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Warum das Erbe von Panteras Vinnie Paul so wichtig für Metal ist

Im Herbst 2008 begann ich ein Praktikum beim Revolver Mag, dem US-amerikanischen Mainstream-Metal-Schlachtross. Meine erste Aufgabe: alle alten Ausgaben sichten und ein Best Of von der Kolumne des Pantera-Drummers Vinnie Paul zusammenstellen.

Ich hatte überhaupt keinen Bock. Nicht, dass ich Pantera nicht gemocht hätte, ganz im Gegenteil: Ich liebe Pantera. Selbst die Damageplan-Platte finde ich nicht so schlimm. Viel mehr war es so, dass sich die Fans nach der Pantera-Auflösung und dem tragischen Tod von Gitarrist “Dimebag” Darrell Abbot in zwei Lager gespaltet hatten. Entweder warst du in Camp Phil oder in Camp Vinnie. Ich war damals mit Herz und Seele in Camp Phil.

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Was Pantera so besonders machte, war ihr zweigleisiger Ansatz. Auf der einen Seite war die unverhohlene Classic-Metal-Vergötterung: Leder, Stahl und Refrains zum Mitsingen und Fäuste Recken. Das ist super, macht Spaß, ist aber auch ein bisschen öde und klischeebehaftet. Auf der anderen Seite war die gebeutelte, selbstzerstörerische, durch und durch amerikanische Psyche mit ausschweifendem Drogenkonsum, psychischen Problemen, kritischen Gesellschaftsbeobachtungen und einer vage brodelnden unkontrollierbaren Wut, die beim leisesten Anzeichen von Respektlosigkeit erwachen konnte. Das ist alles ziemlich hammer, aber gleichzeitig auch recht albern und humorbefreit.

Bei Pantera verkörperten Vinnie Paul und Sänger Phil Anselmo diese beiden konträren Pole. Bei Vinnie drehte sich alles um Van Halen und Kiss. Er pflegte das Image des Whiskey und Stripperinnen liebenden Kumpels, der immer für eine gute Zeit zu haben ist. Phil dagegen war der finster dreinblickende Sonderling mit dem Venom-Shirt, der sich unverstanden fühlte und regelmäßig in einem Nebel aus Gras, Pillen und obskurem Death- und Black Metal verschwand.

Zwischen Phils harter Realität und Vinnies idealisiertem Metal-Himmel stand Darrell, Vinnies Bruder und ein begnadeter Gitarrist. Er war das perfekte Amalgam beider Ästhetiken. Als Pantera in ihren düster-nuancierten Groove-Metal-Sound reinwuchsen, den sie 1992 mit Vulgar Display of Power komplettierten und 1996 mit The Great Southern Trendkill perfektionierten, änderte Darrell seinen Spitznamen von “Diamond” zu “Dimebag” und sein Gitarrensound mutierte von einem Tuckern zu einem Brüllen. Trotz allem behielt er immer seinen sorglosen Humor, den er mit seinem Bruder teilte.

Ein paar Jahre nach Panteras Trennung aufgrund kreativer Differenzen tourten die Abbott-Brüder mit ihrer neuen Band Damageplan, als Darrell auf der Bühne ermordet wurde. Damit war eine ohnehin schon unwahrscheinliche Pantera-Reunion für immer vom Tisch. Mit dem Tod des Pantera’schen Gleichgewichts, begannen Fans zu überlegen, was sie genau an der Band mochten.

Von wirklichen Lagern lässt sich allerdings kaum reden, denn für alle fühlte es sich kleingeistig und unangebracht an, nach einer solchen Tragödie derartig Stellung zu beziehen. Vielmehr legte man sich selbst seine Gründe zurecht, warum man Panteras Musik mochte. Camp Vinnie scherte sich wenig um die düsteren Lyrics. Diesen Fans gefiel die Band einfach wegen ihrer Wucht und Heavyness. Camp Phil war es dagegen umso wichtiger, das schmierige Hair-Metal-Gepose der frühen Jahre als unreife Albernheit abzutun. Gleichzeitig liebten sie aber die unwiderstehliche Rock’n’Roll-Kante im Herzen von Alben wie Trendkill.


