Als ein Videospiel meinen Schließmuskel besiegte

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Als ein Videospiel meinen Schließmuskel besiegte

'Resident Evil 7' in Virtual Reality ist so verdammt furchterregend, dass einem das ganze Leben an den Augen vorbeizieht – besonders die ganzen Horror-Momente.

Bilder Screenshots vom Autor 'Resident Evil 7' (c) Capcom

Was kann man zum aktuellen Stand von Virtual Reality schon sagen? Es ist noch ein langer Weg, aber es gibt bereits Unglaubliches zu erleben. Ich weiß nur, dass meine Freundin mit den bunt leuchtenden PSVR-Controllern in den Händen und dem blinkenden Headset am Kopf wie eine sexy Gladiatorin aus TRON aussieht. Und ich kann mit Sicherheit behaupten, dass ich mich selten so schlimm gefürchtet habe – egal, ob bei Filmen, Büchern oder beim Zahnarzt – wie bei Resident Evil 7 mit diesem so verflucht immersiven VR.

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Die Grafikqualität wirkt aktuell eher noch so, als ob man sich zwei Röhrenfernseher samt Nintendo 64 ans Gesicht geschnallt hätte. Dabei ist Resident Evil 7 gerade im normalen Spielmodus echt außerordentlich schön. In VR verschwimmt und zerbröselt dieser hohe optische Standard aber, sobald man die Kopfhörer aufsetzt und gefühlte Millimeter vorm Gesicht eine bleiche, kreischende Fratze messerfuchtelnd hochschnellt. Das ist plötzlich alles unwichtig.

Das Gefühl ist unbeschreiblich, wenn du deinen tatsächlichen Kopf neigst, um creepy halb-offene Möbelstücke zu inspizieren oder um die Ecke im Flur zu spähen. Schlurft der wahnsinnige Axtmörder eh nicht gerade durch den Nebenraum?

Es gab Abschnitte in diesem Spiel, in denen ich beinahe die Kontrolle über diverse Schließmuskel verlor und für einige Minute wimmernd in einer dunklen Ecke des Horrorhauses verschnaufen musste. Keine Ahnung, ob das nun bedeutet, dass ich offiziell zu alt für das kommende Gaming-Zeitalter geworden bin, aber den Rest der Geschichte musste ich ohne VR-Headset bewältigen.

Das Gefühl ist unbeschreiblich, wenn du deinen tatsächlichen Kopf neigst, um creepy halb-offene Möbelstücke zu inspizieren oder um die Ecke im Flur zu spähen

Apropos Geschichte: Resident Evil 7 vereint in der seinen einige der schönsten Ideen und Konzepte des großen weiten Horror-Genres. Die Jump-Scares sind wie erwähnt eher billige Schockeffekte, wirken aber natürlich in Virtual Reality trotzdem um Welten grauenhafter. Da hätte ich lieber den Clown Pennywise als Proktologen als die ganze Geschichte mit der VR-Brille durchspielen zu müssen.

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Die Handlung ist fast ausschließlich auf ein gruseliges Anwesen mit viel sumpfigem Bayou-Flair in den amerikanischen Südstaaten konzentriert. Da muss der eine oder andere Horrorfreund vielleicht an Psychoterror in Richtung Deliverance oder Texas Chainsaw Massacre denken.

Letzteres scheint in Resident Evil 7 mit der Figur des unverwüstlichen Jack sehr stark zitiert zu sein. Als wäre er gerne so ebenso unvergesslich wie "Leatherface" aus Massacre, reißt er Wände ein, vollführt Motorsägenakrobatik und überhaupt nervenzerreißende Auftritte. Zum Ende hin wird Jack eher lächerlich und verliert seinen psychopathischen Charme als Antagonist, aber den Entwicklern geht generell schnell der narrative und dramaturgische Saft aus.

Jack ist jedenfalls der Papa und das Oberhaupt einer verstörenden, zombifiziert überzeichneten Familie, was extrem an Redneck-Horrorklassiker erinnert. Am Esstisch mit Gedärmen und Mutanten herrscht anfangs noch heile Welt – und echt hochqualitativer Schrecken in subjektiver Sicht, besonders für ein Videospiel.

Da hätte ich lieber den Clown Pennywise als Proktologen, als die ganze Geschichte mit der VR-Brille durchspielen zu müssen.

