Mit grünem Känguru auf der Brust: Die kiffenden Ultras von Bohemians Prag
All photos by Mark Pickering

FYI.

This story is over 5 years old.

bohemians 1905

Mit grünem Känguru auf der Brust: Die kiffenden Ultras von Bohemians Prag

Sie rauchen im ganzen Stadion Gras, skandieren linke Parolen und haben von Australiern den Namen „Bohemians" und das Känguru als Wappentier verpasst bekommen. Wir waren in Prag im grünen Block.

In Fußballstadien herrscht für gewöhnlich ein buntes Gerüche-Potpourri: Von Rauch über Bratwurst und Bier bis Pisse ist alles dabei. Im Stadion des tschechischen Fußballklubs Bohemians Prag 1905 gibt es darüber hinaus noch eine weitere olfaktorische Konstante, die alles andere zu übertünchen vermag: Weed.

Der Verein—von dem hierzulande höchstens Insider schon mal etwas gehört haben—spielt in der ersten tschechischen Liga (der „Synot Liga"),wo er sich mit den deutlich bekannteren Lokalrivalen Slavia und Sparta Prag messen muss. Obwohl der Klub für ziemlich einschläfernden Fußball steht (so wie übrigens der gesamte tschechische Fußball), sind seine Anhänger erste Sahne. Bohemians-Fans—überwiegend biertrinkende, jointrauchende Freidenker—mögen zwar auch Fußball, vor allem haben sie aber Bock auf Party.

Anzeige

Das Spiel, das ich mir heute geben werde, verspricht Abstiegskampf pur: Bohemians, letztes Jahr noch Achter, aber in dieser Saison tief im Tabellenkeller, gegen den Tabellenletzten Baník Ostrava. Der Verein nahe der polnischen Grenze ist bekannt für seine zahlreichen rechten Hooligans. Beide Fanlager, werde ich vorgewarnt, würden heute Abend nichts anbrennen lassen (bis auf Bengalos), und werden—jeder auf seine Weise—versuchen, im Stadion das Heft in die Hand zu nehmen.

Bohemians wurde 1905 als AFK Vršovice gegründet. 1927 tourte der Verein als offizieller Vertreter Böhmens zwei Monate lang durch Australien. Da die Australier mit dem begriff Vršovice nichts anfangen konnten, ging der Klub unter der Bezeichnung Bohemians an den Start.

Nach der Rückkehr entschied man sich dazu, Bohemians als Vereinsnamen weiterzuführen. Und weil die Regierung von Queensland dem Verein als Abschiedsgeschenk zwei Kängurus mit auf den Weg gab, ziert bis heute ein Beuteltier das Vereinswappen.

Das Bohemians-Stadion hat rein gar nichts mit den modernen Spielstätten von Slavia oder Sparta Prag zu tun, sondern wirkt vielmehr wie eine kleine baufällige Bruchbude, die auf den Namen Ďolíček (zu Deutsch: Mulde) hört. Die Drehkreuze vor dem Stadion erinnern an deutsche Zweitligavereine aus den 80ern, die Haupttribüne fasst gerade mal 3.000 Plätze und sieht aus, als wäre sie mit einem riesigen Pritt-Stift zusammengefügt worden. Auf ihr, völlig unberührt von der bescheidenen Umgebung, steht ein tobendes Meer von Fans in Grün und Weiß, die entweder ein Bier, eine riesige Fahne oder einen Joint halten (oder eine Kombination daraus).

Anzeige

„Ich gehe seit 2003 regelmäßig zu Bohemians", erzählt mir David Mlady kurz vor dem Anstoß. „Seit meinem ersten Tag im Stadion holt hier jeder in der Halbzeitpause seinen Joint raus. Ich habe noch kein Spiel erlebt, wo im Abstand von einem Meter oder weniger nicht gekifft worden wäre."

Wohl um mir das zu verdeutlichen, holt David gleichmal einen Joint raus und reicht ihn netterweise rum. Gras ist in Tschechien nicht illegal, auch wenn die Gesetzgebung in dieser Hinsicht etwas schwammig ist. Es gilt nämlich die Eigenbedarf-Regel. Und natürlich steht nirgendwo geschrieben, wie viel das genau ist—ein Schlupfloch, das sich Bohemians-Fans nur allzu gern zu Nutze machen. Eines ihrer bekanntesten Lieder heißt passenderweise auch „Kouříme trávu" („Wir rauchen Gras").

