Natürlich ist die Welt daran interessiert, was Anders Breivik macht. Gewöhnlich sind wir alle schon selbst, es reizt das Abnormale, Gefährliche, Böse oder Absurde. Und dann ist in uns noch dieser abgefuckte Drang, Schaulust dort empfinden zu wollen, wo Lust—und das wissen wir—kaum angebracht ist. Auf der Autobahn etwa, wenn es juckt, mit dem Fuß noch fester auf die Bremse zu treten, nur um etwas länger einen Blick auf die Unfallopfer am Straßenrand zu erhaschen oder am Rechner zu hadern, ob man nicht doch auf einen Artikel klickt, der Snuff-Videos zum Thema hat.
Leider ist Anders Breivik durch seine Taten zu einer Person des öffentlichen Lebens geworden und unser Interesse an ihm ist bis zu einer gewissen Grenze auch völlig legitim. Wir sollten nicht den Fehler begehen und ihn als einen irren Creep abstempeln, der durchgedreht ist und ein paar Leute umgebracht hat—ganz nach dem Motto: wegsperren und vergessen. Bevor Breivik in Oslo eine Autobombe zündete und sich anschließend aufmachte, um auf der Insel Utøya so viele junge Menschen wie nur möglich umzubringen, verfasste er ein über 1.500-seitiges Manifest. Breivik hatte und hat eine Agenda, sie ist politisch und ideologisch, sie ist rassistisch und das Resultat unser eigenen Gesellschaft. Dahingehend ist auch unser Interesse an ihm legitim, sofern wir ihn als Phänomen besser verstehen wollen, das auf eine verheerende Weise gegen unser kulturelles System opponierte—und dies aus unserem System heraus tat.
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Kritisch wird es dagegen, wenn unser Interesse der nach Aufmerksamkeit heischenden Person Anders Breivik gilt, der in ihrer Isolationshaft die Decke auf den Kopf fällt und die keine Gelegenheit ungenutzt lässt, sich vor laufenden Kameras selbst zu inszenieren. Und richtig problematisch wird es, wenn wir Medien dieses Interesse bedienen oder gar wecken. Es ist ein Leichtes, mit den Emotionen der Leser zu spielen, sie für sich arbeiten zu lassen, zu schreiben, wie anmaßend der Massenmörder sei, sich über seine Haftbedingungen zu beschweren, er, der eine Maschinengewehrsalve nach der anderen in Kinderkörper setzte und nun einen riesigen Verwaltungs- und Verwahrungsapparat von Hunderttausenden Euro für sich in Anspruch nimmt mit drei Zimmern á acht Quadratmeter—weil Zellen kann man die Räumlichkeiten mit ihrem Fernseher, einer X-Box, einem Laufband und einem Computer mit Wikipedia-Zugang nicht nennen.
Die Berichterstattung im neusten Prozess, bei dem Breivik nicht als Angeklagter, sondern Kläger auftritt, bewegt sich genau in diesem problematischen Bereich. Es steht die nach Aufmerksamkeit buhlende Person Breivik im Rampenlicht. Der Massenmörder klagt wegen inhumaner Haftbedingungen und eröffnet dieses Schauspiel mit einem Hitlergruß. Widersprüchlicher geht es kaum noch.
Natürlich sind wir realistisch—und vielleicht auch schon abgekämpft genug—, um zu wissen, dass kaum ein Zeitungsblatt sich die Möglichkeit entgehen lassen wird, über so ein Ereignis zu berichten. Zu viele Schlagwörter. Mit dieser Form der Doppelmoral scheinen wir alle uns abgefunden zu haben, nämlich etwas als moralisch verwerflich anzusehen, aber selbst auf den eigenen Kanälen für dessen Verbreitung zu sorgen oder es zu lesen. In der simplen Meldung „Breivik zeigt Hitlergruß vor Gericht” schwingt der Subtext mit: „Das Schwein, wie kann er bloß nur! Hat er den gar kein Mitleid mit den Opfern?!” Gleichzeitig bringt man trotzdem die Meldung, verschafft ihm somit eine Bühne für die eigenen Kapriolen. Doch geschenkt, so funktionieren offenbar das Geschäft und nicht nur die bösen Medien, sondern auch die Leser. Wenn niemand die Artikel anklicken und lesen würde, würde sie ziemlich schnell auch niemand mehr schreiben—an dieser Stelle jetzt das Fass mit der Frage aufzumachen, was zuerst gewesen sei, das Angebot oder die Nachfrage, würde den Rahmen dieses Textes und meinen Intellekt sprengen. Ich will auf einen anderen, kleineren Punkt hinaus.
