zu sehr damit beschäftigt ist, dem Mädchen eine Massage zu geben, das er gestern Nacht hier am Wohnwagen kennengelernt hat. „Es ist nicht mein Aussehen, was die Frauen so attraktiv finden", meint er und sie gibt ihm einen Zungenkuss.

Mein erster Kunde: Er bestellt ein buutram met uufflakke. Barbara bringt mir gleich zwei Dinge bei: Er bekommt das Sandwich nur, wenn er botram richtig aussprechen kann („Es heißt botram, nicht buutram."), und wenn er wartet, bis die Frauen neben ihm bestellt haben, denn Höflichkeit ist hier ziemlich wichtig und Frauen haben immer Vorrang.

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Ich packe eine der glitschigen Wurstscheiben auf eine Scheibe Brot, streiche ordentlich Senf darüber und gebe es meinem ersten Kunden. Plötzlich kommt Nicolas und meint: „Vielleicht noch ein bisschen Wasser dazu?" Mit einem Wassersprüher macht er die Kunden in der ersten Reihe nass, alle rasten aus.

7.15 Uhr Mit einem Handstaubsauger saugt er das Dekolleté einer Kundin ab, ihr Freund motiviert ihn noch: „Schön tief, damit auch jeder Krümel wegkommt. Wenn ich nachher ins Bett gehe, habe ich keinen Hunger darauf mehr." Ein anderes Mädchen fragt Nicolas, ob er das auch bei ihr machen kann. Überraschenderweise fühle ich mich überhaupt nicht unwohl, denn ich bin auf dem Vlasmarkt und das hier ist das Gentse Feesten. Schamgefühl kennt hier keiner.

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7.20 Uhr Drei Laibe Brot sind schon weg. „Zu der Zeit, als Walter De Buck das Gentse Feesten das erste Mal organisiert hat, gehörte es noch zur Tradition, uufflakke zu essen. An den Imbisständen in Gent konnte man sich eine Portion Pommes mit einer Scheibe uufflakke obendrauf kaufen, dann ist das Aspikgeschmolzen und das Fleisch hat sich mit den Pommes vermischt. Heute wird das nicht mehr verkauft. Dass so viele Betrunkene es hier essen, macht das Ganze noch lustiger."

Wir verteilen Rubbelkarten an alle. „Während der ersten Tage des Stadtfests hatten wir Preise drin versteckt, zum Beispiel „Du hast eine entspannende Massage gewonnen." Nicolas hat gerade letzteres erfüllt. Jetzt geben wir den Leuten Karten, auf die freiwillig sie ihre Telefonnummer schreiben könnnen, die wir dann später an andere Kunden verteilen. Sie können sich dann ein paar Nachrichten schreiben und hier auf dem Vlasmarkt ein Traum-Date haben", meint Barbara. Ein frühmorgendliches Blinddate zu den lieblichen Klängen von Major Lazer ist offensichtlich voll romantisch.

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Auf dieser Rubbelkarte: „Zeit, nach Hause zu gehen und zu schlafen."

2013 hatten sie schon so etwas Ähnliches gemacht: „Die Frauen konnten ihre Slips ausziehen und bekamen ein gratis botram. Dann haben sie ihre Telefonnummer in die Slips geschrieben und sie in eine Art Lostrommel geworfen. Jungs konnten dann eine Kugel ziehen und sie dann kontaktieren. Jedes Jahr zeigt sich, dass Frauen viel aktiver sind als die Männer.

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7.27 Uhr Nicolas beugt sich über das Brot, um mit einer Lesbe zu knutschen. Alle anderen schauen gebannt zu. Einer ruft uns zu, dass wir das langsamste Personal der Welt sind und Barbara schreit nur zurück: „Du lügst, wir haben gerade nur zu tun."

