Drei Mitglieder einer Gang aus Brooklyn

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Waffen, Drogen und Pitbulls: Das harte Gang-Leben im Brooklyn nach der Jahrtausendwende

Der Straßenfotograf Boogie hat es geschafft, Zugang in die innersten Kreise der New Yorker Straßengangs zu bekommen. Für uns hat er einige der dabei entstandenen Bilder kommentiert.

Alle Fotos: bereitgestellt von Boogie; aus 'It's All Good', erschienen bei powerHouse Books

Achtung: Dieser Artikel enthält einige explizite Fotos

Die Karriere des als "Boogie" bekannten Fotografen Vladimir Milivojevich könnte vielfältiger nicht sein. Wenn er nämlich nicht gerade weltbekannte Sportler wie etwa den Olympia-Sprinter Usain Bolt oder den Fußballprofi Mario Balotelli für Hochglanz-Werbekampagnen ablichtet, konzentriert er sich vor allem auf die oftmals erschreckende Straßenkultur von Städten wie beispielsweise São Paulo oder Belgrad.

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Boogie wurde in Belgrad geboren und ist auch dort aufgewachsen. Er hatte schon von klein an mit Kameras zu tun, denn sowohl sein Opa als auch sein Vater waren Hobbyfotografen. Aber erst als sein Heimatland in den 90er Jahren im Kriegschaos versank, flammte sein Interesse für die Fotografie erst so richtig auf. Damals half ihm diese Beschäftigung dabei, sich von der Hölle auf Erden um ihn herum zu distanzieren. Laut Boogie waren die Unruhen in Serbien der Katalysator, der die Materie definierte, die er im Laufe seiner Karriere immer weiter erforschte. Dieser Prozess nahm so richtig an Fahrt auf, als Boogie anfing, in Brooklyn zu fotografieren.

Bushwick, Brooklyn, 2004

1998 gewann Boogie eine Greencard und zog nach New York. Er hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser und fotografierte nebenher weiter. Schließlich lernte er durch Zufall ein paar Gang-Mitglieder kennen, die ihn darum baten, sie mit gezogenen Waffen abzulichten. Das war Boogies Einstieg in die Unterwelt von einigen der gefährlichsten Gegenden New Yorks. Das Resultat: sein erstes Fotobuch It's All Good. In diesem Buch findet man Fotos von Mitgliedern der "Latin Kings"-Gang und anderen Banden, von Drogendealern, von Drogenabhängigen sowie von an den Rand der Gesellschaft gedrängten, mittellosen Menschen. Im Gegensatz zu vielen anderen Straßenfotografen ist Boogie ein Dokumentarist, der sich mit den von ihm fotografierten Personen wirklich beschäftigt, ein vertrauliches Verhältnis zu ihnen aufbaut und so auch Zugang zu ihren Wohnungen und Unterschlüpfen bekommt.

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"Man sagt ja immer, dass bestimmte Grenzen nicht überschritten werden sollten, aber je tiefer man reinrutscht, desto bessere Fotos kommen am Ende dabei raus. Und wer weiß denn schon, wo diese Grenzen überhaupt liegen", sagt Boogie. "Und plötzlich findest du dich inmitten des ganzen Chaos wieder und die Sache wird richtig interessant."

Boogies Meinung nach zeigen seine Fotos, dass "diese ganze Scheiße nichts Glamouröses an sich hat". Zum zehnjährigen Jubiläum veröffentlicht der Verlag powerHouse Books nun eine Sonderedition von It's All Good inklusive noch nie gesehener Fotos. Boogie hat für uns einige der provokativeren Bilder aus der aktuellen Sammlung kommentiert.

Bedford-Stuyvesant, Brooklyn, 2004

"Die Shotgun mit dem Spitznamen 'The Terminator' wird hier im Flur irgendeiner Sozialbausiedlung von den Bandanas einiger Blood-Mitglieder bedeckt. Meiner Meinung nach zeigen meine Fotos, dass diese ganze Scheiße nichts Glamouröses an sich hat. In Filmen hat dieses ganze Gang-Ding ja immer etwas Cooles oder Aufregendes an sich. Ich finde es jedoch richtig schlimm und scheiße, dass sich die Leute dort wegen 20 Dollar abknallen."

Bedford-Stuyvesant, Brooklyn, 2006

"Als ich den Gangstern das fertige It's All Good-Buch zeigte, waren sie begeistert. Sie nahmen mich dann mit in ihren Unterschlupf und präsentierten mir noch ganz anderes Zeug. Ich sagte: 'Leute, genau das hätte ich auch für das Buch gebrauchen können, warum zeigt ihr mir das erst jetzt?' Ihre Antwort: 'Mann, dafür hätten wir in den Knast wandern können. Jetzt darfst du aber alles sehen.' 2003 begann ich mit der Arbeit an der Fotoreihe und fertig war sie dann Anfang 2006. Einige der Bilder aus der aktualisierten Ausgabe wurden also erst gemacht, als It's All Good schon draußen war.

