Noch bevor es für Athletic Bilbao in die neue Saison ging, hatten die Verantwortlichen schon reichlich Grund zum Kopfzerbrechen. Dabei lief die Vorsaison mit Platz 4 besser als erwartet. Und da man sich in den Playoffs zur Champions League auch noch gegen den favorisierten SSC Neapel durchsetzen konnte, stand man plötzlich in der Gruppenphase der Königsklasse—übrigens zum ersten Mal seit 1998. Und genau da lag das „Problem”. Denn nachdem man schon mit Ander Herrera seinen besten Spieler gehen lassen musste (Herrera wechselte zu Manchester United) und auf Biegen und Brechen versuchte, nicht noch mehr Leistungsträger zu verlieren, war klar, dass für die relativ dünn besetzte Mannschaft ein Tanz auf drei Hochzeiten kein Zuckerschlecken werden würde. Und so kam, was eigentlich kommen musste. Man schied (etwas überraschend) nach der Vorrunde aus der Champions League aus (obwohl die Gegner mit dem FC Porto, Shakhtar Donetsk und BATE Borisov nicht gerade übermächtig erschienen). Und auch in der Primera División konnte man mitnichten an die starken Leistungen aus der Saison 2013/2014 anknüpfen und landete schnell im letzten Drittel der Tabelle.
Doch Athletic wäre nicht Athletic, wenn man sich nicht wieder aufgerappelt hätte. Denn trotz des katastrophalen Saisonstarts steht man mittlerweile wieder auf Platz 7 und hat damit noch Chancen auf die Europa-League-Qualifikation. In vielerlei Hinsicht sind sie Spaniens bemerkenswertester Verein (auch wenn hinter dem SD Eibar ebenfalls eine sehr spannende Geschichte steckt). Dabei sind sie nicht mal Spanier, wie viele ihrer Fans klarstellen würden, sondern Basken. Denn bei Athletic kommen seit jeher (mit Ausnahme der Zeit des Franco-Regimes) nur baskische Kicker zum Einsatz. Das hat natürlich zur Folge, dass man auf einen nur sehr eingeschränkten Pool an Spielern und Talenten zugreifen kann, was ihre Leistungen umso beeindruckender macht.
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Darum staunten viele Fußballbeobachter vor Kurzem nicht schlecht, als sie hörten, dass ein gewisser Matthew Le Tissier im Estadio San Mamés ausgezeichnet werden sollte. Le Tissier ist eine Spielerlegende vom FC Southampton, der vor allem für seine feine Technik und seine Schussqualitäten bekannt war. Er gilt als der sicherste Elfmeterschütze in der Geschichte der Premier League, weil er von 49 Strafstößen nur einen einzigen verschoss. Falls du dich schon ungeduldig fragst, wann endlich der Bezugspunkt zu Athletic Bilbao geknüpft wird, sei dir gesagt, es gibt keinen. Er wurde auf den Kanalinseln geboren und ist damit ein bisschen französisch, ein bisschen englisch, aber nicht mal ein Funken baskisch. Auch die Tatsache, dass er früher für Southampton gespielt hat und die—genauso wie Bilbao—in rot-weißen Trikots auflaufen, hatte mit der Ehrung nichts zu tun. Was war also der Grund dafür? (Außer vielleicht noch, dass der Mann eine verdammte Legende ist:)
Der Grund, warum die Athletic-Verantwortlichen einen erfreuten, wenn auch sichtlich verwirrten Matt Le Tissier während der Halbzeit des Baskenderbys gegen Real Sociedad aufs Spielfeld zerrten, um ihm einen eigens ins Leben gerufenen Preis feierlich zu überreichen, ist die Tatsache, dass Le Tissier 16 Jahre am Stück für Southampton gespielt hat. Die Pressemitteilung zu seiner Ehrung las sich dementsprechend wie folgt: „Was wir am meisten an Le Tissiers Werten und Prinzipien wertschätzen, ist seine einmalige Loyalität gegenüber dem FC Southampton, dem er die ganze Karriere lang die Treue gehalten hat. Damit entspricht er auch den Werten und Prinzipien von Athletic Bilbao, weswegen es uns eine Ehre ist, ihn heute auszeichnen zu können. Auf diese Weise wird er auch immer ein Teil unserer Geschichte sein.”
Um die etwas komisch wirkende Ehrung besser zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass der gesamte Verein auf genau einem einzigen Prinzip basiert: alles Baskische so gut es geht zu vertreten und zu fördern. Dabei setzt man vor allem auf den Standort Bilbao als Anziehungspunkt für Talente aus dem gesamten Baskenland (auch wenn hier viele schon Bauchschmerzen haben, wenn diese aus der „vielleicht nicht ganz so baskischen” Stadt Pamplona oder dem französischen Teil kommen). Dieser ideologische Wahnsinn müsste ihnen sportlich eigentlich das Genick brechen, doch stattdessen schweißt es den Verein noch enger zusammen und führt so zu den guten Resultaten. Spieler, die die vereinseigene Jugendakademie durchlaufen haben, sollen dann am besten gleich für viele Jahre für Athletic spielen (auch wenn das am Ende nur wenige tun).
Und genau hier liegt auch die Motivation von Bilbao, einen Spieler wie Le Tissier zu ehren und so für die eigenen Zwecke einzuspannen. Denn der Markt an jungen baskischen Talenten ist nun mal nicht unendlich und darum braucht es mehr Spieler wie ihn, so die Botschaft, die trotz besserer Angebote dem Herzen und nicht dem Portmonee folgen. Dennoch bleibt die Ehrung eines wildfremden Spielers irgendwie verrückt. Und passt damit so wunderbar zu diesem ungewöhnlichen Fußballverein.