Der Body-Horror in Resident Evil 7 liebäugelt auch gekonnt mit Filmen wie The Thing. Einen aufgeblähten, sich monströs verformenden Fleischhaufen als Gegner zu haben oder die ekelhaft verdrehten Gliedmaßen, mit denen Tante Marguerite an den faulig morschen Holzwänden entlang krabbelt, lassen sogar das Kind von Der Exorzist ein bisschen alt aussehen.

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Ebenfalls wie bei Carpenter wird Musik oder besser die "Tonkulisse" sparsam, gezielt und dadurch äußerst effizient eingesetzt. An einer Stelle des Spiels reichte das leichte Anschwellen einer Bassnote aus, um mich zu überzeugen, die Kopfhörer und die VR-Brille abzunehmen und schnell eine Folge Adventure Time zu schauen. Schwitzend.

Viele Kritiker sprechen bei diesem neuen Teil der Resident Evil-Reihe von einer "Rückkehr zur Form" und ähnlich nostalgischen Verherrlichungen. Ich muss sagen, auch wenn Atmosphäre, die unsinnigen Raumrätsel –  wie Schattenspiele, um Geheimtüren zu öffnen – und das Inventar-Management, mit den Kräutern und der ganzen Bastelei, stark an die ersten beiden Teile erinnern, sind das doch eher nette Zitate.

Die fixen Kameraeinstellungen und die dadurch unlogische Steuerung – kurz, die unintuitven "Tank Controls" – des ersten Resident Evil haben mich damals beinahe in den Wahnsinn getrieben. Im neuen sind die bereits erwähnten, detailreichen VR-Möglichkeiten, die Spielwelt zu erleben und jede Ritze und Winkel auszukundschaften, hingegen das absolute Gegenteil zum ersten Klassiker.

Das leichte Anschwellen einer Bassnote reichte aus, um mich zu überzeugen, die Kopfhörer und die VR-Brille abzunehmen und schnell eine Folge Adventure Time zu schauen. Schwitzend.

Der Hang zum atmosphärischen und teils surrealen Horror erinnert im Übrigen viel mehr an Silent Hill. Diese Reihe, mit ihren gefühlt hundert Titeln, ist ganz groß darin, dezent unvorstellbares Grauen zu erzeugen und dadurch rigoros Unterhosen zu beflecken. In den Silent Hill-Spielen – von der verfeindeten und leicht kleptomanischen Studio-Mama Konami – reichten oft schon Schemen im Nebel oder das Knistern des Taschenradios aus, um den Puls raufzutreiben.

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Ein Kinderlachen, ein plötzliches Klopfen oder das abstrakt alptraumhafte Design der Räume und ihre unrealistische Physik genügten vollkommen, um gänsehäutende Stimmung zu erzeugen. Ich muss Silent Hill echt mal einen ganzen Artikel der Obsession widmen – oh Gott, man stelle sich die kommende Auskopplungen in VR vor oder einfach nur P.T.! Ich habe jetzt schon weiße Haare davon.

Um diese Revue an Horrorreferenzen zu beenden: Resident Evil 7 ist cool. Im ersten Drittel jedenfalls. Es beweist definitiv, dass moderne Spiele – besonders in Bezug auf VR und gut gemachten Grusel – vereinnahmende und unheimlich eindrucksvolle Erzählwelten schaffen können. Leider verursacht dieseAngst-Achterbahn in der Egoperspektive ungefähr ab dem für Survivalspiele obligatorischen Insektengegner-Abschnitt großes Gähnen.

Die Monster erschrecken bald monoton, die Handlung wird immer unausgegorener und wirkt improvisiert. Das ist sowohl für alte Fans sowie für potentielle Neuentdecker der Reihe unbefriedigend. Die Steuerung und Spielmechanik hat auch viel Luft nach oben. Die Mystery leiert sich aus und die Action wirkt peinlich. Es ist letztlich einfach ein super Showpiece, grafisch und technisch extrem richtungsweisend. Perfekt, um Freunde mit VR zu schrecken. Bei so einer Demo dringt man dann eh nicht bis zum faden Müll vor. Jetzt bleibt nur noch die Frage: Wie krieg ich die Flecken aus dem Sofabezug?

Josef auf Twitter: @theZeffo

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