Und zwar: Wenn wir Medien schon über die Launen von Breivik berichten, warum müssen wir—besondere in diesem Falle—noch das Bildmaterial der Welt und den Opfern vor die Augen halten? Breivik hat 77 Menschen getötet. Schon auf der Insel Utøya befanden sich 560 Jugendliche, sie alle haben Traumata erlitten, diese 560 Menschen haben Eltern, Verwandte, Freunde; allein die Zahl derer, die massivst auf Bilder von Breivik und seinem höhnisch zum Hiltergruß ausgestrecktem Arm verzichten können, geht in die Tausende. Warum echauffieren sich die Zeitungen in ihren Überschriften über diese Geste, zeigen sie aber in voller Pracht? Warum wird die Presse überhaupt mit Kameras zum Prozess zugelassen? Ist es für die zu verhandelnde Sache wirklich so wichtig zu wissen, ob Breivik noch einen Seitenscheitel und Ziegenbärtchen trägt, oder wie jüngst nun doch gesehen, mit seinem Glatzenlook stilistisch die volle Neonazi-Schiene fährt?
Ich bin mir sicher, dass die meisten Redaktionen uns den Anblick vorenthalten würden, wenn Breivik vor versammelter Mannschaft seinen Penis rausgeholt und damit den Richtern ein fröhliches Petri Heil gewünscht hätte. Warum griff der sogenannte Arbeitsethos bei keinem der großen Verlagshäuser, als Breivik dem Führer gedachte? Viel lieber hätte ich mir Mems angeschaut, bei denen ein Jo-Jo auf Breiviks Eichel auf und ab baumelt, anstatt es auf seinen zum Hitlergruß ausgestreckten Fingern zu sehen.
Doch egal, wer welche Variante präferiert: Bilder haben nochmal eine ganz andere Durchschlagskraft als Worte. Jeder, der sich dafür entscheidet—egal ob in der Redaktion oder als Privatperson via Facebook—, ein Bild mit Breiviks Hitlergruß zu verbreiten, trägt zu seiner Ikonisierung bei und das hat er einfach nicht verdient. Es reicht schon, dass Charles Manson es mit seinem debilen Hakenkreuz auf der Stirn zu einer popkulturellen Figur geschafft hat.
Und vielleicht bin ich auch ein altmodisches Arschloch, aber in Breiviks 21 Jahren zu verbüßender Haft sehe ich nicht nur eine Schutzfunktion für uns als Gesellschaft. Neben dem Element, uns vor ihm zu bewahren, sehe ich noch ein Element, das auf Bestrafung abzielt. Natürlich kann keine Strafe erdacht werden, die seine Taten aufwiegen könnte, darum geht es auch nicht. Aber wenn er schon in seinem vollklimatisierten Multimedia-Trakt nicht sonderlich viel leidet, stimmt es mich besser zu wissen, dass wir zumindest einiges versuchen, ihm die Möglichkeit auf übermäßige Freude zu nehmen, die für ihn darin bestehen könnte, sich auf sich selbst einen runterzuholen, weil er als selbsternannter Übermensch uns allen einen Hitlergruß vor die Köpfe knallte.
Ach ja, eine letzte Sache noch, wo wir gerade von der Doppelmoral reden: Bitte lasst uns damit aufhören, diesen Typen nur als einen einsamen, gestörten und unzurechnungsfähigen Menschen anzusehen und ihn bloß als einen „Massenmörder” oder „norwegischen Attentäter” zu bezeichnen. Er hat Autobomben gezündet, Menschen niedergeschossen, ein Manifest geschrieben: Wenn er währenddessen einen dunklen Bart getragen und allāhu akbar geschrien hätte, würden wir ihn als das bezeichnen, was er tatsächlich ist: einen Terrorist. Nur weil er aus unserer eigenen europäischen weißen Mitte stammt, sollte Breivik keine Immunität vor diesem Wort genießen.
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