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Auch nach der Veröffentlichung des Buches ging ich weiter in die Sozialbausiedlungen und habe den Leuten dort meine Arbeiten präsentiert. Sie fanden das echt gut, aber ich habe auch gesehen, dass sich nichts verändert. Es scheint so, als würde sich dort nie etwas verändern."

Bedford-Stuyvesant, Brooklyn, 2003

"Ich weiß noch, wie ich das erste Mal in Bedford-Stuyvesant unterwegs war. Ich zog als Weißer mit meiner Kamera und Fototasche durch die Straßen, als mich ein paar Typen erblickten und meinten: 'Hey, komm' mal rüber.' Es entwickelte sich ein Gespräch und mein Akzent sagte ihnen wohl, dass ich niemand war, den sie hassten. Zehn Tage später fragten sie mich dann, ob ich sie nicht mit ihren gezogenen Waffen fotografieren wolle. Ich dachte mir nur: 'Scheiße, passiert das gerade wirklich?' Das war total abgefahren."

Bushwick, Brooklyn, 2005

"Das Foto zeigt eine Warnung der Latin Kings, die für einen Verräter gedacht war. Später erfuhr ich, dass sie den Typen umgebracht haben. Wenn man durch diese Gegenden läuft, dann wird einem schnell klar, dass mindestens 50 Prozent der Menschen dort irgendetwas mit Drogen zu tun haben. Entweder arbeiten sie als Dealer oder sie sind Junkies. Man trifft auch auf viele Ex-Knackis."

Ein verlassener Parkplatz, Bedford-Stuyvesant, Brooklyn, 2003

"Ich liebe Pitbulls, aber mit das Schlimmste, was ich während der Arbeit an It's All Good mitbekommen habe, war der Kampf zwischen einem Pitbull und einer Katze, die absolut keine Chance hatte. Auch heute wird mir noch richtig schlecht, wenn ich darüber nachdenke. Diesen Zwischenfall konnte ich jahrelang nicht vergessen. Keine Ahnung, wieso, aber ich fotografiere viele Hunde."

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Bedford-Stuyvesant, 2006

"Waffen, Geld, Drogen—und davon reichlich. Eigentlich kann man so etwas gar nicht planen, so nach dem Motto 'Ich spaziere jetzt durchs Ghetto und fotografiere dabei Leute mit Knarren'. So funktioniert das nicht. Es hat mich überrascht, wie wenig Geld die Menschen dort verdienen. Wahrscheinlich hat man am Ende des Monats mehr auf dem Konto, wenn man bei McDonald's arbeitet. Eigentlich verdienen nur die hochrangigen Gang-Mitglieder richtig viel Kohle. Der Rest schießt sich wegen 20 Dollar über den Haufen."

Bedford-Stuyvesant, Brooklyn, 2003

"Hier habe ich Gang-Mitglieder zum ersten Mal mit ihren Waffen fotografiert. Das war total verrückt. Wir sind durch die Flure gelaufen und sie haben mit ihren geladenen Pistolen direkt auf mein Gesicht gezielt. Ich konnte am Abend dann zwar nicht einschlafen, bin am darauffolgenden Tag aber trotzdem zurück, um noch mehr Bilder zu machen. Es braucht Zeit, bis da ein wirkliches Vertrauen vorhanden ist. Ich besitze auch Fotos, auf denen die Gesichter der Jungs klar und deutlich zu erkennen sind, aber die habe ich nicht ins Buch gepackt. Ich will nicht, dass irgendjemand wegen mir in Schwierigkeiten gerät."

Bushwick, Brooklyn, 2004

"Ich passte auf diese beiden Kinder auf, als ihre Mutter Drogen kaufte. Inzwischen wohnen sie bei Pflegeeltern. Die Junkies leben von der Stütze, geben ihren Kindern nur das Nötigste zu essen und besorgen sich mit dem restlichen Geld ihren Stoff. Sie klauen, sie verkaufen irgendwelches Zeug und sie kaufen sich Drogen. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass sich diese Situation bis heute nicht verbessert hat. Bei meiner Art der Fotografie darf man nicht nachdenken. Wenn man sich zu viele Gedanken macht, geht das Motiv verloren. Ich reagiere einfach und drücke den Auslöser. Das erste Foto ist normalerweise auch immer das beste."

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Bushwick, Brooklyn, 2005

"Diese junge Frau ist erst 23. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich sie dabei fotografierte, wie sie sich die Nadel setzte. Ich dachte mir nur: 'Warum zum Teufel brauche ich das?' Ich stand auf der Badewanne, während sie sich ihr Heroin drückte. Als ich die Fotos machte, konnte ich 'abschalten'. Danach hatte ich nur noch einen Gedanken im Kopf: 'Wow, was zum Teufel war das?' Ich bin jedoch immer wieder zurück, um noch mehr Fotos zu machen. Gott sei Dank gab man mir die Möglichkeit, dieses Buch zu veröffentlichen.

Hier kannst du die Jubiläumsausgabe von 'It's All Good' vorbestellen und hier Boogie bei Instagram folgen.

Bushwick, Brooklyn, 2005

Übergang zwischen Williamsburg und Bushwick, Brooklyn, 2003

Bushwick, Brooklyn, 2004