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Warum es besser ist, dass Derrick Rose und die Bulls sich getrennt haben

Lokalmatador Rose war Chicagos Hoffnungsträger. Am Erwartungsdruck zerschellten nicht nur seine Bänder. Wird der Druck bei den Knicks wirklich geringer sein?
Photo by Mike DiNovo-USA TODAY Sports

Es ist fast schon eine Schlagzeile für sich wert, dass die Derrick-Rose-Schlagzeilen der letzten Woche mal nichts mit seiner Gesundheit zu tun hatten. Schließlich hat sein Körper seinem unfassbaren Talent in den letzten Jahren regelmäßig einen Strich durch die Rechnung gemacht. Und die einzig wirklich relevante Frage hinsichtlich seiner Karriereplanung ließ sich runterbrechen auf „Wird er jemals wieder so gesund werden, um sein Potential voll ausschöpfen zu können?" Die letzte Saison war ein deutlicher Schritt nach vorne. Insgesamt 66 Mal konnte er für die Bulls auf dem Parkett spielen—so viel wie seit seiner MVP-Saison 2010/11 nicht mehr. Seitdem hat seine Krankengeschichte mit Kreuzband- und Meniskusrissen und dem Verpassen von fast zwei kompletten Spielzeiten fast eine eigene kleine Nachrichtenbranche ins Leben gerufen. Jetzt also mal Schlagzeilen über Derrick Rose, die eindeutig sportlicher Natur sind. Er wechselt zu den New York Knicks. Und alle fragen sich wie und warum.

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Sein Abschied aus Chicago, der für Bulls-Verantwortliche und -Fans vor nicht allzu langer Zeit noch ausgeschlossen schien, war am Ende einfach nur noch unausweichlich. Dabei war das, was zwischen ihm und Chicago lief, etwas wirklich Besonderes. Die Kombi aus Franchise-Player und Lokalmatador ist eine seltene—vor Rose konnte nur LeBron James diese Beschreibung für sich beanspruchen. Für viele aus der Windy City erschien Rose wie ein Gegenentwurf zu James. Und zu seinen besten Zeiten vielleicht noch etwas mehr—er war (gefühlt) der Einzige in der Eastern Conference, der einen Durchmarsch vom King aufhalten und die Bulls auf den NBA-Thron zurückführen konnte. Dieses Gefühl wirkt heute genauso realitätsfern wie traurig, aber damals gab es reichlich Gründe für die Vorschusslorbeeren.

Seitdem sich das Schicksal gegen ihn gewandt hat, wurde der Haufen gescheiterter Träume, den er, sein Klub und eine ganze Stadt zu stemmen hatten, buchstäblich unerträglich. In diesem Sinne ist Rose' Abschied aus Chicago eine echte Erleichterung. Vier Spielzeiten voll Hoffnung auf ein Anknüpfen an seine brillanten Anfänge wurden zu vier Spielzeiten voll immer grotesker werdender Verletzungen. Dank Rose wissen wir jetzt auch, dass man sich sogar die Augenhöhle brechen kann und deswegen das verdunkelte Schlafzimmer für knapp einen Monat nicht verlassen darf, weil das Auge das Tageslicht nicht ertragen würde. Dank Rose wurden auch die stumpfesten College-Bros zu kleinen Sportmedizinexperten.

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Rose ist schon seit langer Zeit das Ziel ungefragter hobbypsychologischer Analysen. Und wer hätte es gedacht: Weitergeholfen haben die ihm auch nicht. Die anfängliche Liebesbeziehung war in letzter Zeit immer ungeduldigeren und bissigeren Sprüchen in lokalen Radiosendungen und Tageszeitungen gewichen. Die Kolumnisten kamen zum Schluss, dass Rose ganz einfach die nötige Stärke fehlt, um aus Chicago eine Meistermannschaft zu formen.

So sehr haben die Bulls und Rose in letzter Zeit noch zusammengepasst. Foto: Mike DiNovo/USA TODAY Sports

Was an diesen Worten am meisten geschmerzt hat, war nicht der gehässig-ruppige Unterton—als Afroamerikaner, der in einem der ärmsten Stadtteile Chicagos aufgewachsen ist, war der vorprogrammiert. Vielmehr war es—neben der Tatsache, dass es zumindest rein körperlich bezogen gestimmt hat—, dass er dem aufgeladenen Genörgel an seiner Person tatenlos zuschauen musste. Selbst als er spielen konnte, war nicht nur seine Einsatzzeit limitiert, sondern auch seine Effizienz. Er hat es nicht mehr geschafft, als gefürchtet dynamischer Spielmacher auf dem Parkett zu zaubern. Derrick Rose beim Zug zum Korb zuzuschauen heißt schon lange nicht mehr, seine traumhaften Scorerqualitäten zu beobachten, sondern die Angst zu durchleben, dass gleich wieder etwas in seinem fragilen Körper kaputtgehen könnte. Jeder Ballbesitz von Rose wurde zu einer Lektion in Fear Management. Gleichzeitig soll das nicht heißen, dass nicht auch in jüngster Vergangenheit sein brillantes Können aufgeblitzt wäre.

Die Bulls hatten schon im letzten Jahr das Kapitel Tom Thibodeau beendet, der Trainer der Rose-„Dream Era". Jetzt haben sie also auch mit Rose schlussgemacht. Und Rose mit den Bulls. Im Austausch kommen Robin Lopez, José Calderón und Jerian Grant, drei Spieler, die der neue Trainer Fred Hoiberg versuchen wird, in sein schnelles, breites Spielsystem zu integrieren. Doch diese Spielweise wird wohl nur einem Spieler—dem jungen Grant—besonders entgegenkommen. Dennoch ist der Gegenwert, den die Bulls für Rose bekommen haben, höher ausgefallen als erwartet. Denn Derrick Rose, das war in den letzten Jahren mehr Existenzkrise als Basketballspieler. Lopez ist ein nützlicher Spieler mit einem guten Vertrag, Calderón ist einfach nur Calderón (was bis vor drei Jahren für Bulls-Fans noch bessere Nachrichten gewesen wären) und wie gut Grant wirklich ist, muss man noch schauen. Das spielt aber eigentlich keine Rolle. Der Punkt ist nämlich, dass in Chicago endlich eine neue Ära eingeläutet werden kann.

Die Bulls werden diesen Sommer versuchen, einen neuen Star-Point-Guard in die Windy City zu locken. Sie werden aber keinen finden, der den Derrick Rose ersetzen kann, der er mal war—oder der er hätte werden können. Rose selber war für diese Rolle auch nicht mehr wirklich qualifiziert. Die letzten Jahre ähnelten einem langsamen, schmerzhaften Abgesang. Der frühere Volksheld und Überflieger war plötzlich ganz erdgebunden, verwundbar (lies: verwundet) und eindeutig nicht übermenschlich. Damit Rose wieder an alte Glanzzeiten anknüpfen kann (auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür so dünn wie sein Kreuzband ist), und damit auch die Bulls wieder mehr sein können als nur ein trauriger geplatzter Traum, musste Rose gehen—nicht nur weg aus Chicago, sondern auch weg von den riesigen Erwartungen, die einst einer Prophezeiung glichen. Seine neue Aufgabe in New York—bei einem Team, das seit Jahren im Chaos versinkt—wäre selbst für einen Rose in MVP-Form eine schwere Bürde. Doch auch das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass den Bulls und Rose klar war, dass es so nicht weitergehen konnte. Und dass ein Weggang von Rose auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung war.