Wie habt ihr eure letzten Tage verbracht? Habt ihr genossen, dass die längste Wahl der Welt ein für alle Mal vorbei und entschieden ist? Das ist schön. Also, für euch. Meine letzten Tage waren anders. Während ihr gemeinsam mit dem Rest von Österreich mitgefiebert, gefeiert oder geweint habt, war ich mit Gilmore Girls und Dosenessen zuhause verbarrikadiert, um dem Wahlergebnis bis Mittwoch fernzubleiben. Zu eurem Vergnügen. Damit bin ich ziemlich sicher der letzte Mensch in Österreich, der erfährt, wer Bundespräsident geworden ist. Aber eins nach dem anderen.
Wahltag
14:03 UHR
Wählen fühlt sich so geil an. Obwohl die ganze Prozedur diesmal fast schon schon ein bisschen einstudiert wirkt. Ich liebe einfach, wie der Wahlbeisitzer auch beim dritten Anlauf noch nicht müde geworden ist, meinen vollen Namen inbrünstig durchs Zimmer zu gröhlen: “FRRRRANZ JOSEFFF LICHTENEGGERRRR”—gleich kommt der Kaiser-Schmäh vom Kollegen, Achtung, drei, zwei—”Aso, jo, so kaiserlich, ha, höhö!” Wäre ich Wahlbeisitzer, ich hätte wohl längst einen Witze-Katalog für sämtliche Vornamen Österreichs angelegt.
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14:30 Uhr
Beginn der Abschottung. Twitter, Facebook, Instagram, Snapchat, WhatsApp, alle Apps vorübergehend gelöscht, überall ausgeloggt. Der letzte Tweet, den ich sehe, kommt von Florian Klenk: “Alles wird gut”. Komplettes Internet-Verbot erteile ich mir nicht—das ist mir zu arg—, aber zumindest werde ich keine Seiten aufrufen, die sich auch nur im Entferntesten mit Nachrichten beschäftigen. Britney-Fan-Seiten werden von mir zur Sicherheitszone erklärt.
18:02 Uhr
Irgendwie wird in den neuen Gilmore Girls-Folgen ständig gesoffen?
18:53 Uhr
Draußen läuten plötzlich Kirchenglocken. “Welch sonderbare Zeit für ein Glockengeläut”, denke ich mir leise. Das war’s dann wohl—er ist hier, der jüngste Tag. Kann es tatsächlich schon ein Wahlergebnis geben? Wird da gerade der Tod des Abendlandes betrauert? Österreichs Untergang? Ist die Lugner-Scheidung durch? Hat Christl Stürmer ein Baby bekommen?
22:47 Uhr
Es ist Sonntagabend und sämtliche Dosen- und Käse-Vorräte, die ich eigentlich für die kommenden zwei Tage eingeplant hatte, sind weg. Übrig bleiben: Müsli, vier Birnen und keine Milch. Soweit läuft alles nach Plan. Ah, und: Rory ist schwanger.
Montag
10:05 Uhr
Ich scheine doch recht gut darin zu sein, Dinge einfach auszublenden. Irgendwie habe ich es gestern geschafft, die Wahl einigermaßen zu vergessen und mich stattdessen voll und ganz auf Netflix zu konzentrieren. Eingeholt hat mich die Außenwelt dann im Traum, dort sind mir Zeitungen mit “Norbert Hofer Präsident”-Titeln um die Ohren geflogen.
11:32 Uhr
Mittlerweile dürften die Menschen draußen wohl bereits wissen, wer nächster Bundespräsident der Republik Österreich wird. Ich nicht. Das Komische ist, irgendwie mag ich diese Ahnungslosigkeit.
11:39 Uhr
Ich muss kurz daran denken, wie ratlos ich mich vor einigen Wochen nach der Wahl Donald Trumps gefühlt hatte, wie lange dieses zermürbende Regenwetter-Gefühl danach über mir schwebte und wie sehr es das immer noch ein bisschen tut.
Meine ganz persönlichen Trump-Nachwehen brachten mich damals immer wieder dazu, in unpassenden Situationen—in der Schlange bei Subway oder in überfüllten Wartezimmern—laut aufzuseufzen, weil mir plötzlich wieder einfiel, dass Rassismus oder Sexismus für einen großen Teil der amerikanischen Bevölkerung offenbar keine Dealbreaker sind, sofern die andere Option eine Frau ist. Es war fast so, als wäre jemand gestorben.
Ich weinte mich bei einem Freund aus, aber ihm fehlte das Verständnis für mein Jammern—in jeglicher Hinsicht. Er klopfte mir liebevoll auf die Schulter, sagte, ich solle nicht so traurig sein, Hillary wäre doch immerhin Zweite geworden und sei dadurch ja zumindest Vizepräsidentin, gemeinsam würden die beiden sich sicherlich gut ausbalancieren, davon sei er überzeugt. Er ist in meinem Alter. Ich wusste damals nicht so recht, was ich sagen sollte—wie konnte er so etwas nur glauben, wie konnte er das denn nicht wissen, wo es doch alles war, worüber ich gerade nachdenken konnte, wo es doch so großen Einfluss auf mein gesamtes Umfeld hatte, wo doch angeblich die ganze Welt so erschüttert war.
