Warum Bartender wie Köche denken sollten

Als mir der Persephone’s Sin serviert wird, weht mir ein aromatischer Hauch frisch verbrannten Rosmarins, der am Rand des Tumbler-Glases steckt, entgegen. Ich lasse mich in die gemütliche, samtene Couch neben der Bar des Nightbells zurückfallen und probiere.

Er ist süß, ohne dabei zuckrig zu sein, rauchig und kräuterig, die Wärme des Alkohols baut sich heftig auf und am Ende schmeckt man diesen sauren Zitruskick. Viel perfekter ausbalanciert kann ein Cocktail kaum sein – und genauso bleibt er auch während der darauffolgenden kleinen Gänge: „gefüllte Eier” mit Mais-Zabaione und Forellenkaviar serviert in einer zerbrechlichen Eierschale oder Tatar in einer Waffel aus Brik-Teig.

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Tatar. Foto mit freundlicher Genehmigung von Nightbell

Das Geheimnis dieses wunderbar stimmigen Drinks? Vielleicht, dass der Cocktail in der Küche entstanden ist – womit das Nightbell sich in die Restaurants einreiht, die nicht wie üblicherweise Drinks vor dem Essen servieren, sondern daraus etwas machen, das viel enger mit dem gesamten Essen verbunden ist.

Doch von Anfang an: Ich bin spontan nach Asheville in Carolina gefahren, in der Hoffnung auf ein Wochenende mit Keksen, Barbecue und der einmaligen Gelegenheit, vielleicht doch einen Tisch im Cúrate von Köchin Katie Button zu ergattern. Sie ist in den gesamten USA bekannt für ihr modernes Tapas-Menü. Als ich ankam, waren die Tische schon zwei Wochen im Voraus ausgebucht. 

„Aber”, wie eine nette Mitarbeiterin der Touristinformation mir empfahl, „vielleicht probieren Sie Katies anderes Konzept, das Nightbell? Gehobenes Comfort Food, typisch für die Appalachen. Gibt auch kleine Teller.”

Also ging ich am Abend hin: ein kleines Restaurant mit Backsteinwand und schicken Möbeln, ein paar Minuten hatte ich noch, bis mein Tisch frei war. Also ab an die Bar. Nachdem ich die Karte kurz überflogen hatte, entschied ich mich für den Persephone’s Sin – wegen des Namens.

Der Persephone’s Sin. Foto von der Autorin

„Gefülltes Ei” mit Mais-Zabaione und Forellenkaviar. Foto mit freundlicher Genehmigung von Nightbell

Zum einen weil er ein bisschen zweideutig klang, zum anderen weil es eine clevere Anspielung auf die griechische Sage ist, nach der Hades Zeus’ Tochter, Persephone, Granatapfelkerne zu essen gibt. Deshalb enthält der Drink auch Granatapfel-Rosmarin-Sirup (und daneben noch Wodka, Orange, Amaro Montenegro, einen Spritzer Rotwein, Essig, Zitronenzeste und Soda).

Genauso wie die kleinen Speisen danach war auch der Persephone’s Sin genauestens durchdacht, saisonal und spielerisch. Das Gleichgewicht, das bezeichnend für Buttons Gerichte ist, spiegelte sich perfekt in dieser Cocktailkreation wider, sodass einfach alles an diesem Abend perfekt aufeinander abgestimmt war, ob im Glas oder auf dem Teller.

Ein Konzept, das sich in der Theorie einfach anhört, aber oftmals hapert es an der Ausführung. Wer kennt sie nicht, die Restaurants, in denen es scheint, als würden sich Barkeeper und Köche eine Art Duell liefern, weil die Getränke und das Essen einfach überhaupt nicht zusammenpassen?

Das ist hier definitiv nicht so.

Felix Meana ist der Drink-Spezialist und Co-Besitzer des Nightbell und des Cúrate und auch Katie Buttons Ehemann.

„Am Nightbell gefällt mir einfach, dass unsere Bartender mit so viel Liebe an Drinks arbeiten, die die Gerichte auf unserer Karte ergänzen”, meint er. „Sie machen das mit so einer Leidenschaft und dadurch haben unsere Gäste einen perfekt aufeinander abgestimmten Abend.”