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Über die Jahre hat das Erbe von Pantera jedoch ziemlich gelitten, um es mal nett auszudrücken. Und das haben wir den Einstellungen dieser beiden Figuren zu verdanken. Phil machte bei einem Konzert zu Ehren Dimebags auf der Bühne den Hitlergruß und brüllte “White Power!”, womit er langjährige Rassismusvorwürfe gegen ihn bestätigte. “Camp Phil” war danach einer der denkbar unangesagtesten Orte im Metal. Vinnie Paul auf der anderen Seite legte sich mit seiner Merch-Firma an, weil sie nicht länger Pantera-Merch mit der Südstaatenflagge verkaufen wollte. Panteras Geschichte als zutiefst ehrliche moderne Metalband war befleckt mit der hässlichen Vergangenheit der amerikanischen Südstaaten und die neue Generation Metalheads hatte keinen Bock mehr, diesen unreflektierten rassistischen Scheiß mitzumachen.

Nichtsdestotrotz, 2008 war ich total uninteressiert an Camp Vinnie. Schließlich war ich selbst immer der düstere Außenseiter gewesen. Ich wollte immer nur den abartigsten und abgefahrensten Scheiß hören, den ich finden konnte. Ich war besessen von Metal-Außenseitern wie Monster Magnets Dave Wyndorf und Morticians Will Rahmer. In meinem Kopf operierten die größten Stadionbands mit den kleinsten Underground-Acts auf einer Ebene. Aufgrund der Größe ihrer Fanbase eine Band der anderen zu bevorzugen, war in meinen Augen abgrundtief Falsch. Ich erinnere mich noch gut an meine lautstarke Empörung, als ein Revolver-Redakteur einmal zu mir sagte: “Ja, aber wen interessiert es einen Dreck, was Nifelheim denken?”

Kurz gesagt, ich war ein junger Metaljournalist, der glaubte, sich beweisen zu müssen. Als jemand, der mit Revolver aufgewachsen war – hey, die hatten auch Artikel über Emperor und Opeth veröffentlicht –, wusste ich, was mich in Vinnie Pauls Kolumne erwarten würde: gute-Laune-Redneck-Bockmist mit zu vielen Ausrufezeichen und reichlich Gerede übers flachgelegt werden. Ich war alles andere als heiß auf diese Aufgabe.

Zwei Wochen hockte ich über jeder bis dahin erschienen Ausgabe des Revolver und las jede “Ask Vinnie Paul”-Kolumne, die es gab.

Und ich liebte es. Ich lachte mir den Arsch ab. Ich reckte die Faust zum Himmel.

Es war nicht so, als wäre Vinnie Pauls Ratschlag super gewesen. Das war er so gut wie nie. Vinnies Ergüsse waren auch nicht besonders poetisch, ganz im Gegenteil. Viel mehr identifizierte ich mich mit der respektlosen Albernheit, mit der Vinnie den Nöten und Sorgen typischer Metalheads entgegnete. Als ein Leser Vinnie fragte, was er mit seinem gigantischen Ständer machen solle, den er jedes Mal bekommt, wenn Pantera auf die Bühne kommen, schrieb Vinnie: “ZEIG IHN DER CROWD!!!” In meinen Augen war das der beste Ratschlag, den jemals irgendjemand irgendjemandem gegeben hat.

Überrascht hat mich nichts davon, weil ich als Metal-affiner Musikjournalist Vinnies Biographie natürlich ganz gut im Kopf hatte. Er war im echten Leben nicht ganz das wandelnde Klischee, für das man ihn leichtfertig hielt. Ihr müsst euch vor Augen halten, dass das hier ein Typ war, der weiter Musik machte, nachdem sein Bruder bei einem Konzert vor seinen Augen getötet worden war. Er besaß und leitete diverse florierende Stripclubs in Texas, die ihn zu einem der wenigen großen Metalstars machten, die einen Großteil ihres Geldes abseits der Bühne verdienten.