Aber dann hab ich ihn beneidet. Vielleicht ist Unwissenheit ja wirklich ein Segen—in dieser Situation schien es mir zumindest so. Eine Welt, in der man nicht pausenlos mit Donald-Trump-Weltschmerz kämpfen muss, muss eine angenehmere sein. Was muss das erst für eine schöne Filterblase sein, in der man einfach nicht weiß, wer Bundespräsident geworden ist? Eine wunderschöne. Ich weiß das, denn ich lebe gerade in ihr.
14:00 Uhr
Die neuen Folgen Gilmore Girls haben mich direkt in die erste Staffel zurückgeworfen. Ich glaube, das ist genau die Serie, die ich jetzt brauche. Ursprünglich hatte ich ja geplant, endlich mit Black Mirror anzufangen, aber dann wäre ich wohl irgendwann auch gezwungen, über alles Schlechte in der Welt nachzudenken und das ist nun mal nichts, was man alleine in einer dunklen Wohnung tun sollte. Stattdessen denke ich also einfach über Sepia-Töne, Lichterketten und Kaffee nach.
16:17 Uhr
Ich bin gerade erst umgezogen und habe mir ganz bewusst ein paar Möbelstücke aufgehoben, die ich in diesen Tagen aufbauen werde. Und mit “bewusst aufgehoben” meine ich, ich hatte eine verdammt gute Ausrede dafür, die Aufbauerei eine ganze Woche lang vor mir herzuschieben. Aber nicht jetzt. Jetzt ist nicht die Zeit dafür.
18:13 Uhr
Freunde schicken mir via iMessage Screenshots von Britneys Instagram—sie postet Minions—, Rory und Dean machen Schluss, die Welt versinkt im Chaos. Irgendwie glaube ich, der Hofer hat’s wirklich gemacht. Dieses Gefühl hatten wir alle während der vergangenen Monate und es ist immer noch da.
21:01 Uhr
Auf Grindr wird schon niemand das Wahlergebnis spoilern.
Dienstag
09:58 Uhr
Ich habe keinen Kaffee mehr. Keinen Kaffee zuhause zu haben, während man in Gilmore Girls reinkippt, ist ungefähr so wie auf einem Rihanna-Konzert mit dem Rauchen aufhören zu wollen.
12:22 Uhr
Auf Grindr ist ein User namens “Hofer-Wähler” aufgetaucht. Vor Schreck habe ich mein Handy ins nächstbeste Eck geworfen und danach die App gelöscht.
13:02 Uhr
Warum darf Alexis Bledel Schauspielerin sein?
15:47 Uhr
Das Internet ist ein Minenfeld. Jeder Klick ist wie ein Eierlauf, womöglich poppt mir ja bereits im nächsten Fenster ein winkender Präsident Hofer entgegen. Leider habe ich aber irgendwie verlernt, Filme oder Serien zu sehen, ohne währenddessen nach Trivia-Fakten googeln zu wollen. Wie alt war Melissa McCarthy damals wohl? Und aus welchem Film hat Lorelai da gerade zitiert? Trotzdem: Google ist fürs Erste tabu. Zu gefährlich.
18:11 Uhr
Mein Bett steht! Ein Erfolg.
20:43 Uhr
Ich winke der Frau am Fenster gegenüber, die offenbar den ganzen Tag an diesem Fenster steht, und überlege, was die Menschen in der echten Welt gerade fühlen, ob der Bürgerkrieg bereits ausgebrochen ist, wie viele Herr der Ringe-Referenzen ich inzwischen schon verpasst habe und ob die Frau am Fenster gegenüber vielleicht nur eine Puppe ist. Morgen ist all das vorbei.
22:21 Uhr
Eine Konversation mit meinem Bruder erinnert mich daran, warum ich zwischenmenschlichen Kontakt während diesem Projekt lieber gänzlich vermeide. Er weiß zwar, dass wir nicht über die Wahl reden dürfen, aber jedes Grinsen, jede Schwingung, jeder Laut lässt mich denken, es wäre eine Andeutung in irgendeine Richtung, die andererseits aber auch gewollt sein könnte, um mich in die Irre zu führen. Nur noch die Nacht überstehen.
Mittwoch
04:00 Uhr
Es ist 4:00 Uhr morgens, ich bin hellwach und ich habe panische Angst vor einer Welt außerhalb dieser Wohnung.
08:53 Uhr
Ich hab geträumt, Florian Klenk hat seinen Selbstmord vorgetäuscht. Als Satire-Projekt. Was soll ich sagen, ich weiß ja auch nicht.
11:35 Uhr
Der Weg aus der Wohnung wird schwer. Wie die Welt da draußen inzwischen wohl aussieht? Ich bin auf alles gefasst. Am meisten überrascht bin ich eigentlich davon, dass es Mittwoch ist, und ich tatsächlich noch nicht weiß, wer Bundespräsident wird.
13:11 Uhr
Eigentlich wollte ich ja vermeiden, öffentlich ins Büro zu fahren, um mich nicht auf den letzten Metern von einer in U-Bahn-Boden getretenen Österreich-Headline spoilern zu lassen. Aber der bloße Gedanke an die Möglichkeit macht mir eine Gänsehaut, also stehe ich in der Bim und blicke stur auf meinen schwarzen Handy-Bildschirm. Ich habe Angst.
DIE AUFLÖSUNG
Franz auf Twitter: @FranzLicht