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brunch

Alleine brunchen, ohne sich wie ein Loser zu fühlen

Die meisten Menschen fühlen sich unsicher, wenn sie alleine essen gehen. Das habe ich schon vor Jahren hinter mir gelassen. Ich kann so alle um mich herum beobachten, studieren, belauschen und darüber Notizen machen.
Photo by Katherine Lim via Flickr

Ich weiß, dass das schon längst bekannt ist, aber ein Leben ohne Brunch ist kein Leben. In den letzten Jahren hat sich das Brunchen ziemlich verändert und ist heutzutage mehr als nur Frühstück zur Mittagszeit. Der Brunch ist eine verbindliche gesellschaftliche Zusammenkunft von gleich denkenden Menschen. Brunchen ist die neue Kirche, wegen den Kartoffeln aber viel besser. Es fühlt sich zwar echt gut an, wenn ich um 10 Uhr morgens eine SMS von Freunden bekomme, die sich mit mir zum Brunch treffen wollen, aber das Ganze alleine zu machen, hat einen noch spezielleren Touch.

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Nehmen wir einfach mal diesen Sonntagmorgen als Beispiel: Ich bin aufgewacht und sah aus wie menschgewordene Kotze. Ich hatte die Nacht zuvor viel zu viel getrunken und war jetzt am verhungern. In so einem Fall habe ich wirklich nicht die Zeit und die Energie, Freunde zu finden, die mit mir essen wollen. Aber nicht nur das; wenn ich mich mit Bekannten treffe, dann ist eine Dusche und gutes Aussehen unumgänglich. Ohne Freunde kann ich weiterhin ziemlich scheiße aussehen und im Grunde meine Schlafsachen beim Besuch im Brunch-Lokal um die Ecke anlassen.

Ich betrete den Laden und mir fallen sofort die Massen an jungen Müttern auf, die sich in ihre längsten und schönsten Kleider geschmissen haben. Ihre großen Sonnenhüte und alkoholfreien Mojitos schreien förmlich: „Ich bin vielleicht Mutter, kann aber immer noch Spaß haben." Links von mir befindet sich eine Gruppe Bros mit rückwärts aufgesetzten Caps—sie lassen den abgefahrenen Scheiß, der die Nacht zuvor abgegangen ist, noch mal Revue passieren und essen dabei Frühstücksburritos. Ich setze mich in die Nähe von einem Typen und einem Mädchen, die wahrscheinlich gerade einen One-Night-Stand hatten und sich jetzt bemühen, echtes Interesse aneinander zu zeigen. Zumindest noch für eine weitere Stunde. Darum ist alleine sein so schön. Ich kann jede Person in meiner Umgebung beobachten und ihr Handeln untersuchen. Ich kann Unterhaltungen belauschen und vielleicht sogar Notizen machen. Ich bin die Jane Goodall des Brunchens.

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Brunchen ist die neue Kirche, wegen den Kartoffeln aber viel besser.

Leute neigen zur Unsicherheit, wenn sie alleine essen gehen. Das habe ich schon vor Jahren hinter mir gelassen und mein Leben hat sich seitdem deutlich verbessert. Deine Zweifel und deine Sorgen, was die Leute über dich denken könnten, sind (eigentlich) immer unbegründet. In Wirklichkeit interessieren sie sich einen Scheißdreck für dich. Niemanden kümmert's, dass du alleine unterwegs bist. Niemand denkt, dass du ein Loser bist. Setz dich einfach hin und sag ‚Halt die Schnauze!' zu deinem Gehirn. Nimm ein Buch mit (falls du so etwas noch liest) oder beschäftige dich mit deinem Handy. Oder mach nichts davon und setz dich einfach hin. Beschäftige dich mit dir selbst und denke über all die Fehler nach, die du dieses Wochenende gemacht hast. Genau das mache ich nämlich gerade. Mein Rührei, meinen Toast und meine Hash Browns habe ich schon bestellt. Daraus setzt sich übrigens der beste Brunch zusammen. Zwar lässt man sich leicht von dem ganzen „Lunch"-Teil des Brunchens ablenken, aber Frühstück ist verdammt noch mal die beste Mahlzeit des Tages. Eier und Hash Browns—wegen diesen Köstlichkeiten bin ich stolz, Amerikanerin zu sein. Wir haben das Frühstück perfektioniert, also will ich auch nicht stattdessen einen Spinatsalat haben. Jetzt warte ich auf mein Essen und versuche, mich daran zu erinnern, mit wem ich gestern Nacht alles geredet habe und wie ich überhaupt nach Hause gekommen bin.

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Beschäftige dich mit dir selbst und denke über all die Fehler nach, die du dieses Wochenende gemacht hast. Genau das mache ich nämlich gerade.

Ein paar Minuten verstreichen und ich erinnere mich an eine Taxifahrt spät in der Nacht. So langsam kommt alles zurück und ich weiß wieder, wie jemand Salsa auf meine Haare verschüttet hat. Mein Essen wird gebracht—ich lange voll zu und vergesse dabei kurz, dass ich mich in der Öffentlichkeit befinde. Sorry Leute, aber ich brauche jetzt Kohlenhydrate und Fett. Das sind die einzigen beiden Dinge, die etwas gegen diesen Kater ausrichten können. Eine Familie fragt mich, ob ich den Stuhl brauche, der noch an meinem Tisch steht. Natürlich brauche ich ihn nicht. Ich lächle, überlasse ihnen den Stuhl und rette damit ihren Brunch. Ich bin eine Heldin. Ich esse weiter wie ein Schwein und sage mir selbst noch einmal, wie schön es ist, dass mich keiner meiner Freunde jetzt so sieht.

Ich esse auf und bezahle elf Euro für Essen, das ich auch leicht zu Hause hätte machen können. Heute habe ich mir aber mal was gegönnt und drei Euro für frischgepressten Orangensaft ausgegeben. Es fühlt sich gleichermaßen idiotisch und richtig an, so viel Geld für ein Glas Saft auf den Tisch zu legen. Kaffee, Orangensaft, Eier—genau das Richtige, um in den Tag zu starten.

Jetzt gehe ich nach Hause und werfe mich für ein paar Stunden vor den Fernseher.

Das ist das Schöne am alleine Brunchen. Lass deine Freunde ab und an mal weg und geh das späte Frühstück als Einzelkämpfer an. Zeig dich unbeeindruckt, sei stolz und seh' dabei ruhig scheiße aus.