Zum ersten Mal fanden die VideoDays, eine Art YouTube-Convention, bei der likefreudige Fans auf ihre Internetstars treffen, auch in Berlin statt. Während der Samstag mehrere Bühnenperformances von den Großen der Szene bereithielt, sollte es am Freitag, dem 1. Mai, rein um den Kontakt von Idol und Abonnent gehen. Um die 20 Euro musste man als Besucher für ein normales „Communityday”-Ticket hinlegen, dafür sollte man die Chance auf ein Foto mit seinem Star (oder zumindest ein Autogramm) bekommen. In Köln, der deutschen YouTube-Hauptstadt, zogen die VideoDays in den vergangenen Jahren bis zu 15.000 Leute an, in Berlin sollten es immerhin 6.000 werden.
Y-Titty, iBlali und wie sie alle heißen mögen, sah man in der Location allerdings primär auf Postern, Shirts und ähnlichem Merchandise. Die Stars hingen größtenteils in einem der mehreren Backstage-Bereiche, deren Zugang durch verschiedenfarbige Bändchen gestaffelt war, ab. Ab 50.000 Abonnenten hatte man angeblich ein Anrecht auf den exklusivsten VIP-Bereich mit Terrasse, von dem aus man einen guten Blick über die Location an der Spree bekam. Zumindest erzählte mir das eine Bekannte, die selbst unter die YouTuber gegangen ist. Fan-Nähe gab es trotz explizit anders lautender Ankündigung nur portionsweise. Die nicht ganz so großen Vertreter der Webvideo-Zunft liefen immer mal wieder über das Gelände und sorgten prompt für größere Menschenaufläufe und hysterisches Smartphone-Geknipse.
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Für alle anderen musste man sich in meterlangen Schlangen anstellen—und selbst dieses zweifelhafte Glück wurde nicht jedem zuteil. Die Chance auf ein Selfie mit dem ganz persönlichen Video-Idol bekam nur, wer rechtzeitig da war und durch Zufall eine der gesonderten Zutrittskarten ergattern konnte. Fast wollte man zum Eingang rennen und die noch wartenden Massen warnen. Eintritt bezahlen, um in einer überlaufenen Location Merchandise kaufen zu können, was es im Internet wahrscheinlich günstiger gibt? Kein Wunder, dass sich immer mehr YouTuber mit dem Vorwurf auseinandersetzen müssen, ihre Fans vor allem als leicht zu manipulierende Goldesel zu sehen.
Auf der einen Seite ein Mädchen, das ein Selfie mit ihrem Idol ergattern konnte und ihrer Freundin bei der Rückkehr stolz die zitternden Hände präsentierte. Auf der anderen Seite ein Radiomoderator, der Autogrammkarten der Stars in die Menge warf, die man in der Veranstaltungshalle verzweifelt suchte. Wer glaubt, dass der Kult um YouTube und seine bekanntesten User nur im Internet stattfindet, könnte falscher nicht liegen. Insbesondere die scheinbar grenzenlose Begeisterungsfähigkeit der Fans wirft aber noch eine ganz andere Frage auf: Ist der Mythos der Nahbarkeit, der den Selfmade-Vloggern trotz stetig steigender Followerschaft und wachsendem medialen Einfluss immer noch anhaftet, endgültig am Ende? Kann man bei Anhängern in Millionenhöhe überhaupt noch erwarten, dass die Kult-Filmer sich mit ihren Fans auf Augenhöhe begegnen und wenn nein: Warum wird es der konsumfreudigen Anhängerschaft dann weiter suggeriert?
Bei den VideoDays kam man nicht umhin, die überraschende Feststellung zu machen: Manchmal bedeuten Hunderte Kilometer und ein Computerbildschirm zwischen Star und Fan weniger Distanz als ein Bauzaun mit weißem Sichtschutz.
Es wäre ein bisschen einfach, es nur den YouTube-Stars in die Schuhe zu schieben. Eine Bekannte, die sich vor Ort mit mehreren Branchenvertretern unterhalten hat, will erfahren haben, dass die Stars sich nicht mal dann unter die Tausenden Besucher mischen dürften, wenn sie es wirklich wollten. Zumindest nicht für lange. Vertraglich festgehalten soll es gewesen sein, wie lange sich Videomacher XY wirklich frei unter seinen Anhängern, abseits von Bändchenkontrolle und Autogramm-Warteschlangen, bewegen darf. Um Massenaufläufe und Drängeleien zwischen den oftmals sehr jungen Besuchern zu verhindern. Das ergibt absolut Sinn, schließlich stellt sich auch der Wu-Tang Clan beim splash! Festival nicht neben die Hauptbühne und kauft sich in aller Ruhe Handbrot. Aber der Wu-Tang Clan wehrt sich auch nicht öffentlich gegen seinen Star-Status, wie es beispielsweise ein LeFloid tut.
Und wenn man schon dabei ist, sich als volksnahes Jugendidol zu geben: Wie nah muss man seinen Anhängern dann wirklich sein? Wie geht man mit dem Kult um die eigene Person um, der auch dann entsteht, wenn man bewusst wenig Persönliches mit seinem Millionenpublikum teilt? Insbesondere bei den Vloggern, deren Videos vor allem aus Einblicken in den Alltag und persönliche Geschichten bestehen, MUSS doch ein Selfie und eine Umarmung drin sein, oder? Wer keine offensichtliche Linie ziehen will zwischen sich und den Millionen Abonnenten, bekommt dann ein Glaubhaftigkeitsproblem, wenn eine Linie gezogen werden muss. Und sei es nur zur eigenen Sicherheit.
Wenn Tausende Fans am Freitagabend enttäuscht nach Hause gegangen sind, weil sie ihrem Idol trotz deftigem Eintrittspreis kein Stückchen näher gekommen sind als vor ihrem Rechner, dann waren sie absolut im Recht. Ob das die Schuld der sich rar machenden Stars ist oder die der Veranstalter, deren Versprechungen für den Community-Day vielleicht einfach irreführend waren, sei dabei mal vollkommen dahingestellt.
Vielleicht ist es wichtig, dass irgendeine der YouTube-Größen da draußen endlich mal zugibt: Ja, wir sind Stars. Deswegen gibt es Sicherheitskräfte, deswegen muss es diese Absperrung zwischen uns geben und deswegen können wir uns nicht für jeden der tausend Menschen, die da draußen stehen und auf uns warten, Zeit nehmen. Das hebt zwar die Illusion der Nahbarkeit auf, aber es wäre zumindest eine andere Sache, die sich die Internetvideo-Größen auch gerne auf die Fahnen schreiben: unverfälscht und ehrlich.
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