Ich will von David wissen, wo die Klos sind, worauf er nur in Richtung eines Hügels neben der Tribüne zeigt. Ich mache mich prompt auf den Weg und werde, dort angekommen, von einem Wandgemälde begrüßt, das eine kiffende Zeichentrickfigur zeigt. Ich stelle mich in eine lange Reihe von sich erleichternden Männern und werde mir sofort über die Bizarrheit der Situation bewusst: Ich halte ein Bier in der einen Hand, pisse einen Hügel runter und kann, wenn ich mich umdrehe, weiterhin das Spiel verfolgen. Im Vergleich zu den vielen durchtechnologisierten, digitalen Multizweckarenen dieser Welt fühlt sich das Ďolíček prähistorisch und befreiend zugleich an.

Anzeige

Dann wird auch Fußball gespielt, und die Fans in Block B brüllen, was die Stimmbänder hergeben. Begleitet werden sie dabei von lauten Trommelschlägen. Natürlich darf auch ein Vorsänger nicht fehlen (siehe erstes Foto). „Wir sind eine große Familie", erklärt mir Dominik Jarkovsky, seit Kindheitstagen schon Bohemians-Fan. „Auf der Haupttribüne kannst du Frauen mit kleinen Kindern oder auch ältere Herrschaften antreffen. Es ist also nicht so wie bei Sparta- oder Baník-Heimspielen, wo man überall Glatzen sieht!"

„Die Fans sind außerdem extrem loyal", schaltet sich Petr Homolka ein, dessen Wohnung direkt neben dem Stadion steht. „Vor allem auch zu unserem Ďolíček. Als der Verein vor ein paar Jahren fast pleite ging, waren es auch die Fans, die das Stadion aus eigener Tasche gerettet haben."

Laut Dominik gehören den Fans mittlerweile rund 20 Prozent am Verein. Doch wie lässt sich eine solche Solidarität erklären? Warum hält man einem Verein die Treue, bei dem man einen Hügel runterpisst? Die Antwort, wird mir von mehreren Seiten erklärt, hat unter anderem mit Politik zu tun. Denn die Ultras bei Bohemians sind überzeugte und leidenschaftliche Antifas.

„Vereine wie Sparta und Baník haben eine Menge rechter Fans", erklärt mir David. „Die Tatsache, dass sie traditionell auch Neonazis anlocken, hat automatisch dazu geführt, dass andere Vereine für anders denkende Personen interessant wurden. Eine Vielzahl unserer Fans hört beispielsweise gerne Ska, Punk und Reggae und hat sich dem Kampf gegen jede Form von Rassismus verschrieben."

Anzeige

Der sozialistische Fanclub, der den US-Fußball vor Neonazis bewahrt hat

Die ideologischen Grabenkämpfe werden nach dem Führungstreffer für Bohemians deutlich, als Baník-Anhänger—viele von ihnen oberkörperfrei und mit leuchtenden Glatzen—ein riesiges Plakat mit folgender Botschaft ausrollen: „Alle Hools Europas gegen muslimische Pädophile und Ziegenficker". Abgerundet wird das Ganze mit dem charmanten Nachtrag: „Hooligans fuck Islam."

Ich bin entsetzt über das, was ich sehe. Die Bohemians-Fans sind hingegen alles andere als sprachlos, sondern kontern mit einer Salve von Kraftausdrücken. Dann stehen sie gemeinsam auf und zeigen dem Gästeblock den Mittelfinger.

Es ist schön zu sehen, dass sich Fußballfans so deutlich gegen Fremdenfeindlichkeit positionieren, aber es werden doch kaum alle Bohemians-Anhänger überzeugte Linke sein? „Natürlich nicht", meint David. „Die Flaggen und Plakate unserer Ultras sind zwar voller Ramones- und Grasverweise, das heißt aber nicht, dass hier alle Guardian-lesende Liberale sind. Auch bei Bohemians gibt es nationalistisch eingestellte Fans oder auch Anhänger, die sich gar nicht für Politik interessieren."

Als die Heimmannschaft das 2:0 erzielt, wird es immer ruhiger im Baník-Block, und nach dem dritten Treffer für Bohemians kennt der Jubel im Stadion kein Halten mehr (daran ändert auch der später Anschlusstreffer von Baník nichts).

Als der Schiedsrichter das Spiel schließlich abpfeift, verwandelt sich das Ďolíček zu einem Meer aus grünen Bengalos.

„Und jetzt?", will ich von David wissen. „Jetzt werden die Baník-Fans auf dem Parkplatz aufgemischt?"

„Niemals", lächelt er. „Jetzt geht's schnurstracks in die nächste Kneipe, wo wir uns einige Bierchen gönnen werden—und vielleicht auch den einen oder anderen Joint."