7.30 Uhr Ein Typ irgendwas über 30 schreit mich an, nachdem wir ihm drei Sandwiches mit zerdrückten Eiern für 4,50 Euro in die Hand gedrückt haben. „Sollen wir dir etwa ein Omelett machen? Freundlichkeit ist bei uns nicht. Wir sind kein Imbiss, eher eine getarnte DIY-Werkstatt. Hier musst d u alles selbst machen", erklärt ihm Nicolas mit stoischem Blick. Leicht verwirrt drückt er seine Finger in die Sandwiches undbetont noch mal, dass er sie nicht will. „Dann nimm sie halt so", meint Barbara. „Wir sind nicht hier, um Gewinn zu machen. Kundenservice gibt's bei uns aber auch nicht und wir verwöhnen auch keine anspruchsvollen Kunden."

7.38 Uhr

Ein betrunkenes Mädchen fragt nach einer gratis Scheibe Käse. Sie wird weggeschickt.

7.40 Uhr Ein 18-jähriger Junge fragt mich, ob ich mit ihn auf ein Hotelzimmer gehe. Ich gebe ihm eine der Rubbelkarten mit einer anderen Telefonnummer. Aus dem Augenwinkel bekomme ich mit, wie Barbara einen Kunden mit Deo einsprüht. „Das mache ich nur selten, wenn jemand extrem stinkt."

7.45 Uhr Zum 35. Mal fragt das betrunkene Mädchen nach einer Scheibe gratis Käse.

7:46 AM Ein Junge hat mitbekommen, dass es für Titten gratis Essen gibt. Er zieht seine Hose runter und wir können nicht anders, als ihm ein kostenloses uufflakke-Sandwich zu geben.

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7.50 Uhr Ein Kunde bestellt bei mir einen Big Flac. Der steht nicht auf der Karte, aber alle im Team springen sofort auf. „Ein Big Flac ist wie ein Big Mac, nur mit uufflakke", erklärt mir Nicolas. „Nur wahre Kenner wissen davon." Also bauen wir einen Turm aus Brot, Senf, Käse, uufflakke, Brot, Senf, Käse und uufflakke. „Geh nicht allein nach Hause, ich glaube, du brauchst jemanden, der dich führt, das hier ist ein ganz schön harter Brocken. Und du wirst morgen viel Spaß auf dem Klo haben", meint Nicolas.

7.55 Uhr Ein Typ hat gerade sein erstes botram mee uufflakke gegessen. Nach drei Bissen wirft er es auf den Boden: „Ich mag den Geschmack, aber es sieht so widerwärtig aus, dass ich es einfach nicht essen kann." Nicolas stellt sich schützend vor sein Fleisch: „Es sieht nur ekelhaft aus, weil die Sonne scheint, nachts sieht man das Fleisch gar nicht."

8.00 Uhr Die Musik ist aus. „Ab jetzt ist es hier ein bisschen wie in The Walking Dead. Alle Vlasser bewegen sich nur noch wie Zombies, die riechen können, dass wir noch Menschen sind. Sie stolpern auf unser Fenster zu und wenn man der letzte Stand ist, an dem noch was verkauft wird, wird man sie auch nicht los." Wir schließen das Fenster, dabei müssen wir ein paar Arme und Köpfe wegdrücken. Die Zombies klopfen weiter an den Wohnwagen und geben ächzende Laute von sich.

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Am letzten Tag des Gentse Feesten gibt es für alle zum Trost Teddybären, weil der Spaß jetzt vorbei ist

Ich schaffe es irgendwie aus der Hintertür raus und bahne mir meinen Weg durch die Massen nach Hause. Nach nur zwei Schritten kippt mir einer der Kampftrinker, der definitiv am Ende ist,Irish Coffee über mein Shirt. Ein paar Meter weiter finde ich einen 20-Euro-Schein auf dem Boden. Ich lächle, denn das hier ist so typisch für den Vlasmarkt: Hier kommen das Hässliche und das Schöne, das Grobe und das Fantastische zusammen.