Er verrät mir auch, dass Dan Byersden Persephone’s Sin kreiert hat.

Dan Byers meint, dass ihm die Idee zu dem Cocktail kam, als er ein Schweinesteak mit Rosmarin und Granatapfelsauce gemacht hat. Beim Kochen kam ihm der Geistesblitz und so hat am nächsten Tag auf Arbeit an dem Drink herumexperimentiert.

„Bei jeder neuen Cocktailkreation, ist es, glaube ich, extrem wichtig, eine Liebe zum Kochen genauso wie zu Spirituosen zu haben, nur so wird sie erfolgreich”, meint er. „Wir versuchen als Team kreativ zu sein und nach neuen Wegen zu suchen, wie wir viele unterschiedliche Aromen in jeden neuen Drink reinbringen können.”

Das ist auch Barkeeperin Phoebe Esmon – die sich mit ihren innovativen Craft-Cocktails bereits einen Namen gemacht hat – sehr wichtig, gerade auch wenn es darum geht, die Appalachen-Küche des Nightbell in einen Drink zu verwandeln.

„Das beste Comfort Food kommt teilweise aus den Appalachen, das stimmt. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass sich in dieser kulinarischen Kultur viel ums Konservieren dreht”, meint sie. „Im Nightbell nähern wir uns der Saisonalität genauso wie die Menschen früher, wir verarbeiten also die Dinge, die sofort verbraucht werden müssen, und alles, was sich konservieren lässt, machen wir für später, wenn es das Produkt nicht mehr gibt, haltbar.”

Sie erklärt mir, was genau eingemacht wird, nicht nur an der Bar, auch in der Küche: Marmeladen, Gelees, Konfitüre, Sirup, Eingelegtes, Tinkturen und Bitter.

„Dadurch können Küche und Bar viel kreativer arbeiten und gleichzeitig weniger verschwenden und die Kosten senken”, erklärt sie. „All diese Sachen können und werden in Cocktails auf unserer Karte verwendet.”

Das Nightbell. Foto mit freundlicher Genehmigung von Nightbell

Wenn die Küche jede Saison an einer neuen Karte arbeitet, bekommt Phoebe eine Liste möglicher Gerichte, damit sie schon mal Drinks entwickeln kann, die dazu passen, die aber auch allein gut funktionieren.

Wenn man Essen und Drinks beim Pairing genau aufeinander abstimmen will, entscheidet man sich entweder für etwas Ähnliches oder einen Kontrast. Zu ihren neuen Favoriten zählt zum Beispiel die in Butter pochierte Flunder, der volle Geschmack wird durch eine Reduktion aus Zitronenschalen betont und zugleich durch eine erdige Schwarznuss-Gremolata gedämpft. 

„Dazu passt der Go Down Moses, eine Variante des Japanese Cocktail von Jerry Thomas, eines  Klassikers des 19. Jahrhunderts, nur bei mir in Anlehnung an das Charosset [süßer Teil der Sederspeise am Pessachfest, Anm. d. R.].” Ein großzügiger Schluck Apfelbranntwein aus regionaler Herstellung kombiniert mit einem reichhaltigen Walnusssirup passen perfekt zum samtigen Fischfleisch, Orangen und Feigen-Bitter greifen die erdige Note der Schwarznuss-Gremolata auf und die herben Aromen der Reduktion.

Der Manager des Nightbell, Joe Minnich, der früher Sommelier war, fasst die die Pairing-Philosophie des Restaurants zusammen:

„Genauso wie beim Wein kombinieren wir ähnliche Aromen oder erschaffen mit sich ergänzenden Aromen Harmonien”, meint er. „Der Drink passt nicht nur zum Gericht auf dem Teller, er würzt es auch zusätzlich im Mund.”

Und am Ende ist es, so glaubt Byers, diese Harmonie, die die Gäste an dem Barkonzept so schätzen.

„Die Barszene verändert sich und die Gäste erwarten mehr von ihrem Drink”, meint er. „Indem wir unser Wissen aus der Küche und von der Bar kombinieren, setzen wir uns hoffentlich ab.”