Vinnie avancierte darüberhinaus zu einem der bekanntesten Gesichtern des Metal. Gerne machte er bei Awardshow-Promos mit und trat in Pantera-Parodien auf. Und das alles, während seine letzte Band, Hellyeah!, in der er zusammen mit Nu-Metal-Schwergewichtern von Bands wie Nothingface und Mudvayne spielte, unablässig auf Tour war. Wenig verwunderlich klang der tiefer gestimmte und groovige Sound von Hellyeah! wie Pantera ohne dunkle Seite.

Klar wollte ich bei der Lektüre von Vinnie Pauls Kolumne verächtlich mit den Augen rollen – und hier und da tat ich es auch. Vinnies Antworten hatten nämlich nie einen wirklichen Inhalt. Selbst wenn er gelegentlich Ratschläge erteilte, wie man mit untreuen Partnern oder einem fiesen Kater umgehen sollte, waren das immer die austauschbaren Partymetal-Weisheiten, die ich von ihm erwartete.

Ich bemerkte allerdings, dass ein Teil von mir sich heimlich darin entdeckte. Es war, als würde Vinnie Paul meine Gedanken lesen können, wenn ich anderthalb Drinks tief an der Bar saß und am nächsten Tag nichts vor hatte. Dieser Augenblick, wenn Religion und Politik für einen Moment egal sind, “I’m The One” in der Jukebox kommt, sich ein gigantischer Typ mit frisierten Koteletten neben mich setzt und mich anbrüllt: “Wir trinken Kurze! Willst du einen Kurzen?!”

Für einen Haufen Metalheads war genau das Vinnie Paul. Er war viel mehr als bloß ein Drummer, er war ein Spaß liebender Szeneveteran. Vinnie repräsentierte den Typen, der für dich da war, wenn du deine ganzen Sorgen für einen Moment vergessen, dich ein bisschen abschießen und blöde Witze machen willst. Er repräsentierte eine Seite in uns allen, die des ständigen Kampfes manchmal müde war, einfach entspannen, Scheiße reden und Spaß haben wollte. Er war das lebende Avatar für jedes Mal, dass die Jungs von Immortal ABBA in einer Karaoke-Bar sangen.

Als Metaller ist dieser Teil in uns aber immer schwieriger mit unserem Alltag zu vereinbaren, und das aus gutem Grund. Bei dem Klima, das momentan in der Welt herrscht, insbesondere in den USA, sollte der Kampf Priorität haben. Es steht einfach zu viel auf dem Spiel. Die Flagge der Konföderierten hat eine beschämende Vergangenheit und das im Namen des Merch-Verkaufs zu ignorieren, ist nicht cool – egal, wie du es auch drehst und wendest. Wir müssen uns eingestehen, dass selbst die größten Metal-Götter rückständig und engstirnig sein können, oder komplett im Unrecht. Ohne Fortschritt hätten wir keinen Thrash, keinen Grindcore, keinen Doom. Wenn er sich nicht weiterentwickelt, wird Metal verkümmern.

Gleichzeitig spricht das auch Bände über das herrliche Ventil, als das Heavy Metal immer schon eine große Rolle gespielt hat. Damit Metal interessant ist und Spaß macht, braucht er diese positive Katharsis. Und verdammt, Pantera brauchten sie: Ohne Vinnie wäre die Band einfach nur deprimierend gewesen, mit Gebrüll und Geschredder über Pillen – genau, wie es ohne Phils Dunkelheit alles nur Spandex und Airbrush-Ästhetik gewesen wäre. Stattdessen besetzten Pantera diesen brillanten Mittelweg, bei dem du der Welt den Finger zeigen konntest, aber das immerhin mit einem fetten Grinsen im Gesicht.

Mit Vinnie Pauls Tod am 22. Juni 2018 sieht die Metal-Community wieder einmal klar, dass alle Partys irgendwann zu Ende sind. Er erinnert uns aber auch daran, zwischendurch mal die Deckung runterzunehmen, uns neben unseren Freunden an den Lagerfeuern unseres Lebens niederzulassen und die Flasche kreisen zu lassen. Der Krieg ist auch morgen früh noch da, und er wird schlimmer sein denn je. Aber für jetzt, für diesen Augenblick können wir ein bisschen Spaß haben. Wenn wir den nämlich nicht zwischendurch haben, wofür kämpfen wir dann überhaupt?

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